Drogen

Wie die Medien eine neue Droge im Lockdown überhaupt erst beliebt machten

Viele Menschen interessierten sich erst nach reißerischen Medienberichten in den Niederlanden für 3-MMC. Wir haben den Erfinder der Droge und Experten gefragt: Warum?
Eine Packung 3-MMC, wie sie in den Niederlanden legal zu kaufen ist. Die Droge soll jetzt aber nach reißerischen Medienberichten verboten werden.
Foto: Tom Kiel

Im Herbst 2020 lernten niederländische Fernsehzuschauer den 27-jährigen Boaz aus Arnheim kennen. Der hagere junge Mann mit den blondierten Haaren hatte tagelang nicht geschlafen und dabei eine neuartige Droge konsumiert: 3-MMC. Die Dokuserie Verdoofd, zu Deutsch "betäubt", zeigte Boaz in seinem unaufgeräumten Zimmer dabei, wie er immer wieder mit einem großen Jagdmesser kleine Häufchen von dem weißen Pulver schnupfte. Er brauche die Substanz für alles, sagte Boaz der Journalistin, selbst zum Wäsche falten.

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Seit der Beitrag ausgestrahlt wurde, sind die niederländischen Medien wie besessen von 3-MMC, auch Metaphedron genannt. Die Designerdroge gehört zur Familie der Cathinon-Derivate und ist ein enger Verwandter von 4-MMC, besser bekannt als Mephedron. Die meisten Länder, die Mephedron verboten haben, haben im Rahmen neuer Gesetze wie dem deutschen Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz auch 3-MMC verboten. In den Niederlanden ist die Substanz allerdings momentan noch legal erhältlich.


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Innerhalb kurzer Zeit gab es mehrere Berichte darüber, wie die Horrordroge das Leben junger Menschen "zerstört". Eltern schlugen Alarm wegen der neuen potenziell tödlichen Substanz. Mehrere niederländische Bürgermeisterinnen und Bürgermeister schrieben sogar einen gemeinsamen Brief an das niederländische Justizministerium, in dem sie das Verbot von 3-MMC forderten.

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Aber wenn 3-MMC so furchtbar und süchtig machend ist, warum wollen die Leute es überhaupt probieren? Die ganzen reißerischen Artikel ignorierten diese Frage. 

Eine Person, die eine Antwort darauf haben könnte, ist der Typ, der es erfunden hat. "3-MMC ist sehr praktisch, wenn du kurze Zeit etwas freundlicher zu den Leuten um dich herum sein willst", sagt der Mann, der sich Dr. Zee nennt. Dr. Zee hat 3-MMC und Dutzende andere ähnliche Drogen für eine Firma in Israel entwickelt. Er sagt, dass er seine Erfindungen immer erst an sich selbst teste, bevor er sie in die Öffentlichkeit entlässt. Dr. Zee ist davon überzeugt, dass seine Drogen für verschiedenste therapeutische und medizinische Zwecke eingesetzt werden können. Sie sollen zum Beispiel die Konzentration steigern und körperliche Ticks bei Menschen mit Parkinson reduzieren können.

Dr. Zee bestätigt allerdings auch, dass einige Menschen ein Problem damit haben, ihren 3-MMC-Konsum zu kontrollieren. "3-MMC lässt das Gehirn denken, dass alles OK ist. Das liegt daran, dass die Droge strukturell Dopamin ähnelt", erklärt er. Dopamin ist ein Neurotransmitter, der dafür sorgt, dass wir uns gut fühlen. Er wird natürlich in unserem Gehirn gebildet. Für Dr. Zee gibt es auch eine sichere Art, die umstrittene Droge zu benutzen. "Es geht darum, ein System zu erschaffen. Wir werden einen Weg finden, um 3-MMC konstruktiv zu verwenden."

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Kaj Hollemans – ein Rechtsberater, der sich auf Drogen, Alkohol und Glücksspiel spezialisiert hat – glaubt, dass die Medienberichte das 3-MMC-Problem nicht nur übertrieben, sondern sogar verschlimmert haben. "Wenn man den niederländischen Medien glauben soll, ist das alles Sodom und Gomorra", sagt er am Telefon. "Vor ein paar Jahren hat kaum jemand 3-MMC genommen."

Journalisten, Polizei und Bürgermeisterinnen tun alles in ihren Möglichkeiten, um junge Menschen vor den Gefahren der Droge zu warnen. Hollemans vermutet allerdings, dass dies den gegenteiligen Effekt hat. "Jedes Mal, wenn so eine Story veröffentlicht wird, steigen die Google-Suchen, wie man 3-MMC kauft", sagt er. 

"Genau aus diesem Grund wollen wir uns nicht mehr an der Medienberichterstattung beteiligen", schreibt Jeanette Ooink von der niederländischen Entzugseinrichtung Tactus in einer E-Mail. Nachdem sie allerdings erfahren hat, worum es in diesem Artikel gehen soll, zeigt sich Ooink erleichtert. Sie sagt, sie sei in letzter Zeit von mehreren Journalisten mit den immer gleichen Fragen zu 3-MMC kontaktiert worden. Sie alle hätten sich darauf konzentriert, wie schlimm die Droge sei. Sie sei es einfach leid zu erklären, dass bislang sehr wenige Menschen ihre Einrichtung kontaktiert haben, weil sie Hilfe mit ihrem 3-MMC-Konsum bräuchten.

