Streaming-Piraten packen aus: „Unser Angebot ernährt viele Familien“
Screenshot: Facebook, StreamHunter.eu

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Streaming-Piraten packen aus: „Unser Angebot ernährt viele Familien“

Wir haben mit mehreren Betreibern in der Schattenwelt illegaler Sport-Streams gesprochen, um zu verstehen, wie sie ihr Geschäft am Laufen halten, und warum sie weder Angst vor Sky noch vor dem BKA haben.

Während sich am Dienstagabend im Champions-League-Halbfinale eine zur Höchstform auflaufende Bayern-Elf an der schier unbezwingbaren Abwehrwand Atléticos die Knie wund rieb, lief in den Hinterzimmern der Pay-TV-Branche eine Schlacht ganz anderer Art. Auch hier waren die Einsätze hoch, auch hier ging es um Millionenbeträge. Nur der Gegner war weit weniger greifbar: Streaming-Piraten, die die Originalaufnahmen von Sendern wie Sky illegal kopieren und als Livestream auf ihrer eigenen Seite anbieten. Ihr Angebot ist meist kostenfrei und erfreut Millionen von Fußballfans weltweit .

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Anbieter solcher Piraten-Sport-Streams – die längst nicht mehr nur Fußball in ihrem Portfolio haben, sondern Live-Schalten zu allen möglichen Sportereignissen von Rugby über Lacrosse bis Regattasegeln anbieten—schossen in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden. Allein 30.000 Streams gleichzeitig gibt es bei Top-Spielen der Premier League, wie diebritische Streaming-Jäger gegenüber der WELT erklärten. Darunter sind Plattformen, die eigene Streams anbieten, Verweis-Seiten oder Aggregatoren, die nur die Links ihrer Wettbewerber übernehmen.

Dieser Artikel ist Teil des Themenspecials „Die Abräumer" von Motherboard und VICE Sport: Alle Text zum Geschäft mit den illegalen Sport-Übertragungen findet ihr hier

Die digitale Schattenwirtschaft im Sport-Streaming-Sektor blüht: Allein Livetv.ru, das Flaggschiff der Branche, verzeichnete laut den Webanalysten von SimilarWeb im April 2016 31 Millionen Seitenaufrufe, davon rund 4,5 Millionen aus Deutschland. Damit liegt die Seite nur knapp außerhalb der Top 200 aller in Deutschland aufgerufenen Webseiten und weit vor so mancher offizieller Sport-Website wie zum Beispiel Eurosport.

Eine Gruppe junger Kollegen posiert an einer langen Restaurant-Tafel für ein Facebook-Foto anlässlich des 10. Geburtstags ihrer Website. Sie sehen aus wie das Gründertreffen eines jungen Tech-Startups: locker, professionell, etwas bieder. Tatsächlich handelt es sich um die Betreiber hinter Streaming-Hunter.eu; einer Website, die illegale Sport-Streams verlinkt. Dass sie Urheberrechte verletzen, steht außer Frage. Doch wie Mafiosi wirken sie nicht gerade.

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Das Streamer-Klischee vom digitalen Pseudo-Robin-Hood, der in dunklen Kellerräumen vor sich hin hackt und das schnelle Geld sucht, ist längst nicht mehr zeitgemäß. Hört man sich in der Szene um, ist vom Idealismus der Anfangszeit, als sich viele Streaming-Dienste als Open-Content-Avantgarde begriffen, die einer profitgetriebenen Industrie den Kampf ansagte und den Sport für die Massen zurückerobern wollte, heute nur noch wenig zu spüren.

Die Streaming-Szene ist vor allem eines: professionell und ziemlich clever, wenn es darum geht, Geschäftsmodelle zu entwickeln, um vom großen Kuchen der Sport-Übertragungen auch ein paar durchaus profitable Krümel abzugreifen. Die Betreiber von heute präsentieren sich gerne als Dienstleister, die Fans den kostenlosen Zugang zu Sport-Events ermöglichen wollen. Doch sie sind längst auch wirtschaftlich agierende Schatten-Unternehmer, die sich um den eigenen Cashflow ebenso sorgen wie um eine zufriedene Kundschaft.

Für StreamHunter.eu begann das Hochladen zunächst als „Hobby", wie der anonyme Betreiber gegenüber Motherboard erklärte. Als er sah, dass die meisten existierenden Streaming-Seiten in vielen Bereichen Mängel aufwiesen, tat er sich mit Freunden zusammen und gründete seine eigene Plattform. Den Stempel der Sport-Industrie, Gewinne auf Kosten von Fans und Vereinen zu machen, mag er sich nicht aufdrücken lassen. „Heutzutage ist es unmöglich, so eine Seite ohne Werbeeinnahmen am Leben zu halten", versucht er seine Werbeeinnahmen gegenüber Motherboard zu rechtfertigen. Wie hoch die Umsätze sind, die durch die Ads generiert werden können, lässt er offen. Aber: „Es ist ein anständiger Betrag, der viele Familien ernährt."

