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spruchband-interview

Wir haben einen RB-Leipzig-Ultra mit Anti-RB-Bannern konfrontiert

Spruchbänder gegen RB Leipzig sind in der Regel hasserfüllt, manchmal aber auch witzig-konstruktiv. Die aktive Fanszene der Bullen reagiert selten auf sie. Wir haben ein Mitglied der „Red Aces" gebeten, genau das zu tun.
Alle Fotos: Imago

Während immer mehr Medien und der gemeine Deutschlandfan RB Leipzig als Bayern-Jäger Nummer 1 feiern, bleibt der Protest der aktiven Fanszene hartnäckig. Das Konstrukt RB Leipzig ist eben als Hassobjekt wie gemalt. Das äußert sich mal in Boykotten, mal in gefluteten Toiletten in der Red-Bull-Arena und mal in einem toten Bullenkopf. Doch am deutlichsten bringen Fans und Ultras ihre Kritik in Spruchbannern zum Ausdruck.

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Jedes Mal, wenn der Brauseverein zu Gast ist, wird einiges an Tapete verschlissen. RBs Ultras reagieren in der Regel nicht auf die Provokation, deswegen haben wir ein Mitglied der Fan-Gruppierung „Red Aces" gebeten, genau das zu tun. Malek* und seine Gruppe sind mitverantwortlich für die Stimmung in der Kurve, basteln Choreos und kritisieren auch mal den Verein—so wie Ultras das eben tun, auch wenn er sich mit dem Begriff „nicht identifizieren kann". Er und seine Gruppe beschreiben sich als „selbstbestimmt und frei", obwohl der eigene Klub das in der heilen Werbewelt der Red-Bull-Arena eigentlich gar nicht will. VICE Sports konfrontierte Malek mit Protest-Bannern von anderen Fanszenen, um seine Meinung darüber zu hören und zu erfahren, wie man als aktiver RB-Leipzig-Fan Teil einer Subkultur sein kann, deren größter Gegner die Methoden des eigenen Klubs sind.

„Ein Österreicher ruft und ihr folgt blind. Wo das endet weiß jedes Kind. Ihr wärt gute Nazis gewesen!" (Erzgebirge Aue)

Malek: Das war eines der schlimmsten Spruchbänder, die es gegen RB je gegeben hat. Es wurden einfach die Verbrechen des NS-Regimes bagatellisiert und auf uns umgemünzt. Das ist keine Kritik, sondern nur dämlich und revisionistisch. Zudem wären viele Dinge nicht möglich, wenn wir einfach nur „blind folgen" würden. Wir organisieren uns als Gruppe frei, machen das, worauf wir Lust haben, und sind selbstbestimmt. Wir tragen nicht alles, was der Verein macht. Natürlich muss man immer ein bisschen realpolitisch sein. Wir müssen mit dem Verein reden und auch immer ein bisschen mit ihm kooperieren. Aber es gibt natürlich Sachen von uns, die der Verein kacke findet, und Aktionen des Vereins, die wir kacke finden.

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„Egal in welcher Liga: Nein zu RB.de" (Borussia Dortmund)

Wenn ihr „Nein zu RB" sagt, wozu sagt ihr denn dann „Ja"? Wir nehmen dieses riesige Zweckbündnis aus mitunter komischen Schulterschlüssen natürlich wahr. Für mich ist die Kritik aber oftmals nicht sehr gehaltvoll. Wenn die Fanszene des FSV Frankfurt sagt, dass sie nicht nach Leipzig fahren, weil sie im Stadion nicht ihre freie Meinung äußern können, dann kann ich das klarer nachvollziehen, als wenn eine andere Szene sagt: „Wir fahren da nicht hin, weil die scheiße sind." Das ist zu plump. Sie sollen uns lieber in Grund und Boden singen und offen im Stadion protestieren, als auf irgendeinem Sportplatz einen Ochsen zu schlachten.