Definitiv gibt es Menschen, die Probleme mit 3-MMC haben. Diese nehmen in der Regel aber auch weiter verbreitete Drogen wie Kokain und Speed. Bislang gibt es außerdem keine verlässlichen Schätzungen, wie viele Menschen die Droge konsumieren. Das wenige Wissen, das wir momentan über die Substanz haben, rechtfertige jedenfalls nicht den Medientrubel, sagt Ooink.

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Sie betont allerdings, dass der 3-MMC-Konsum nicht ohne Risiken sei. Die Substanz sei sehr wahrscheinlich ziemlich süchtig machend. Viele Konsumierende sagen, dass sie ein starkes Bedürfnis spürten, immer wieder nachzulegen, sobald sie einmal mit 3-MMC angefangen haben. Ooink geht davon aus, dass 3-MMC vor allem als "Zusatzdroge" von Menschen konsumiert wird, die bereits viele andere Substanzen nehmen. 

Deswegen ist man bei Tactus auch der Meinung, dass die Medien eigentlich eine andere Frage stellen sollten: Warum sind Menschen überhaupt an Drogen wie 3-MMC interessiert? "Junge Menschen wollen gemeinsam abhängen und Spaß haben", sagt Ruud Rutten, der Leiter von Tactus. "Sie werden ihre Grenzen austesten und wollen sich selbst und einander besser kennenlernen. Aber wo haben wir in unserer Gesellschaft einen sicheren Ort dafür geschaffen? In Schulen liegt der Fokus nur auf dem Lernen und dem Abschluss. Bars sprechen diese jungen Menschen immer weniger an, weil man dort keine Drogen nehmen darf."

Also experimentieren die Leute im privaten Raum. Masha*, die sich selbst als "typische Zu-Hause-Konsumentin" bezeichnet, ist eine von ihnen. Als die Langeweile während des Lockdowns immer größer wurde, begann sie, nach etwas Neuem zu suchen. Im Oktober 2020 nahm sie zum ersten Mal 3-MMC, nachdem sie davon in den Nachrichten gehört hatte. "Wir waren in erster Linie auf der Suche nach Zeug, das leicht zu kriegen war – etwas, für das wir keinen komischen Dealer kontaktieren mussten", sagt sie am Telefon. "3-MMC gibt mir etwas Ruhe im Kopf – auch wenn mein Partner davon nicht mehr zu reden aufhört, was total nervt." 

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Der niederländische Staatssekretär für Gesundheit Paul Blokhuis will 3-MMC illegal machen, da es Substanzen wie Amphetamin und MDMA stark ähnelt. 

"Wir befinden uns immer einen Schritt hinter den Leuten, die diese Designerdrogen produzieren", sagte Blokhuis im November 2020. Momentan arbeitet er mit dem Justizministerium daran, ein neues bahnbrechendes Gesetz zu schaffen, das Hunderte Grundstoffe, die für die Herstellung verschiedener Substanzen gebraucht werden, verbieten und auf die gleiche rechtliche Stufe wie Kokain und Speed stellen würde. "Wir können davon ausgehen, dass Designerdrogen, die auf diesen harten Drogen basieren, signifikante Gesundheitsprobleme auslösen können", argumentieren Blokhuis und der Minister für Justiz und Sicherheit Ferdinand Grapperhaus in dem Gesetzesvorschlag. Prohibition ist in ihren Augen die einzige Antwort. 

Aber Kaj Hollemanns, der sich sehr gut mit den niederländischen Drogengesetzen auskennt, sagt, dass das keine Antwort auf das bestehende Problem sei. "Das Verbot wird nur mehr Probleme erschaffen", sagt er. "Es ist nicht so, als würden Substanzen einfach verschwinden, wenn man sie illegal macht." Hollemans glaubt, dass es einfach generell eine sehr hohe Nachfrage nach Freizeitdrogen gibt. "Was fehlt, ist eine Diskussion darüber, wie man die Risiken, die mit diesen Substanzen verbunden werden, eindämmt", sagt er.

Ihm ist es wichtig, dass die Verkaufenden stärker darauf achten, dass ihr Produkt nicht in den Händen von jungen Konsumierenden landet. Für Hollemans geht es bei der Nachfrage nach 3-MMC gar nicht um die Droge selbst. Vielmehr würden junge Menschen einfach nach etwas suchen, mit dem sie einen witzigen Abend haben können – dabei sei ziemlich egal, was es ist. "Wenn man den Verkauf von Ecstasy-Pillen regulieren würde, würde die Nachfrage nach 3-MMC verschwinden", sagt er. 

Dr. Zee hält den Verbotsplan der niederländischen Regierung für "einen klaren Fehler, der bald berichtigt werden wird". Er plädiert dafür, dass seine Kreation weiter legal existieren darf, auch wenn er die Risiken des Konsums nicht abstreitet. "Man darf die Schuld dafür aber nicht bei der Droge suchen", sagt er. "Es geht vor allem darum, wie man selbst mit der Substanz umgeht."

*Mashas echter Name ist der Redaktion bekannt.

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