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Warum betreiben englische Vereine eigene Seiten für Transfergerüchte?

Viele Premier-League-Klubs käuen unreflektiert Transfer-Gossip wieder und sorgen so für unrealistische Erwartungen beim eigenen Anhang. Die Idee dahinter ist nobel, die Umsetzung aber stümperhaft und vereinsschädigend.

In einem Augenblick geistiger Schärfe haben die Verantwortlichen bei West Ham letzte Woche beschlossen, ihre sogenannte Insider-Kolumne einzumotten. Zur Erklärung: Bei Insider hat der Verein Transfernachrichten, die West Ham betrafen, aufgegriffen und kommentiert—mit dem Ziel, einen Einblick in die Kaderplanung zu geben. In gewisser Hinsicht war Insider der Versuch, Transfergerüchte zu regulieren, indem ein Kluboffizieller in semioffiziellem Ton über West Hams Aktivitäten auf dem Transfermarkt Auskunft gegeben hat. Leider war er dabei so auskunftsfreudig, dass die Vereinsbosse jetzt die Reißleine zogen. Denn bei Insider konnte man gefühlt die halbe Vereinsstrategie für das aktuelle Transferfenster rauslesen.

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Auch wenn die Kolumne mit der Warnung kam, dass die wiedergegebenen Ansichten „nicht zwangsläufig denen von West Ham United entsprechen", verschaffte ihnen doch die Tatsache, dass sie auf der offiziellen Klubseite auftauchten, eine gehörige Aura von Legitimität. Im Dauergewitter von Transfergerüchten sollte Insider als eine Art steuerndes News-Outlet fungieren, der den Nachrichtenstrom gleichzeitig am Laufen hält. Doch der erwies sich am Ende als genauso bizarr wie vereinsschädigend. Und nachdem immer mehr Fans erstaunt auf den Inhalt der Kolumne reagierten (viele lasen zwischen den Zeilen, dass die Hammers Celtic ein Angebot für Riesentalent Moussa Dembele machen wollten), erklärte der Verein, dass Insider dauerhaft eingestellt werde.

Three bids made… The Insider - in association with @TransferMatehttps://t.co/4HImXtCMYN#COYI pic.twitter.com/JjKycMB83w
— West Ham United (@WestHamUtd) January 5, 2017

Das, was West Ham dort versucht hat, könnte man auch als Meta-Gossip bezeichnen; der Versuch, sich auf das Terrain von Tabloids wie Sun und Co. zu wagen und an den Transfernarrativen selbst mitzuschreiben—wahrscheinlich mit dem Hintergedanken, das Ganze zum eigenen Vorteil zu spinnen. Gleichzeitig sind Kolumnen wie Insider auch Zeugnis dessen, wie einflussreich die Gerüchte-Industrie mittlerweile geworden ist. So einflussreich, dass auch die Vereine ein Stück vom Klick-Kuchen abhaben und auf die Berichterstattung einzelner Transfermanöver Einfluss nehmen wollen.

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West Ham nicht der einzige Club, der aktiv auf dem Markt der Transfergerüchte mitmischt. Andere Premier-League-Klubs machen es auch—nur noch stümperhafter. Im Gegensatz dazu wird in Deutschland konsequent (fast) nichts kommentiert, so dass der interessierte Fan hierzulande auf sein Talent, zwischen den Zeilen zu lesen, vertrauen muss.

An dieser Stelle macht es Sinn, sich noch einmal vor Augen zu führen, wie Transfergerüchte auf die Vereine, die sie betreffen, wirken. Während eine bestimmte Anzahl an Geschichten von seriösen Journalisten und Quellen stammt, ist die deutliche Mehrheit faktisch haltlos und wird von solchen Webseiten verbreitet, die eine—gelinde gesagt—laxe Redaktionspolitik fahren. Die schiere Anzahl an Geschichten lässt den Eindruck entstehen, dass bei den Vereinen reges Transfertreiben herrscht—auch wenn in Wirklichkeit recht wenig los ist, wie gerade in der Winterpause. Das erweckt bei den Fans den (falschen) Eindruck, dass ihr Team kurz vor der Verpflichtung eines dicken Fisches stehen könnte—und sorgt am Ende für Frustration, wenn das Transferfenster mal wieder mehr oder weniger ergebnislos dichtmacht (hallo Gunners-Fans!).

