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deniz naki

Der Fußball braucht noch mehr Deniz Nakis

Der Deutschkurde Deniz Naki wurde wegen angeblicher Terrorpropaganda in der Türkei angeklagt. Bis auf zwei Spieler solidarisierte sich sein kompletter Ex-Verein—und Naki denkt nicht ans Weglaufen.
Screenshot: twitter.com

„Phillipp Naki, Lasse Naki, Jeremy Naki,…"—gestern war fast jeder Profi des FC St. Pauli ein bisschen Naki. Während sich die Spieler des Hamburger Kiezklubs für das Testspiel gegen Werder Bremen (1:1) aufwärmten, trugen sie aus Solidarität für den Ex-Paulianer Deniz Naki T-Shirts mit der Aufschrift „Für Deniz" und dessen ehemalige Rückennummer 23. Damit machte der Verein öffentlichkeitswirksam auf den Fall des Fanlieblings Deniz Naki aufmerksam, der in der Türkei angeklagt wurde—wegen Terrorpropaganda.

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Und hier noch einmal im Bild: @fcstpauli Profis zeigen sich solidarisch zu Ex-Pauli-Profi #Naki @SkySportNewsHD #Werder #fcsp #23 pic.twitter.com/1bNtVjCF6X
— Jurek Rohrberg (@Sky_Jurek) 6. Oktober 2016

Naki, der mittlerweile bei Amed SK in der Kurdenmetropole Diyarbakir spielt, wurde von der türkischen Justiz vorgeworfen, in sieben Fällen auf Twitter und Facebook Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK gemacht zu haben. Dem in Düren geborenen Profi kurdischer Abstammung drohen nun bis zu fünf Jahre Haft. Der 27-Jährige erklärte hingegen, er habe Friedensbotschaften verbreiten wollen. „Ich habe nichts falsch gemacht. Ich möchte Frieden, egal welche Nationalität oder Religion die Menschen haben", sagte er heute in einem Interview mit tagesschau.de. „Bei Kurden heißt es aber sehr schnell, man sei Staatsfeind und sympathisiere mit der PKK."

Naki war vom türkischen Fußballverband bereits für zwölf Spiele gesperrt und zu einer Geldstrafe von 19.500 Türkischen Lira (rund 6.000 Euro) verurteilt worden. Der Verband warf ihm „ideologische Propaganda" und „unsportliche Äußerungen" vor. Auslöser war ein Facebook-Eintrag von Naki. Nachdem sein Verein Amed SK aus der dritten Liga furios im Pokal gegen den Erstligisten Bursaspor gewonnen hatte, schrieb Naki unter anderem, der Sieg sei denen gewidmet, „die bei den Grausamkeiten, die seit über 50 Tagen auf unserem Boden stattfinden, getötet oder verletzt wurden". Zu diesem Zeitpunkt hatte die türkische Armee seit 50 Tagen eine Ausgangssperre über die Altstadt von Diyarbakir und andere kurdische Orte verhängt. Dazu lichtete er sein kurdisches Tattoo ab: Auf seinem linken Unterarm steht „Azadi", was Freiheit heißt.

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Wir sind alle Deniz Naki. #freeNaki pic.twitter.com/PMdEsLdWG5
— FC St. Pauli Brasil (@fcstpaulibrasil) 5. Oktober 2016

Naki ist schon länger gesellschaftlich engagiert und lässt sich—wie schon zu seiner Zeit in Deutschland—nicht den Mund verbieten. In Cizre besuchte er mehrere Familien, unterhielt sich mit ihnen und spendete Geld. „Ich habe eine Familie getroffen, deren Kind getötet wurde—und sie konnten es wegen der Ausgangssperre nicht begraben. Es wurde dann vorübergehend in einer Kühltruhe aufbewahrt", erklärte er tagesschau.de. Von seinem Geburtsland fordert er im Konflikt zwischen Türken und Kurden mehr Hilfe. „Deutschland müsste als starkes Land, das für Menschenrechte einsteht, mehr Druck machen", so Naki. „Es geht in dem Konflikt zwischen Türken und Kurden nicht darum, dass sich die Kurden einen eigenen Staat hier aufbauen. Sie wollen in Frieden leben. Und sie wollen Gleichberechtigung und Gerechtigkeit."

Auch Nakis kurdischer Verein Amed SK kämpft schon länger mit Repressionen von Staat und türkischem Fußballverband: Fans des kurdischen Vereins sind bei Auswärtsspielen nie erlaubt. Der Pokalsieg gegen Bursa spiegelt den Rassismus und Nationalismus gut wider: Vor dem Spiel wurden die Spieler mit rassistischen Parolen beleidigt, während des Spiels schwenkten die Fans von Bursa nicht die Vereinsflagge, sondern die türkische Fahne. Sein Ex-Verein aus Hamburg macht sich derweil für den deutschen U-19-Europameister stark.

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Der FC St. Pauli unterstrich mit der gut in Szene gesetzten Aktion wieder einmal, dass er ein anderer Verein ist, der sich für verdiente Spieler und besondere Werte stark macht. Auf dem Spielberichtsbogen für das Testspiel prangte hinter jedem Vornamen von Spielern und Trainerteam der Nachname Naki—mit zwei Ausnahmen. Der türkische U21-Nationalspieler Cenk Sahin und der türkischstämmige Ersin Zehir aus der U19 wurden von der Aktion ausgenommen. Beide müssten bei einer Beteiligung an der Solidaritätsaktion wohl um ihre Nationalmannschaftskarrieren bangen. Dafür werden sie von einigen türkischen Fans sogar mit haarsträubenden Hitler-Gruß-Vergleichen gefeiert.

Bei @fcstpauli übrigens fast nur #Naki auf dem Platz #Werder #scspsvw pic.twitter.com/ExKMJEkFUy
— SV Werder Bremen (@werderbremen) 6. Oktober 2016

Bei der Staatsanwaltschaft sagte Naki schon aus, dass er alle Posts selbst verfasst habe. Er beweist Haltung und ist einer der wenigen Profifußballer, der den ungemütlichen Weg geht und gesellschaftliche Missstände offen anklagt. Das könnte ihm nun Ärger einbringen: Der Prozess soll am 8. November in Diyarbakir stattfinden. Dem will sich Naki definitiv stellen. „Viele Freunde aus Deutschland raten mir, ich solle zurückkommen. Aber ich denke gar nicht daran abzuhauen", erklärte er. „Ich weiß, dass ich im Recht bin—und daher habe ich keine Angst." Auch die Tatsache, dass schon einige andere Menschen wegen angeblicher Terrorpropaganda im Gefängnis landeten, macht ihm keine Angst. „Wenn ich abhauen würde, könnte das als ein Zeichen dafür gedeutet werden, dass ich doch etwas falsch gemacht hätte."

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