„Hier stirbt Tradition!" (Darmstadt 98)

Ich kann die Ängste und die Überforderung vor der Kommerzialisierung des Fußballs verstehen. Ich kann auch die Kritik verstehen, dass bei Red Bull mitunter demokratische Werte mit Füßen getreten werden. Wir finden diese Farmteams in Salzburg oder Liefering auch wettbewerbsverzerrend—ebenso wie die Transferschieberei. Aber was meint denn diese verkürzte Aussage „Hier stirbt Tradition"? Da wird immer ein fragwürdiges Idyll mit poststrukturalistischen Zügen heraufbeschworen, welches die eigene Warenförmigkeit komplett ausklammert. Ich habe nur in wenigen Stellungnahmen gelesen, wie der Fußball denn nun bleiben soll. Mir fällt da nur eine gute Stellungnahme ein: Die aus Bremen traf den Nagel auf den Kopf.


„Wir sind die, die ihr gern wärt!!!" (Dynamo Dresden)

Ich weiß nicht, von welcher Dynamo-Fangruppierung das kommt, aber wenn man den K-Block als homogen betrachtet, würde ich das zurückweisen. Da bin ich froh, nicht wie die zu sein. Ich hab keinen Bock in einer prolligen Kurve zu stehen, die von dumpfen Männlichkeitsriten dominiert wird, ihre Vernichtungsfantasien offen auslebt und extrem gewaltverherrlichend ist. Da hat bei uns keiner Bock drauf. Da lache ich eher müde drüber. Wir versuchen andere Werte aufleben lassen. Wir müssen uns auch keine Attitüde anheften, damit uns andere als „Ultras" sehen, sondern machen unser eigenes Ding, ohne dabei irgendetwas nachzueifern.

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„Das höchste Gut der Fans ist die Mitbestimmung!" (Union Berlin)

Da gebe ich ihnen auf jeden Fall recht. Wir würden uns auch wünschen, wenn die Fans im Verein mehr mitbestimmen könnten. Keiner von uns ist einer von den 17 „glorreichen" Mitgliedern bei RB. Mitgliederversammlungen sind sicherlich wichtig, aber man muss auch auf die Realität schauen. Bei welchen Themen dürfen Fans auf diesen Versammlungen überhaupt noch etwas entscheiden? Weil fast alle Vereine als Kapitalgesellschaft ausgegliedert werden, haben die Fans nicht mehr viel Mitspracherecht. Die meisten Entscheidungen werden viel eher getroffen, wenn sich Leute in Initiativen zusammenschließen und sich dann mit dem Verein an einen Tisch setzen. Bei uns ist das ebenfalls möglich, weil wir ein—momentan—gutes Verhältnis zum Klub haben.


„Wir wollen auf den Thron zurück! Deutschlands meist gehasster Verein - TSG 18,99 € Hoppenheim" (TSG Hoffenheim)

Ich finde es persönlich ziemlich lustig—ich mag ironische Spruchbänder. Wir werden ja gerne von Ultra-Deutschland als das größte Übel der Kommerzialisierung angesehen. Ich denke, wir sind anders zu bewerten als Ingolstadt oder Hoffenheim—einfach auch, weil da mit Leipzig als Sportstadt noch etwas dahinter ist. Es nerven mich aber andere Sachen mehr als die Tatsache, dass wir als meistgehasster Verein bekannt sind. Es wäre cool, wenn Fußballkultur so ausgelebt wird, dass man nicht die ganze Zeit Angst haben muss umgeklatscht zu werden. Sticheln geht klar, aber dieses hasserfüllte Ausleben von Gewalt nicht. Soll heißen, dass ein offener kreativer Schlagabtausch wünschenswert ist, der jegliche Diskriminierung ablehnt.

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„Den Bullen keine Anerkennung!" (Union Berlin)

Ich wage zu bezweifeln, dass wir als Szene oder auch der Klub in zehn Jahren bei allen Fans richtig anerkannt sein werden. Das ist auch gar nicht unser Anspruch. Die Kritik geht ja etwas zurück, aber trotzdem wird da wohl immer etwas mitschwingen. Aber auch der kritische Blick von uns darf nicht einschlafen. Ich kann da nur wieder sagen: Man sollte RB durchaus kritisch beäugen, aber man muss auch andere Klubs ohne diese doppelten Standards genauso kritisch betrachten. Diese Personifizierung des Übels—also dass Red Bull für die Kommerzialisierung des Fußballs verantwortlich gemacht wird—ist Schwachsinn. Diese einseitige Schuldprojektion, die Red Bull als Dämon sieht, der die heile Tradition angreift, ist regressiv.