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Ein zehnköpfiges Team kontrolliere 24 Stunden am Tag den reibungslosen Ablauf der Streams. „Wir versuchen die Anzahl von Werbebannern möglichst gering zu halten, aber kostendeckend müssen sie schon sein," so der StreamHunter. Dass es seiner Crew vornehmlich um die Bereitstellung qualitativer Streams gehe, soll auch das Unternehmensmotto signalisieren, das auf der Website prangt: „Bleib' bei uns—wir arbeiten für Dich!"

Die Streamhunter-Website versucht rechtliche Probleme zu umgehen, in dem auf der Hauptseite selbst keine Streams hochgeladen oder gehostet, sondern nur verlinkt werden. Das Ziel: „Die zentrale Marke sauber halten." Die Live-Videos, die man anbiete stammen von einer anderen Domain oder Partner-Websites, doch „alle Streams auf unserer Website gehören uns", stellt der Betreiber gegenüber Motherboard klar. Man bekomme zwar täglich DMCA-Meldungen über Urheberrechtsverletzungen und immer wieder Anfragen, wo denn die eigenen Server stünden, doch das behindere das Geschäft nicht: „Im Laufe der Jahre haben wir immer eine Lösung gefunden, rechtliche Probleme zu umgehen", erklärt der Betreiber etwas nebulös. Klar ist, dass die Trennung von Uploader und Hoster helfen dürfte, doch die genauen Tricks hütet man als Betriebsgeheimnis.

„Hochgradig kriminell"—und doch auf freiem Fuß

Für Sascha Tietz von der Anti-Piraterie-Abteilung des Bezahlsenders Sky sind die illegalen Streams mehr als nur ein Dorn im Auge. Denn die Nutzer der Streaming-Seiten sind aus Sicht des Senders allesamt potentielle Zuschauer – und damit zahlende Kunden. Deren „hochgradig kriminelle Geschäftsmodelle", so Tietz, schaden nicht nur den Sendern, die für Sport-Übertragungsrechte inzwischen astronomische Beträge hinblättern („Sky" zahlt für die aktuelle Bundesliga-Periode satte 486 Millionen Euro) und daher auf ein Maximum an zahlungswilligen Zuschauern angewiesen sind, sondern auch den Fans und Vereinen.

Dass in der Sport-Streaming-Branche riesige Beträge fließen, ist kein Geheimnis. Doch wie hoch der Schaden durch entgangene Gewinne wirklich ist, das weiß auch Tietz, lässt sich unmöglich beziffern. Denn ob sich die Internet-Gucker auch in eine Sportkneipe hocken (und damit die Lizenz des Wirts indirekt bezahlen) oder sich einen Account eines Pay-TV-Senders zulegen würden, ist alles andere als ausgemacht.

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Ob der Industrie durch die Streaming-Piraten„Schäden in Millionenhöhe" entstehen, ist also reine Spekulation. Derartige Hochrechnungen sind daher maximal ungenau, konkrete Angaben spiegeln häufig nur die eigene Stellung in der Schlachtordnung des Streaming-Krieges wieder. Doch auch ohne gesicherte Zahlen über entgangene Gewinne rüsten die Sender im Kampf gegen die Schatten-Portale auf—nicht nur verbal: Im Februar diesen Jahres schaltete das BKA im Zuge einer international konzertierten Aktion gegen die Internetkriminalität unter anderem die Seite istreams.to ab, auf der unlizenzierte Sky-Streams gegen Zahlung eines Festpreises angeboten wurden. Erst eine Strafanzeige von Sky brachte die BKA-Ermittlungen ins Rollen, der Sender unterstützte die Recherchen der Fahnder außerdem durch kontinuierliche Sicherung von Beweisstücken.

Das Interesse der Industrie im Streaming-Krieg ist simpel: Seitenbetreiber sollen als das angesehen werden, was sie im juristische Sinne sind: Leute, die gewerbsmäßig klauen und die gestohlene Ware weiterverticken. Damit soll ihnen die Definitionsmacht darüber genommen werden, wie sie bei vielen Nutzern ankommen: Nicht als digitale Freiheitskämpfer, sondern als gewöhnliche Kriminelle, die mit „parasitären Geschäftsmodellen" die Arbeit einer kompletten Branche vernichten. „Diesen Leuten geht es nicht darum, der Robin Hood für Sportübertragungen zu sein – sondern einzig und allein um ihren persönlichen Profit," so Piratenjäger Tietz. Der Kampf wird auch an der moralischen Front geführt, Sky versucht die Öffentlichkeit für die Schäden der Industrie zu sensibilisieren.

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Mehr noch: Die Pay-TV-Branche vermutet Verwicklungen der Gratis-Streamer mit internationalen mafiösen Strukturen. „Es ist in möglich, dass Zuschauer mit dem illegalen Streaming auch die organisierte Kriminalität finanzieren", erklärt Tietz—Tendenz steigend: Die illegale Übertragungen würden „mehr und mehr Teil der organisierten Kriminalität", glaubt der Sky-Experte.

Nur eines der vielen Virenangebote, dass den Nutzern auf manchen Streaming-Websiten blüht.

Illegales Streamen ist ein zunehmend pragmatisches Business: Die zentralen Kennzahlen sind neben Klicks vor allem Übertragungsqualität, eine breite Auswahl an Sportevents und Kundenzufriedenheit. Es gibt längst sehr verschiedene Geschäftsmodelle—und die stetig wachsende Zahl an Wettbewerbern zwingt die Anbieter, die Bedürfnisse ihrer User stärker in den Blick zu nehmen.

Selbst Adware—die Existenzgrundlage der meisten Piraten-Seiten—wird von manchen Seiten mittlerweile sparsam eingesetzt. Auch auf besonders renitente Banner, die den Adblocker knacken, wird häufig verzichtet. Es reicht nicht mehr, die Streams einfach nur hochzuladen und darauf zu hoffen, dass Nutzer die Ad-Schwemme in Kauf nehmen, es notwendige Bedingung für ein ansonsten kostenfreies Produkt akzeptieren. Das Konkurrenzangebot ist mittlerweile zu groß und zu hochwertig, das genervte Publikum kann jederzeit abwandern.

Die Plattform StreamHunter.eu kommt beispielsweise mit relativ wenigen Bannern aus, im Schnitt drei pro Stream, die sich problemlos wegklicken lassen. Auch die Verbreitung von Malware, ein durchaus lukrative Geschäftsstrategie, ist unter vielen professionellen Streamern mittlerweile verpönt. Sollte sich Schadsoftware in die Werbebanner schleichen, werde die Firma umgehend informiert, den Banner von der Seite zu entfernen, erklärt der Betreiber gegenüber Motherboard.

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Auch der Streaming-Aggregator Streamwoop entspricht kaum dem Bild, das die Industrie von den Streamern zeichnet. Auch er fand erst über seine Fußballleidenschaft zum Streamen sowie über den Wunsch, die Angebotsseite auf dem Streaming-Markt weiter zu verbessern. „Eines Tages habe ich 75 Minuten gebraucht, um ein Spiel meines Lieblingsvereins zu finden, das nicht zu den europäischen Top-Teams gehört." Dann entschloss er sich, den globalen Sport-Index zu starten. Seitdem betreibt er Streamwoop als Hobby, die Einkünfte durch Banner reichen gerade so für die schwarze Null.

Die Gefahr, sich über Pop-ups Schadprogramme auf die Festplatte zu laden, bestehe durchaus, so der Computerwissenschaftler. Es gebe genug Seiten, die sich auch über Malware finanzieren, manche Werbepartner zahlen Boni für die Verbreitung der Schadsoftware. Aber langfristig rechne sich das nicht: „Am Ende verlierst du das Vertrauen deiner Nutzer", weiß der Streamer.

Ob er ein moralisches Dilemma beim Anbieten illegaler Streams sehe? „Teilweise." Denn die Sender bezahlen viel Geld für Übertagungsrechte, aber „das ist nun mal das Internet".

Riesige Werbeeinnahmen—theoretisch

Wie hoch die Umsätze der Streaming-Community tatsächlich sind, lässt sich nur vage schätzen. Wahrscheinlich ist, dass die Seiten ihre Werbeeinnahmen über spezielle Affiliate-Programme generieren, die die Partner untereinander vernetzen, ohne den rechtlichen Status zu prüfen. Die Affiliate-Netzwerke sind im Prinzip Listen von Unternehmen, die unterschiedliche Werbeverträge anbieten und nach Webseiten suchen, die ihre Banner übernehmen. Tatsächlich steckt hinter Streaming-Seiten häufig ein gut verschleiertes System von Werbebannern, die den illegalen Seiten zuarbeiten ohne klar mit ihnen verbunden zu sein. Von der polizeilichen Zerschlagung von Kino.to durch deutsche Ermittler beispielsweise blieb das dahinter stehende Ad-Netzwerk offensichtlich weitgehend verschont—denn obwohl Kino.to abgeschaltet war, tauchten wenig später dieselben Werbeanbieter auch auf dem Nachfolger Kinox.to auf.

