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alles für den verein

Warum ich alleine die besten Auswärtsfahrten hatte

Ihr würdet alles für euren Verein tun? Doch wenn niemand mitkommt, dann geht ihr auch nicht ins Stadion? Und erst recht nicht auswärts? Dann solltet ihr diesen Artikel lesen.
Foto: Imago

Erst vor einer Woche sagte ein Kumpel zu mir: „Ich finde das schon verrückt, dass du ganz alleine auswärts fährst. Ich würde für meinen Verein zwar auch viel auf mich nehmen, aber alleine?" Ich fahre gerne alleine zu Auswärtsspielen. Ich wurde auch schon gefragt, ob ich eigentlich keine Freunde habe oder ob mir nicht langweilig wird, wenn ich alleine im Block stehe und mit niemandem bei einem Bier über die völlig hirnverbrannte Auswechselung in der 75. Minute philosophieren kann.

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Für mich ist das nicht komisch, alleine zu einem Auswärtsspiel zu fahren. Das gehört für mich zum Fan-Dasein genauso dazu, wie vor einem wichtigen Spiel im Trikot zu schlafen. Sorry, aber in meinen Ohren klingt das irgendwie nach Heuchlerei, wenn jemand sagt „Alleine auswärts fahren würde ich mir nicht geben". Auf der einen Seite den Harten mimen, sich das Vereinswappen über das Herz tätowieren lassen und nach dem Motto „Leben und Sterben für den Verein" leben, dann aber nicht mal die Cojones haben, alleine auf ein Auswärtsspiel zu fahren. Wenn du deinen Verein wirklich liebst, ist dir kein Weg zu weit, kein Umstand zu groß–dann machst du es einfach. Auch alleine. Es geht mir einfach darum, meinem Verein beizustehen, auch wenn er irgendwo in der Pampa wieder mal völlige Grütze zusammenkickt. Wenn ich nur zum Fußball gehen würde, weil ich mir dort mit Freunden gepflegt einen reinlöten möchte, könnte ich genauso gut mit ihnen in einer Kneipe rumlungern.

Dass ich alleine auswärts fahre, hatte seinen Grund. In den letzten fünf Jahren bin ich acht Mal umgezogen. Und was soll man machen? Die Tapete ändert sich vielleicht, deine Fußball-Bettwäsche aber bleibt dieselbe. Obwohl, oder gerade weil, ich woanders hinzog, begann ich auf Auswärtsspiele meines Teams in der neuen Stadt zu gehen. Erst mit Freunden, die mich besuchten. Weil sich aber nicht zu jedem Auswärtsspiel Besuch ankündigte, gestaltete ich meine Not zur Tugend um und ging schließlich alleine zu den Spielen. Seither war ich einige Male alleine bei Auswärtsspielen. Auch weiter weg.

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Alleine fahren heißt nicht alleine sein; Foto: Imago

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: die Auswärtsfahrten, die ich alleine gemacht habe, waren bisher meine mit Abstand besten. Ich habe dort Dinge erlebt, die ich mir vorher nicht mal im Ansatz so habe ausmalen können. Ich habe Leute kennengelernt, die mich in ihre Fankneipe mitgenommen haben, mit denen ich am Ende des Spieltags auf dem Balkon einer Plattenbausiedlung Bier getrunken und über Fußball gequatscht habe. Das ist für mich das Besondere am Alleine-Fahren: du kommst mit Geschichten heim, die du niemals erlebt hättest, wenn du in der Gruppe unterwegs gewesen wärst. Denn da bleibt man ja gerne unter sich. Mit gegnerischem „Abschaum" abzuhängen, käme der Todsünde gleich. Aber mich interessiert genau das. Ich habe Bock darauf, Leute kennenzulernen. Auf sie zuzugehen, sie zu fragen, wie sie das Spiel fanden. Sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen, sich dafür rechtfertigen zu müssen, weshalb man Fan vom „falschen" Verein ist. Am Ende verbindet uns doch alle die Liebe zum Fußball. Da ist es egal, ob du dich mit einem Fan von Carl Zeiss Jena über deren Initiative zum Erhalt ihrer Südkurve unterhälst oder am Strand in Brasilien mit einem Opa über Neymars Tore bei Olympia.

Ich habe für mich entschieden, auf Auswärtsfahrten nach dem Ungewöhnlichen zu suchen. Die beiden wohl lustigsten Erlebnisse ereigneten sich bei einer Auswärtsfahrt in Köln im vergangenen Jahr und bei einer Auswärtsfahrt voriges Wochenende, das in Potsdam endete. In Köln war ich, so vermute ich heute, vermutlich derart frustriert über die Niederlage meiner Mannschaft, dass ich am Bierstand vor dem Stadion ein weiteres Kölsch orderte. Dabei sprach mich ein Kölner von der Seite an. Ein paar Minuten später stand ich auch schon mit ihm in einer Effzeh-Fankneipe und trank mehrere Stunden auf seine Kosten Bier. Als ich mich eigentlich auf den Heimweg machen wollte, lernte ich in der Straßenbahn noch eine Gruppe von Fans beider Seiten kennen, die mich fragten, ob ich nicht noch mit ihnen einen Absacker nehmen wollte. Ich bejahte. Später fand ich heraus, dass der Älteste in der Runde ein ehemaliger Jugendscout bei Schalke 04 war. Die Nacht endete in der Wohnung von Sabine, der Schwester einer der drei Fans. Wir verabredeten uns für die nächste Woche, aber leider wurde daraus nichts mehr.

Vergangenes Wochenende sprach ich im Zug gezielt Fans an, die mir schon vorher durch ihre lautstarken Bemerkungen und einen Fischerhut aufgefallen waren. Wir unterhielten uns über das Spiel, über unsportliches Verhalten der Fanlager. Einer der beiden Kerle erzählte mir daraufhin, dass er die Auseinandersetzung auch nicht unbedingt meiden würde. Sie luden mich noch auf ein Bier in ihrer Wohnung in Potsdam ein. Ich fuhr mit. Im Nachhinein vielleicht etwas leichtsinnig, aber ich hatte einen witzigen Abend und sah zum ersten Mal einen Plattenbau in Potsdam von außen und innen. Lernte, dass auch Rowdys in ihren eigenen vier Wänden Spießer sein können. Vielleicht sehe ich die Jungs sogar nochmal wieder, denn einer der beiden lieh mir ein Buch von einem Journalisten, dem es seiner Meinung nach gelingen würde, über Fanausschreitungen objektiv zu berichten. Mal abwarten. Aber es wäre ja ein Grund, sich nochmal zu treffen.

Nicht nur einmal habe ich von Personen, die ich auf meinen Fahrten kennengelernt habe, gehört: „Respekt, dass du alleine fährst und das auch noch als Frau". Für mich ist das, wie gesagt, keine große Sache. Es macht mir mittlerweile richtig Spaß. Und wenn ich mal ehrlich bin, hat es auch noch einen weiteren großen Vorteil: Du musst nie auf den einen besoffenen Kollegen warten, der dir hoch und heilig versprochen hat, er hätte gerade erst geschifft und man könnte sich ruhig auf den Heimweg machen. Nach fünf Minuten lallt es einem erfahrungsgemäß dann nämlich doch ins Ohr: „Ich müsste nochmal schnell pinkeln".