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Generation Start-up-Fuck-up

Ich habe schon oft an diese eine Idee gedacht, die noch niemand jemals zuvor hatte, und die mich reich und berühmt machen sollte. Und dann kam jemand anderes darauf. Aber ich habe auch lernen müssen, dass Start-ups nur was für ein paar Glückskekse sind...

Illustration von Franziska Petersen

Es ist dieser Moment, in dem man denkt, man hätte eine Idee, die noch niemand jemals zuvor hatte und die einen stinkreich machen würde: Letztes Silvester, als ich zukunftstrunken im Morgengrauen auf dem Weg durch das zurechtgentrifizierte Berlin vorbei an den festlich herausgeputzten Schaufenstern der unerschwinglichen Designerläden entlanglief, dachte ich: Hey—wie geil wäre es eigentlich, wenn man sich diese arschteuren Kleider einfach für einen Abend ausleihen könnte?

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Haute Couture zum Verleihen—im Dunst der Silvesterböller kam mir meine Idee wie eine Goldgrube vor. Morgens 'ne Idee, abends 'ne Homepage, in 48 Stunden Jungunternehmer und spätestens nächste Woche würde ein Investor klopfen und mir ein paar Millionen dafür bieten, dass er für mich eine App entwickeln darf. So ungefähr würde das laufen. Immerhin war das hier Berlin, das prophezeite neue Silicon Valley, das Paradies für Start-ups, wo alles sexy, weil arm, und alles möglich, weil billig, ist. Wer kennt nicht die Legende von Zalando, das in der heimischen Berliner WG angefangen hat, Schuhe zu verschicken, und in drei Jahren nach ganz Europa expandierte. Auch die Musikstreaminganbieter Soundcloud und die Fotoplattform EyeEm kommen aus Berlin und haben internationale Erfolgsgeschichten geschrieben, wieso nicht auch ich?

Leider hatte ich die Idee schneller wieder vergessen, als ich sie googeln konnte. Als ich einige Wochen später hörte, dass jetzt jemand anderes, der das Prêt-à-Louer nennt, mit meiner Idee reich wird, blieb mir neben einem beschissenen Gefühl nur eine neidvolle Neugier: Was sind das für Leute, die solche Ideen dann auch durchziehen—und es muss eine ganze Horde sein: Allein 9000 IT-Firmen wurden im letzten Jahr neu in Deutschland gegründet, vor allem in Berlin. Das sind 25 am Tag, mindestens ein neues Start-up pro Stunde.

Irgendwas daran war grundverdächtig. Ich machte mich auf Spurensuche durch meinen Berliner Freundeskreis, der unvermeidlich voll von mit Start-ups verwandten Biografien war. Scheinbar landete jeder, der hierherkam, ob Künstler oder Informatiker, Doktorand oder Medienirgendwasler, früher oder später in einem Start-up. Meist als Praktikant, aber nicht Wenige legten innerhalb kürzester Zeit einen rasanten Aufstieg hin. Plötzlich fanden sich unter meinen einst so prekären Freunden Teamleiter bei Zalando, Junior Sales Manager oder sogar Geschäftsführer bei Start-ups mit unmöglich zu behaltenden Firmennamen.

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Laut einer Studie aus dem vergangenen Jahr belegt Berlin im Ranking der Top-20-Start-up-Städte weltweit Platz 15—als eine von nur drei europäischen Städten nach Paris und London. Und was Berlin diesen beiden voraus hat, weiß spätestens seit Wowereits „arm, aber sexy" eh jeder: Berlin ist billig—und Hauptstadt eines der reichsten Länder Europas. Diese Kombination macht Berlin zur vielleicht letzten bezahlbaren Metropole der Welt—und damit irgendwie selbst zu einem Start-up: Günstiger Wohnraum lockt Scharen von willigen Kreativen, die sich mit einem Bruchteil der Gehälter zufrieden geben, für die ein Harvard High Potential in Silicon Valley morgens nicht mal das Bett verlassen würde.

Mit den Summen, die in Kalifornien investiert werden, kann Berlin nicht mithalten, dafür sind die Gründer hier aber mit durchschnittlich knapp 32 Jahren auch zwei Jahre jünger, auch das zeigt die Start-up-Genom-Studie. Berlin profitiert außerdem davon, dass Südeuropa seinen High Potentials derzeit keine andere Perspektive bietet. So erklärt mir der italienische Junior Manager eines neu gegründeten Bewertungsportals, in Italien führe der Weg zur Geschäftsgründung über monatelange massive Korruption durch die Dutzenden Bürokratiestufen. Die Krise treibt Investoren aus dem Land und Tausende italienische Kleinunternehmer in die Pleite, ähnlich die Situation in Spanien, und auch in Griechenland ist keine Spur von einer boomenden IT-Industrie zu finden. Die Zuwanderung aus den Krisenländern stieg 2012 um bis zu 78 Prozent, gerade die jüngeren unter ihnen kommen haufenweise in der Hauptstadt und landen früher oder später in einem der Berliner Start-ups.

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Günstige Mieten und die schiere Masse an Fachkräften, schon allein durch die 150.000 Studenten, machen Berlin zu einer Art internationalem Schnäppchen für Investoren. Wer in Berlin gründet, wird zunehmend umsorgt: Es gibt verschiedene Fördertöpfe von der EU, vom Bund oder der Stadt, sowie Inkubatoren, Investoren oder Business Angels. Millionenmärkte sind laut Studie von Berlin aus zwar nicht zu erobern und die Investitionssummen sind vergleichsweise bescheiden. Aber 100.000 Euro Startkapital, pardon—Seed Investment—sind mit einer guten Idee gar nicht so schwer zu kriegen.

