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schade klinsi

Klinsmann wollte den Fußball in den USA revolutionieren. Hat leider nicht geklappt.

Jürgen Klinsmann wurde 2011 mit großen Hoffnungen zum neuen Trainer der US-Nationalmannschaft ernannt. Doch den großen Worten folgten bisher nur sehr wenig Taten.
Foto: USA TODAY

Nur wenige Augenblicke vor dem Anstoß des WM-Vorbereitungsspiels zwischen den USA und der Türkei—das in der Red Bull Arena in New Jersey ausgetragen wurde—kämpfte sich ein US-Fan mit einem Trikot von Landon Donovan nach vorne Richtung Spielfeld. Der Fan tat das aus einem einzigen Grund: Er wollte einer Reihe von Personen—Verantwortliche des amerikanischen Fußballverbands—die Meinung geigen. Der Fan war nämlich sauer, dass sein Lieblingsspieler Donovan überraschend nicht für die WM in Brasilien nominiert wurde. Und jetzt wollte er seinen Unmut darüber lautstark zum Ausdruck bringen.

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Die Verantwortlichen verzogen keine Miene. Nur bei einem Kommentar drehten sich dann doch ein paar Köpfe um. Darin beschwerte er sich, dass die amerikanische Nationalmannschaft nur noch aus Spielern bestehen würde, die kein Englisch sprechen.

Diese Stichelei war eine Anspielung auf Jürgen Klinsmanns Entscheidung, das US-Team durch einige Spieler mit doppelter Staatsangehörigkeit zu verstärken—Spieler also, die sich für die amerikanische Nationalmannschaft entschieden haben, obwohl sie auch noch für ein anderes Land spielberechtigt gewesen wären. Diese Gruppe aus talentierten Doppelbürgern—darunter auch Jermaine Jones und Julian Green—sollte die Chance der US-Auswahl, sich für das Achtelfinale zu qualifizieren, deutlich erhöhen. Doch diverse Kritiker—wie auch dieser aufgebrachte Fan in New Jersey—hielten dagegen, dass die US-Boys am Ende gar nicht mehr so „„US" sein würden.

Man hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass Klinsmann in diesem Maß auf Spieler setzen würde, die nicht in den USA geboren wurden. Doch als er dann seinen 23 Mann starken WM-Kader vorstellte, waren es nicht weniger als 10 Spieler, die niemals ein Spiel für eine amerikanische Jugendauswahl gespielt hatten.

Klinsmanns Vermächtnis für den amerikanischen Fußball sollte eigentlich so aussehen, dass er—wie noch nie jemand vor ihm—die Jugendarbeit in den USA auf Vordermann bringt. Doch die bisherigen Resultate sehen mau aus. Darum ist Klinsmann in den nächsten vier Jahren gefordert, diesbezüglich noch das Ruder herumzureißen. Ansonsten könnte man seine Amtszeit als US-Couch getrost als gescheitert bezeichnen.

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„„Der amerikanische Fußball wird kein exportorientiertes Geschäftsmodell werden", so Sunil Gulati, Präsident des US-Fußballverbands, beim Bloomberg Sports Summit im letzten September. „„Wir werden eine Liga haben, deren Stars in den USA ausgebildet wurden."

Einem Nationaltrainer auch die Verantwortung für die Jugendförderung aufzubürden, wäre unter normalen Umständen relativ unfair. Ähnliches hat man von Klinsis Vorgängern Bob Bradley oder Bruce Arena auch nicht erwartet. Doch Klinsmann sollte den Fußball in Amerika revolutionieren—das hat zumindest der Verband immer wieder betont. Der Trainer Jürgen Klinsmann sollte in der Fußballhistorie Amerikas ohne Vergleich dastehen.

„„Ich denke, vor uns liegen viele verschiedene Herausforderungen, vor alles was das Fundament betrifft. Und unser wichtigstes Fundament ist nun mal die Jugend. Es wird also darum gehen, wie die Jugendlichen trainiert werden sollten, wie oft sie trainiert werden sollten, wie viel Zeit sie mit dem Ball verbringen sollten, und wie sie am besten ihr Talent weiterentwickeln und abrufen können", erzählte Klinsmann den Reportern bei seiner ersten Pressekonferenz als neuer US-Coach am 1. August 2011.