Vor diesem Hintergrund kann man dann auch gut nachvollziehen, warum die Vereine ein Interesse daran haben, im Gossip-Game mitzumischen und die Erwartungen der Fans zu lenken. Denn immer wieder erleben die Verantwortlichen, dass sie sich für das Scheitern eines Transfers rechtfertigen müssen, der in Wirklichkeit nie zur Debatte gestanden hat. Das Problem: Eine Insider-Kolumne kann niemals ein besonders effektives Mittel sein, um mit Transfergerüchte umzugehen. Denn der Lärm, den eine vereinsinterne Medienabteilung erzeugen kann, wird immer von der Kakophonie der zahlreichen anderen Berichterstatter übertönt werden. Es sei denn, man gibt am Ende mehr Informationen raus, als klug ist—so wie im Fall von West Ham.

Noch schlechter als West Ham machen es Vereine wie Arsenal, Liverpool, Manchester City und Tottenham, die auf ihrer Website eine Media Watch anbieten. Media Watch ist im Grunde nichts anderes als eine Gerüchteküche, bei der Transfergeschichten von unterschiedlichsten Medien aufgegriffen und verlinkt werden. Wenn Arsenals Media Watch mal wieder Transfergerüchte dutzendweise aufgreift, darf man sich nicht wundern, dass die Erwartungshaltung bei den Fans ins Unermessliche steigt. Wenn Arsène Wenger dann im Januar nur einen Spieler zu den Gunners holt, reagieren viele Fans natürlich mit Enttäuschung, weil sie auf der klubeigenen Webseite von so viel mehr potentiellen Neuzugängen gelesen haben.

Um noch ein weiteres Beispiel zu nennen: Während ich diesen Artikel schreibe, finden sich auf Liverpools Media Watch-Seite Links zu Transfer-News von so unterschiedlichen Quellen wie The Independent, The Express, The Mirror, The Metro, ESPN, Goal.com und ClubCall. Auch wenn einige dieser Nachrichten bestimmt gut recherchierte Artikel sind, wirft vor allem die letzte Quelle erhebliche Zweifel auf. Denn laut Google handelt es sich bei ClubCall um ein Forum für „Fußball-News und Transfergerüchte." Das entscheidende Wort ist hierbei ‚Gerüchte'. Mit anderen Worten hilft ein hunderte Millionen schweres Unternehmen dabei, Gossip ungefiltert zu verbreiten.

Und genau ein solches Verhalten ist eigentlich unter der Würde eines so traditionsreichen Fußballvereins—mal ganz davon abgesehen, dass es das Vertrauensverhältnis zwischen Klub und Fans potentiell unterminiert. Während man West Hams Insider-Kolumne wenigstens noch als (schwachen) Versuch, Transfer-Gerüchte zu kontrollieren, auffassen kann, wird auf den Media Watch-Seiten einfach alles unreflektiert wiedergekäut. Und um die Absurdität dessen noch zu toppen, geschieht das Ganze im Namen einer höheren Fan-Einbindung. Soll heißen, man versucht von Vereinsseite, eine eigene Online-Leserschaft aufzubauen, heizt dadurch aber die Gerüchteküche nur noch weiter an, was am Ende viele enttäuschte Fans zurücklässt. So passiert es, dass Vereine, die eigentlich nur mit der Zeit gehen wollen, sich ins eigene Bein schießen.

VICE Sports hat von West Ham um eine Stellungnahme zur Einstellung ihrer Insider-_Kolumne gebeten, mehr als ein „No comment _on this occasion" gab es aber nicht.