„Nur weil ihr mal unzensiert Spruchbänder zeigen dürft, müsst ihr net jeden Scheiß malen." (Darmstadt 98)

Ich weiß gar nicht, worauf sie sich da bezogen haben. Wenn wir denken, dass es nötig ist, uns zu guten oder auch schlechten Dingen zu äußern, dann tun wir das—egal wie Darmstadt das findet. Wenn etwas verboten wird, dann haben wir auch die Möglichkeit, es ins Stadion zu bringen. Manchmal ist da bei uns in Leipzig natürlich schon die Meinungsfreiheit absolut eingeschränkt, was klar antidemokratisch ist und wo wir intervenieren müssen, egal ob es uns betrifft oder die Gästefans. Vom Verein gibt es da immer ganz krude Argumentationsversuche, wie dass sie das Stadion nicht politisch aufheizen wollen. Nach dem Köln-Spiel wurde uns ein Banner mit der Aufschrift „Eine Sitzblockade erzeugt mehr Aufsehen als ein rechter Bombenanschlag in Dresden" nicht genehmigt. Ich denke, diese Kritik ist unsere Aufgabe. Ohne arrogant zu klingen, aber wenn es uns und die Rasenballisten nicht gäbe, würde sich kaum jemand über Diskriminierung im Stadion äußern. Wir werden unseren Kampf für solch wichtige Statements weiterführen.

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„In Leipzig Lok und Chemie" (FC Heidenheim)

Wir sind alle anders bei RB gelandet: Manche von uns waren fußballinteressiert, aber noch ohne Verein, andere haben in jüngeren Jahren mal bei anderen Klubs vorbeigeschaut. Lok war für mich nie eine Alternative, weil ich zu wenig mit dem Klub gemeinsam habe—alleine wegen dieser Naziverflechtungen. Ich würde mich da nie reinwagen ins Stadion, weil es da extrem patriarchal abläuft und man als alternativer Mensch schnell auf die Fresse kriegt. Viele der Grundwerte von der Chemie-Fanszene sind Punkte, die wir ebenfalls teilen. Aber irgendwie bin ich beim ersten RB-Spiel gegen Jena gelandet und seit 2009 geblieben. Dort hatten wir die Möglichkeit, etwas neu aufzubauen und vielleicht nicht in eine straffe Fankurve zu kommen, wo man das Gefühl hat, dass alles schon vorgegeben ist und man selbst nicht mehr viel entwickeln kann. Was nicht heißt, dass dies in allen Fankurven der Fall ist.


„Lieber Pfeffi und 5,0 als die Jauche von Red Bull!!!" (Dynamo Dresden)

So ein Spruchband ist mir lieber als der plumpe Rest. Dem Pfeffi kann ich absolut zustimmen und es auch noch unterstreichen. Von dem sind nicht nur die Dresdner, sondern auch die Leipziger große Freunde. Gegen 5,0 habe ich persönlich auch nichts. Wer Red Bull trinken will, der soll es trinken—ich bin kein Fan davon. Es ist ja auch Quatsch, dass jetzt unser Konsum von Red Bull wegen der Leidenschaft für den Klub angestiegen ist. Bei uns gibt es ja kein Gratis-Red-Bull im Stadion und wir füllen auch unseren Fahrer nachts auf der Auswärtsfahrt nicht damit ab. Wenn ich über unseren Hauptsponsor entscheiden dürfte, fänd' ich Pfeffi oder Club Mate schon cooler.

Das Interview führte Benedikt Niessen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie

*Malek heißt eigentlich anders und wollte, dass wir ihm diesen anonymisierten Namen geben.