Als er gefragt wurde, was man strukturell am amerikanischen Fußball verändern müsse, meinte Klinsmann: „„Wir brauchen ein besseres Verständnis darüber, wie Jugendmannschaften in Zukunft spielen sollten. Das wird auch eines der wichtigsten Themen sein. Es wurden schon erste Jugendakademien gegründet. Diesen Weg müssen wir weiter beschreiten."

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Trotzdem vertraut Klinsmann auch nach der WM weiterhin auf Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft. Als das US-Team anlässlich eines Freundschaftsspiel gegen Tschechien in Europa weilte, erklärte Klinsmann vor den Reportern, dass er vorhabe, den Brüdern Shawn und Devante Parker—die beide in Deutschland spielen und sowohl die deutsche als auch die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen—die US-Nationalmannschaft schmackhaft zu machen.

Auch im Werben um das Ausnahmetalent Gedion Zelalem, der bei Arsenal unter Vertrag steht, hat Klinsmann Ernst gemacht—und dabei scheinbar Erfolg gehabt. Ursprünglich Besitzer eines deutschen und eines äthiopischen Passes, bestand für Zelalem die Möglichkeit, die amerikanische Staatsbürgerschaft anzunehmen, sofern sein Vater, der seit vielen Jahren in den USA lebt, vor dem 18. Geburtstag des Sohnes als Amerikaner eingebürgert wird. Und genau das ist geschehen. Kurz nachdem der Vater eingebürgert worden war, hat auch Zelalem die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen.

Obwohl es natürlich legitim ist, dass Klinsmann sowohl auf „„echte" Amerikaner als auch auf Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft setzt, ist es dennoch nicht das, was Klinsmann den Fußballfans bei seiner Vorstellung als Trainer versprach. Zumal es extrem kurzsichtig von ihm wäre, für ein paar schnelle Siege seine ursprünglichen Pläne über den Haufen zu werfen.

Und nur darauf zu setzen, dass Kinder und Jugendliche in Heerscharen Fußball spielen wollen, weil man bei der WM 2018 eventuell weit kommt, ist definitiv die falsche Taktik. Allein schon deswegen, weil man nicht davon ausgehen kann, dass in Russland der große Wurf gelingen wird. Und selbst wenn dem so wäre: Die Fußballbegeisterung nach einer WM ebbt in der Regel ziemlich schnell ab.

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Darum lautet das Fazit auch, dass Klinsmanns Leistung als Fußnationaltrainer der USA bis zu diesem Zeitpunkt nicht besser als die seiner Vorgänger war. In der Tat ist Bruce Arena bei der WM 2002 mit seinen US-Boys sogar bis ins Viertelfinale gestürmt—ein Erfolg, den Klinsmann noch nicht verbuchen konnte.

Unter Klinsmann muss das US-Team noch eine klare Spielphilosophie entwickeln. Anfangs probierte es Klinsmann mit einer offensiven Aufstellung, musste dann aber einsehen, dass es vorn schlicht und einfach an der nötigen individuellen Klasse fehlt. Darum hat er sein Team dann defensiver eingestellt und mit dieser Taktik kam er zu Überraschungserfolgen gegen Mexiko und Italien. Doch Klinsmann—ganz der Stürmer—war mit dieser Spielweise nicht zufrieden. Also hat er kurz vor der WM noch ein wenig rumexperimentiert und den Mittelfeldspieler Michael Bradley weiter vorne aufgestellt. Diese Entscheidung ging aber nach hinten los, denn Bradley hat während des Turniers nie seinen Platz in der Mannschaft gefunden.

Julian Green (links) ist einer der Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft, die Zweifel darüber aufkommen lassen, inwieweit Klinsmann wirklich auf die eigene Jugend setzt. Foto via Jaime Valdez—USA TODAY Sports

Und genau da liegt das Problem. Eine eigene Spielphilosophie zu entwickeln, ist ein langjähriger Prozess—und der beginnt schon auf der Jugendebene. Doch Klinsmann bedient sich weiterhin zahlreicher Talente aus dem Ausland, die mit den Jugendauswahlmannschaften der USA keinerlei Berührungspunkte hatten, was den Aufbau einer einheitlichen—und über Jahre eintrainierten—Spielweise erheblich erschwert. Solange man nicht umfassend auf die eigene Jugend setzt, wird Klinsmann auf dem Weg zur nächsten Weltmeisterschaft ständig seine Strategie ändern müssen.

