Wetten und Pivo trinken: Ein Freitagabend in einem Belgrader Wettbüro
Alle Fotos: Nils Bröer

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Fußball

Wetten und Pivo trinken: Ein Freitagabend in einem Belgrader Wettbüro

In Belgrad gehen Männer nicht nur für den Sport ins Wettbüro. Sie trinken günstiges Bier und flirten mit hübschen Schalterdamen. Es ist ein Fluchtort mit dem richtigen Ambiente—und gratis Lebensweisheiten der Putzfrau. Unser Autor war da.

Wir entschieden uns für „BalkanBet" in der Prizrenska 2, nachdem uns zuvor die Mitarbeiter in zwei anderen Wettbüros deutlich gemacht haben, dass Fotos nicht erlaubt sind. Das ist ansonsten auch ein absolutes No-Go, es sei denn der Vice-Autor besteht darauf. Dann muss man seinen Charme einsetzen.

Hinter einer Glaswand sitzen Sanja und Tiča, um Wetten entgegen zu nehmen. Ich entscheide mich für NK Inter Zaprešić gegen NK Zagreb um 18.00 Uhr. 370 Dinar auf einen Sieg von NK Zagreb, die Quote dafür liegt bei 3,25. Im Falle eines Siegs erhalte ich 1202,2 Dinar. Warum ich auf NK Zagreb tippe? Ich habe vor drei Jahren die Ultras von Bijeli Anđeli (weiße Engel) zu einem Spiel begleitet. Sie gehören zu den wenigen Ultras im kroatischen Fußball, die sich gegen Rechtsextremismus und Homophobie einsetzen. In Kroatien bekommen sie dafür regelmäßig von Nazis aufs Maul und machen trotzdem weiter. Außerdem haben sie mich nach dem Spiel auf ein Hardcore-Festival ins autonome Kulturzentrum Medika mitgenommen. Für mich ist das Grund genug, die Mannschaft anzufeuern, auch wenn ich ansonsten keinen blassen Schimmer von kroatischem Fußball habe. Sanja nimmt meine Wette entgegen und stellt mir einen Wettschein aus. Sie hat perfekt manikürte blaue Fingernägel.

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Es gibt sechs Tische mit jeweils drei bis vier Stühlen. In den Holzlehnen finden sich Fingernagelgroße Einstiche. Hier haben wohl schon einige Männer die Nerven verloren. Die runden Lichter an der Decke erinnern an ein umgedrehtes Lehrschwimmbecken. An der Wand steht ein Zeitungsständer, in dem sich Ausgaben des Balkan-Bet-Magazins finden. Vom Cover lächelt eine blonde Frau mit sinnlichen Lippen und großen Brüsten. Sanja und Tiča tragen weißes Hemd und Hosenanzug-Uniformen von Balkan-Bet in denen ihre Beine gut zur Geltung kommen. Die Geschlechterrollen sind klar verteilt. Frauen, die dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechen, nehmen die Wetten entgegen und bringen Getränke. Andere Frauen putzen das Klo. Die Männer saufen und zocken. Mein Fotograf (31) und Ich (26) senken den Altersdurchschnitt deutlich.

Wir setzen uns an einen Tisch mit Predrag, der inzwischen in Genf lebt und jahrelang als Sportjournalist gearbeitet hat. Er bestellt uns drei Lav-Bier und führt uns in die Welt von BalkanBet ein: „Es finden 2000 Spiele pro Monat statt, bei denen du auf alles wetten kannst. Wer schießt das erste Tor, wer führt nach der ersten Halbzeit und so weiter. Für jedes einzelne Fußballspiel gibt es 30 verschiedene Kategorien auf die man wetten kann". Predrag lebt in Genf mit seiner Frau und seinen zwei Kindern zusammen. Die Familie ist zehn Tage lang für einen Heimatausflug in Belgrad: „Meine Frau geht shoppen und ich sitze hier, schaue Sport und trinke ein Bier", das ist Predrags kurze Beschreibung des Urlaubs. „In Genf gehe ich nicht in Wettbüros, das ist langweilig. Aber hier gehört das einfach dazu. Es ist auch viel spannender."