Meist werden die illegalen Streaming-Plattformen von zwischengeschalteten Agenturen mit Werbe-Content bedient, die im Auftrag von Unternehmen deren Ad-Vermarktung übernehmen. Wer am Ende die Banner kauft und wo die Werbung letzten Endes landet, geschieht bisweilen auch ohne das Wissen der ursprünglichen Auftraggeber. Sogar Airbnb und Vodafone sollen in die Affiliate-Falle getappt seien, indem sie Werbung auf illegalen Streaming-Seiten platziert hatten—„unbeabsichtigt", wie es heißt.

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Wie genau sich die Piraten-Streams an den Ad-Töpfen bedienen, lässt sich nicht eindeutig sagen. Die Szene schweigt dazu, über Zahlen redet man ungern. Doch die Geschäftsmodelle dürften sich nicht allzu groß vom üblichen Online-Marketing unterscheiden, verschiedene Szenarien sind denkbar: Umsätze können darüber generiert werden, wie häufig ein Banner erscheint (CPI oder „cost per impression"), wie oft er geklickt wird (PPC bzw. „pay per click"), oder ob ein Klick zu einem Kauf führt (CPA bzw. „cost per action"). Welches Modell gewählt wird, hängt vom jeweiligen Werbepartner ab sowie von der Erwartung des Seitenbetreibers, mit welchem Modell sich die höchsten Gewinne erzielen lassen.

Entscheidend bei allen drei Modellen ist die Konversionsrate: Wer mehr Seitenaufrufe oder Klicks verbucht, fährt, logisch, mehr Umsätze ein.

Während die tatsächlichen Umsätze pro Klick, Seitenaufruf oder Kaufaktion von Affiliate zu Affiliate variieren, lässt sich für das Jahr 2015 eine durchschnittliche RPM-Rate—„revenue per thousand impressions"—auf circa 2,40 Euro beziffern, Tendenz steigend.

Für die StreamHunter ergibt sich damit—rechnet man die 180.000 Aufrufe vom Oktober 2015 beispielhaft auf das gesamte Jahr und legt die durchschnittliche Anzahl von drei Bannern pro Stream zugrunde—eine jährliche Summe von 466.560 Euro. Für den Marktprimus Livetv.ru – legt man dieselben (hypothetischen) Maßstäbe zugrunde – würde sich sogar ein Jahreseinkommen von 840 Millionen Euro ergeben.

Ob diese Rechnung die tatsächlichen Umsätze der Streaming-Piraten widerspiegelt, lässt sich selbstverständlich nur mutmaßen. Zumindest gibt sie eine ungefähre Vorstellung davon, in welcher Dimension sich die Einkünfte gut besuchter Streaming-Seiten theoretisch bewegen.

Die hohe Summen könnten erklären, warum Sky seine Anti-Piraterie-Einheit so entschlossen in den Kampf schickt, warum diese es „unwahrscheinlich cool" findet, einen Stream genau in dem Moment zu kappen, „wenn der Schütze beim Elfmeter anläuft." Doch so cool das aus Sky-Sicht auch sein mag, die Streamer bei ihrer Arbeit zu stören, eine wirkliche Bedrohung für das Piraten-Gewerbe sind die Verteidigungstruppen des Senders nicht. Die Erfolge, die die Piraten-Jäger bislang vorweisen können, sind mehr als dürftig.

Auch StreamHunter.eu berichtet von „täglichen Angriffen" auf die Website, doch sei bisher keiner dabei gewesen, der das Projekt ernsthaft gefährden könne. „Unser Verteidigungssystem ist sehr stark", ein Abschalten der Seite sei mittlerweile „unmöglich".

Und so lief auf das Halbfinale zwischen Bayern und Atlético am Dienstag störungsfrei und hielt den Attacken der großen Sender über 90 Minuten stand. Insgesamt 90.000 Nutzer schauten die illegale Übertragung auf StreamHunter.eu, in akzeptabler Qualität und natürlich kostenfrei. Die Schadenfreude, den Stream beim Elfmeter der Bayern abzuschalten, war den Sky-Jägern nicht vergönnt. Vielleicht beim nächsten Mal.

Redaktionelle Mitarbeit: Markus S. Hofmann