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Zwecks größerer Kontinuität haben die amerikanischen Jugendmannschaften—auf Wunsch von Klinsmann—damit begonnen, mit ein und demselben System—einem offensiven 4-3-3—zu spielen.

„„Die Teams spielen immer häufiger schnell von hinten heraus nach vorne, was wir in der Vergangenheit so nicht gesehen haben", meint Will Parchman, Herausgeber von TopDrawerSoccer.com, eine der führenden Websites über amerikanischen Jugend- und Amateurfußball.

Doch Parchman zufolge beobachtet Klinsmann die Entwicklung der Jugendmannschaften eher aus der Ferne und legt die Verantwortung—auch auf sein Vermächtnis—in die Hände der jeweiligen Trainer. Und die bisherigen Resultate lassen noch einiges zu wünschen übrig. Die U17-Auswahl hat sich nicht für die kommende WM qualifizieren können; das U23-Team hat die Qualifikation für die nächsten Olympischen Spiele verpasst; und die U20 hat sich bei der WM 2013 nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

„„Jürgen hat immer gesagt, dass der Prozess dauern wird", so Neil Buethe, Sprecher des amerikanischen Fußballverbands, in einem Telefoninterview.

Buethe kam auch auf die großen Fortschritte zu sprechen, die man seit 2007 erzielen konnte. Doch die gingen der Verpflichtung Klinsmanns ausnahmslos voraus.

Wie damals, als er Trainer der deutschen Nationalmannschaft wurde, fand Klinsmann auch in den USA ein jüngst modernisiertes Jugendsystem vor. Denn schon 2007 hat der amerikanische Fußballverband die sogenannte Development Academy eingerichtet, eine Partnerschaft zwischen dem Verband und den Top-Jugendmannschaften des Landes.

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Jedes Jahr nehmen rund 80 Vereine im U13/14-, U15/16- und U17/18-Bereich an einer 10-monatigen Liga teil, die vom amerikanischen Fußballverband finanziert wird. Der Terminkalender erinnert sehr an den in den europäischen Spitzenligen. Während der Saison werden die Spieler kontinuierlich von Trainern und Scouts beobachtet und bewertet. Dieses System ist deutlich besser als das vorherige, bei dem Scouts der Nationalmannschaft fast nur über Mondpropaganda auf neue Talente aufmerksam wurden. Nur dass Klinsmann mit der Entwicklung und Umsetzung des Systems nicht zu tun hatte.

Buethe meint dagegen, Klinsmann habe das Jugendsystem in den vergangenen drei Jahren immer wieder beobachtet und für eine bessere Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Parteien gesorgt. Er soll sich zudem mit Trainern aus den unterschiedlichsten Bereichen getroffen und dabei neue Trainingsmethoden vorgeschlagen haben. Darum glaubt Buethe, dass Klinsmann schon bald—basierend auf seinen Beobachtungen—entscheidende Veränderungen im Bereich der Jugendarbeit vorantreiben werde.

Zudem lacht Buethe über den Vorwurf, dass Klinsmann nicht genug für die Jugendförderung getan habe. Für ihn lässt sich die Kritik am Trainer dadurch erklären, dass viele Beobachter das System hinter Development Academy noch nicht wirklich verstanden haben. Doch als wir von Buethe wissen wollten, welche konkreten Änderungen auf Klinsmann zurückgehen würden, haben wir keine Antwort bekommen.

Zwar muss man einem Trainer natürlich Zeit dafür geben, damit er Reformen umsetzen kann. Andererseits drängt sich die Frage auf, ob er nicht vielleicht schon zu lange gewartet hat. Einer der Gründe dafür, dass man sich damals für Klinsmann entschied, war sicher auch seine Aussage, schon ein super Verständnis vom amerikanischen Fußball zu besitzen.

„Ich bin wirklich glücklich darüber, dass man mir die Gelegenheit gegeben hat, Trainer der amerikanischen Nationalmannschaft zu werden. Schließlich habe ich die letzten 13 Jahre hier gelebt und dabei auch schon verschiedene Bereiche der US-Fußballszene—sei es die MLS, der Jugendbereich oder der College-Sport—kennenlernen dürfen", verkündete Klinsmann während seiner Vorstellung.

Um dann später zu ergänzen: „„Ich komme nicht als Europäer hierher. Ich habe hier 13 Jahre gelebt und glaube, über bestimmte Themen eine Menge zu wissen."

Eines dieser Themen war vermutlich auch die Jugendförderung.