Michael und Eugen müssen es wissen, immerhin haben sie schonmal soviel in den Sand gesetzt. Bevor Michael mit Eugen admineo gründete, eine Art Produktdatennetzwerk für Händler, ist er mit einem sozialen Netzwerk gescheitert. Als klar war, dass er nach dem ersten Jahr und 100.000 Euro Anfangsinvestition nicht weiterkommt, passierte erstmal nichts. „Das Risiko trägt ja der Investor, das war der Deal.“ Und für ihn war das eine nützliche Lektion. „Diesmal lassen wir uns von niemandem unter Druck setzen“, erklärt Michael entspannt, während mir immernoch schwindelig ist vom Gedanken an das ganze Geld. „Wir arbeiten nicht, um in Zukunft möglichst viel Profit zu machen, sondern um jetzt eine gute Zeit zu haben.“

Sie haben sich diesmal darauf geeinigt, das, was sie tun, nicht mehr Arbeit zu nennen. Sie folgen einem Ansatz, den sie als Lean Startup bezeichnen, und zielen darauf ab, alles Überflüssige wegzulassen: keine Angestellten, keine Investoren, keine Schulden, kein Druck. Stattdessen entwickeln die beiden alles selbst, programmieren, vermarkten, machen ihre eigene Buchhaltung und bleiben bewusst klein. „Unabhängigkeit generiert Freiheit, und daraus erwächst Kreativität.“ Das scheint zu funktionieren, gerade waren sie bei Google in Hamburg eingeladen. Die wichtigste Firma der Welt hat den beiden ein paar Tipps gegeben. Der Suchmaschinenriese ist an dem Erfolg der beiden interessiert, weil er von der Vernetzung der Produktdaten indirekt profitieren könnte.

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Das klingt mir alles viel zu gut, ich frage noch jemanden, der sich mit Erfolg und Misserfolg auskennt. David hat grade die zweite Insolvenz hinter sich und überlegt, ein Buch über die Berliner Start-up-Szene zu schreiben. Die dreckigen Details verrät er heute ungern, denn er ist gerade wieder auf Jobsuche. Aber was er erzählt, reicht, um mir klar zu machen: Mit Idealismus hat diese Start-up-Szene nichts zu tun.

Er erzählt von Venture Capitalists, die die Naivität der jungen Gründer ausnutzen und sie mithilfe von Knebelverträgen erst aussaugen und dann kurz vor der Insolvenz halbzerkaut wieder ausspucken. Er erzählt von Investoren, für die 100.000 Starkapital nur Spielgeld ist. Ob da jemand sein Herzblut in die Verwirklichung seiner Idee steckt, dürfte sie etwa so sehr interessieren wie die Gemütsverfassung des Rennpferdes, auf das sie wetten.

Illustration von Nikita Kakowski

Und er erzählt von der gnadenlosen Konkurrenz: Sein erstes Start-up hatte verhängnisvollerweise ein ähnliches Konzept wie das eines Konkurrenten, der ihm seine Mitarbeiter weggeschnappt haben soll, um sein Geschäft zu ruinieren. „Er hat meine Mitarbeiter per Xing angeschrieben, sich mit ihnen getroffen, gefragt, was sie verdienen und ihnen das Doppelte angeboten, wenn sie die Seite wechseln.“ Ein Drittel machte mit, aber die Aktion war ein Trick, und sie wurden nach zwei Wochen wieder gefeuert.

Ich frage einen Berliner Start-up-Investor, der lieber anonym bleiben möchte, aber schon seit Anfang der 90er als Gründer und Investor in Berlin tätig ist. Er kennt die Abwerbegeschichte, hält sowas aber eher für die Außnahme. „Es geht zwar schon oft eher zu wie beim Boxkampf als beim Ringelpietz, aber mit derart harten Bandagen zu kämpfen, das können sich nur wenige leisten. Dazu braucht man wirklich viel Kapital.“ Und bei Vertragsschließung rät er jedem Gründer, höllisch aufzupassen und lieber in einen guten Anwalt zu investieren, sonst wird man womöglich über den Tisch gezogen. Seiner Erfahrung nach scheitern die Start-ups weniger an dem Konkurrenzkampf als vielmehr an den vielen kleinen Dingen, die auf dem Weg so schief gehen können. Er bestätigt die Faustregel, dass nur eines von zehn Start-ups wirklich erfolgreich wird, aber auf einen Rock-Star-Erfolg kommen auch drei Totalausfälle, drei, die was Gutes machen, und drei, die zumindest den Einsatz zurückzahlen.

Eigentlich müssten sich die Leichen der Start-ups zu Bergen in Berlins Straßen häufen. Stattdessen machen sie nach einer Pleite einfach weiter. Das nächste Start-up wartet schon, diesmal wird alles besser. Denn das Wichtigste haben diese Unternehmer ja schon gelernt: Scheitern.

Am Ende bin ich nicht mehr so neidisch. Ein Start-up scheint für die meisten nur ein Aufzug, bei dem es darum geht, im richtigen Moment einzusteigen, solange wie möglich mit nach oben zu fahren, und rechtzeitig abzuspringen bevor, es wieder abwärts geht. Und es geht fast immer wieder abwärts.