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Pedrag

Predrag bekommt einen Anruf und steht danach auf: „Das war meine Frau. Sie ist die Chefin und ich muss jetzt leider gehen." Ich entgegne: „Aber das Spiel, dass du dir da anschaust, ist noch gar nicht vorbei?" Predrag packt seine Sachen und sagt: „Ach das. Das schaue ich aus Interesse. Ich wette gar nicht auf Fußball, sondern spiele hier so eine Art Bingo". Er steht auf und bezahlt die 390 Dinar für die drei Bier. Wir versuchen ihn davon abzuhalten, doch keine Chance. Kleiner Tipp: Wenn ihr in Serbien wirklich die Rechnung bezahlen wollt, dann tut gleich nach der Bestellung so, als müsstet ihr aufs Klo und macht es auf dem Weg. Ansonsten verstrickt ihr euch in langwierige und absurde Diskussionen darüber, wer die Ehre hat die Drinks zu bezahlen. Und ja verdammt! Es ist scheiße von euch, die Getränke von Menschen bezahlen zu lassen, die 300 € im Monat verdienen, wenn sie überhaupt das zweifelhafte Privileg genießen sich für so ein mieses Gehalt ausbeuten zu lassen. Bei Predrag ist das etwas anderes, er lebt in Genf, die umgerechnet 3,20 € werden ihn nicht umbringen.

Kurz vor Anpfiff steht Sanja von ihrem Platz hinter der Glasscheibe auf und läuft mit der Fernbedienung vor den Fernseher, um den richtigen Kanal für unser Spiel einzustellen. An einem Tisch sitzt ein Schnaps trinkender Mann mit Vokuhila. Er starrt ihr auf den Arsch und versucht zu flirten. Sanja bleibt höflich und will schnell wieder hinter der Glaswand verschwinden. Im Hintergrund plärrt die Stimme von Lady Gaga: „Touch me, touch me, don`t be shy".

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Anpfiff: Während das Wetter in Belgrad klar ist, herrscht 400 Kilometer nordwestlich in Zaprešić starker Nebel. Das dort gerade eine Fußballspiel stattfindet, kann man bestenfalls erahnen.

Minute 7: Tiča bringt dem Fotografen und mir noch ein Bier und betont: „Das mit dem schlechten Bild liegt am Nebel im Stadion. Unsere Fernseher sind sehr gut." Die Bildschirmqualität ist tatsächlich gut. Nur in Zaprešić gibt sich offensichtlich niemand die Mühe dieses Spiel ordentlich zu übertragen.

Minute 12: Typ in Jogginghose steht vor uns auf und zeigt uns seine Arschkerbe.

Minute 27: Alex Gersbach bekommt eine rote Karte. Keine Ahnung wer das ist. Wir sehen uns inzwischen das Spiel auf dem Nachbarbildschirm an. Australischer Fußball: Adelaide United gegen Sydney FC.

Minute 33: Irgendein Foul. Mehr können wir nicht erkennen. Die Putzfrau läuft durch den Raum und sammelt die zerknüllten Wettscheine auf dem Boden auf, um sie in eine große schwarze Plastikmülltüte zu packen. Die meiste Zeit hängt sie an der Bar im Nebenraum rum.

Minute 35: Während wir Bier trinken und uns unterhalten, macht mich mein Fotograf darauf aufmerksam, dass NK Zagreb ein Tor geschossen hat. Langsam regt sich in mir die Gier nach dem Gewinn. Ich will die 1202 Dinar einsacken. Die Toranzeige ist sichtbar und wird für mich interessanter als das eigentliche Spiel.

Minute 37: Nachdem das zweite Bier platt ist, muss ich aufs Klo. Ich könnte auch auf das neblige Spielfeld in Zaprešić pissen. Würde eh keiner sehen. Mein Fotograf sagt: „Warte doch auf die Halbzeitpause".

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In der Halbzeitpause gehe ich aufs Klo. Die Putzfrau wischt gerade den Boden und sagt in einem warnenden Ton: „Es ist nass und man kann sehr leicht ausrutschen. Bitte pass auf dich auf, mein Sohn." Sie sagt es in einem so eindringlichen Ton, dass ich mich frage, wie oft hier Leute besoffen auf den Boden klatschen.

Minute 46: Keine Ahnung was am Nebentisch los ist, aber der Typ mit dem Vokuhila schreit laut auf und wirft wütend seinen Wettschein in die Mülltonne.

Minute 47: Langsam verzieht sich der Nebel auf dem Spielfeld. Irgendjemand wird auf dem vom Rasen gekratzt.

Minute 49: Tiča hat sich schon lange nicht mehr blicken lassen und wir wollen unser drittes Bier. Ich stehe ich auf und laufe zur Bar in den Nebenraum. Dort erhasche ich einen Blick auf die Spielautomatenhölle. Das mit den Sportwetten kann ich ja noch irgendwie verstehen, aber das man sein ganzes Geld in so einen Automaten steckt, ist mir unbegreiflich. Auf der Spaßskala der Süchte, rangiert Spielautomatensucht ganz klar am unteren Ende.

Minute 52: Wir entdecken, dass die Bierflasche 400 ml enthält. Irgendwie verstört mich das. Wie bestellt man das: Ein mittleres Bier bitte. Entweder ein kleines Bier mit 330 ml oder ein großes mit 500 ml. Von mir aus auch Pint mit 568 ml oder eine Maß mit einem ganzen Liter. Aber für die 400 ml bringe ich null Verständnis auf.

Minute 54: Während mein Fotograf und Ich über die Arbeitsbedingungen von Journalisten im Kasachstan sprechen, sehen wir dass Zaprešić ein Tor geschossen hat. 1:1. Meine Gewinnchancen sinken. Scheiße!

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Minute 58: Zaprešić bekommt einen Elfmeter und verwandelt ihn. 2:1. Meine Aussicht auf den Gewinn geht den Bach runter. Ich will abhauen, aber mein Bier ist noch nicht leer und diese Reportage muss geschrieben werden.

Minute 66: Während ich aus Langeweile E-Mails beantworte, kommt es zum 2:2. Meine Stimmung wird besser, meine Aussichten auf den Gewinn steigen.

Minute 75: Noch ein Wettschein fliegt in den Mülleimer.

Minute 85: Zaprešić bekommt noch einen Elfmeter. Es wird spannend. JA! Gehalten! Die Hoffnung ist noch nicht noch nicht tot.

Minute 90: Fünf Minuten Nachspielzeit. Jetzt schießt endlich ein verdammtes Tor!

Minute 94: Der Torwart von NK Zagreb schindet beim Abstoß Zeit. So ausgiebig, dass er dafür eine Gelbe Karte bekommt. Alter! Ihr könntet doch wenigstens noch einen Angriff probieren. Nach seinem Abstoß pfeift der Schiri ab.

Ich zerknülle meinen Wettschein und schmeiße ihn in Richtung Mülleimer. Verdammt, nicht mal den habe ich getroffen. Ich stehe auf, hebe den Wettschein auf uns schmeiße ihn rein, damit die Putzfrau ihn nicht vom Boden aufheben muss. So viel Anstand muss sein. Wir verabschieden uns von Sanja und Tiča, bezahlen die Rechnung und entschwinden nach SavaMala. Es gibt Freitagnacht in Belgrad deutlich bessere Dinge zu tun, als in einem Wettbüro herumzusitzen.

Alle Fotos schoss Nils Bröer. Checkt seine Homepage: www.nilsbroeer.com

Tica und Sanja