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Wie du zum Erfolgsfan von Bayern (oder Dortmund) wurdest

Bayern-Fans sind Erfolgsfans, BVB-Fans lieben echter und Anhänger von RB Leipzig sind nur Kunden—so die gängigen Klischees über Deutschlands Fußballfans. Doch wie wird man zum Fan eines Vereins? Wir sprachen mit einem Fanforscher.
Foto: Imago

Dein bester Kumpel ist Bayern-Fan, aber war noch nie im Stadion? Dein Kollege liebt Borussia Mönchengladbach, obwohl er vor drei Jahren noch HSV-Fan war? Deine Schwester mag den BVB, weil Mats Hummels so süß ist? Fast jeder Deutsche sympathisiert mit einer Fußballmannschaft, doch wie wird man eigentlich zum Fan eines bestimmten Vereins?

Das hat viel mit Zufällen zu tun, aber es gibt auch Kriterien, die wesentlichen Anteil daran haben, wie man zu seiner Lieblingsmannschaft findet. Das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld erforscht in dem deutschlandweiten Projekt „Bielefelder Fußballfan-Studie" (BiFans) die Fankulturen und die Identifikation von Fans mit Fußballvereinen der ersten bis dritten Liga. Wir haben mit dem Sozialwissenschaftler Dr. Martin Winands von BiFans gesprochen.

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VICE Sports: Von welcher Fußballmannschaft sind Sie Fan?
Dr. Martin Winands: Ich bin Fußballfan, aber von welcher Mannschaft, ist für meinen Beruf nicht relevant. Ich versuche das zu trennen, weil ich mich als Wissenschaftler und Forscher sehe—nicht als Fan. Ich gehe da sehr distanziert heran, sonst verstellt das schnell den Blick auf den Gegenstand. Die Distanz auf den Fußball nimmt sowieso immer weiter zu, je stärker man sich professionell damit befasst.

Wie findet ein Fan seinen Verein?
Es gibt ganz unterschiedliche Gründe und lässt sich nicht pauschal sagen. Ein wichtiger Punkt ist der lokale Bezug, aber natürlich spielt da auch das Erfolgskriterium und das persönliche Milieu eine Rolle. Um uns herum gibt es viele Kreis- oder Bezirksligisten, aber die meisten Fußballfans wenden sich einem Großverein zu, der in den oberen Ligen und in der Nähe spielt. Die Fußballsozialisation im jungen Alter mit einer frühen Stadionerfahrung ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Viele Fans wurden von Familienmitgliedern wie dem Vater, dem Onkel oder dem älteren Bruder mit ins Stadion genommen. Das ist im Fußball meistens sehr männlich geprägt.

Wie suchen die Vereine sich ihre Fans?
Die Vereine versuchen die Leute vor allem pathetisch über die lokale oder die Gefühls-Ebene zu fassen. Nicht umsonst werben sie mit dem Lokalkolorit und Slogans wie „Echte Liebe" oder „Mai san mia" und nennen sich „Malocherklub".

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Es gibt aber auch genug Fans die aus einer anderen Region kommen. Wie wird man Erfolgsfan von Bayern München?
Erfolgsfan ist so ein Wortkonstrukt, das in der Fanszene kursiert. Viele Fans spielen selber Fußball und wählen Vereine aus, die erfolgreich sind und oft im Fernsehen zu sehen sind. Mit Vereinen wie Bayern München kommt man schon oft als Kind in Kontakt—gerade auch dann, wenn andere Reize oder Bezugsvereine in der Region nicht gegeben sind.

Wie viele Erfolgsfans sind nach den spektakulären TV-Auftritten in den letzten Jahren bei Borussia Dortmund hinzu gekommen?
Genau kann ich das natürlich nicht sagen, aber die fulminante Entwicklung der Mitgliederzahlen zeigt, dass die letzten erfolgreichen Jahre sehr anziehend für Fans waren. Es kommen schon länger nicht mehr nur Fans aus dem großen Einzugsgebiet des Ruhrgebiets, wo sich der BVB mit vielen anderen Vereinen konkurriert, sondern aus ganz Deutschland. Das ist ähnlich wie in den 1970er und 80er-Jahren, als Vereine wie Borussia Mönchengladbach, Eintracht Frankfurt und der 1. FC Köln nationale und internationale Erfolge erzielten und viel über sie berichtet wurde, so dass sie bis heute deutschlandweit viele Anhänger haben.

Wer ist eigentlich Eintracht Frankfurt-Fan?

Bayer Leverkusen gewann Ende der 80er-Jahre den UEFA-Cup und spielt seit Jahren attraktiven Fußball, warum fuhren nur 200 Fans zum wichtigen Quali-Spiel nach Rom?
Trotz der langen Vereinsgeschichte des Werksklubs Bayer Leverkusen sind sie im Vergleich zu den großen Traditionsvereinen erst spät in den Profifußball aufgestiegen. Die meisten Vereine mit vielen Fans, die oft als Traditionsklubs bezeichnet werden, spielen seit 50 oder 60 Jahren fast immer in einer der höchsten Spielklassen. Es haben sich zudem Vereinsbeziehungen in den Familien und Freundeskreisen so etabliert, dass es dort absolut normal ist zu einem bestimmten Verein zu halten. In Leverkusen kam das sehr spät und der direkte Nachbar aus Köln hatte ausgerechnet in den ersten Leverkusener Profijahren mit die erfolgreichste Zeit der Vereinsgeschichte. Dennoch hat sich in Leverkusen im Vergleich mit den 80er- und 90er-Jahren sehr viel entwickelt.

Erfolg und die regionale Konkurrenz machen einiges aus. Könnte RB Leipzig in Zukunft in Ostdeutschland der beliebteste Verein werden?
In Leipzig gibt es seit vielen Jahren schon keinen Profifußball mehr, die Menschen haben die Attraktivität des großen Bundesligafußballs vermisst und das große Einzugsgebiet um Leipzig herum hat viel Potenzial für eine große Fanszene. Dennoch glaube ich nicht, dass der Verein ein ähnliches Potenzial wie Bayern München, der BVB oder Schalke 04 hat, denn die Anfangsjahre des Fußballs sind sehr entscheidend. Viele Vereine und ihre Fangenerationen haben sich in den 50er und 60er Jahren, teils noch früher, festgesetzt, als der Fußball sich als Massensport etablierte. Es wird sehr schwierig für einen jungen Verein sich deutschlandweit zu etablieren—die Räume sind vielfach schon abgesteckt. Hinzu kommt noch, dass RB Leipzig dieser bisher nie dagewesenen massiven Kritik ausgesetzt ist, welche sogar von gemäßigteren Fangruppen getragen wird.

Verlieren alte Traditionsvereine ihre Fans an neue Klubs wie Ingolstadt oder Hoffenheim?
Vereine aus großen Städten haben es immer einfacher. 1860 München, die frühe Erfolge feierten und sogar schon vor den Bayern in der Bundesliga waren, zeigen in wichtigen Relegations- oder Pokalspielen wie viel Fanpotenzial sie haben. Doch wenn solche Vereine für Jahre im Mittelmaß versinken, wird es immer schwerer sich wieder zu etablieren. Alemannia Aachen spielte beispielsweise lange im Profifußball, doch ist jetzt abgetaucht. In einer Region, in der der 1. FC Köln oder Borussia Mönchengladbach in der Nähe spielen, zieht es junge Leute eher zu solchen Attraktionen. Früherer Erfolg ist keine Garantie und Vereine können auch ihre Fanbasis verlieren.

Das Interview führte Benedikt Nießen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie