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zwei wochen nach den anschlägen

​Wie der Terror den Fußballalltag in Belgien regiert

Nach den Anschlägen in Paris gibt es Terrorwarnungen in Belgien. Mehrere Spiele mussten abgesagt werden. Viele Fans dürfen nicht zu den restlichen Spielen. Die Liga will für das Chaos keine Verantwortung übernehmen.
Foto: Imago

„Im belgischen Fußball herrscht Chaos", fasst Mike Notermans, Sportjournalist der ostbelgischen Tageszeitung Grenz-Echo, mit bedrückter Stimme zusammen. Während in der Bundesliga ganz normal der Ball rollt und sogar die Spiele der französischen Ligue 1 mit einigen Einschränkungen stattfinden, werden in Belgien zahlreiche Erst- und Zweitligaspiele zwei Wochen nach den Anschlägen von Paris abgesagt. Die Liga drückt sich dabei vor der Verantwortung. Die Fans sind sauer.

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In der Region Brüssel herrschte bis Donnerstag Nachmittag die höchste Terrorwarnstufe. Durch die tragischen Vorkommnisse in Paris wurde die Lage in Brüssel ebenfalls bedrohlich. Die akuten Probleme mit radikalisierten belgischen Muslimen in Brennpunktvierteln, wie dem mittlerweile europaweit bekannten Molenbeek, sorgten für große Angst. Das Land rechnete mit einer unmittelbaren Bedrohung durch islamistische Terroranschläge. Im belgischen Fußball herrscht derweil ebenfalls eine Ausnahmesituation.

Sicherheitsmaßnahmen wurden erhöht

Am letzten Wochenende wurden sämtliche Spiele von Brüsseler Mannschaften abgesagt. „Das betraf nicht nur den Fußball, sondern auch weitere Sportbereiche wie Handball und Eishockey", erklärt Notermans. Aber auch außerhalb der belgischen Hauptstadt wurden Spiele der ersten und zweiten Liga abgesagt. So fanden die Erstligaspiele in Lokeren und Mouscron nicht statt. Zudem wurden die bisherigen Sicherheitsmaßnahmen erhöht: „Bei den Spielen sind wesentlich mehr Polizisten vor Ort, Taschen und Rucksäcke sind nicht mehr gestattet und bei den Einlasskontrollen werden die Zuschauer strenger und gründlicher abgetastet", schildert Notermans die strengen Sicherheitsmaßnahmen vor den Spielen. „Manche Spiele wurden vorverlegt, damit sie nicht in der Dunkelheit stattfinden. Auch wurde eindrücklich davor gewarnt, Pyrotechnik oder Knallkörper abzubrennen."

„In dieser Woche wurde es etwas ruhiger", so Notermans. AA Gent und der RSC Anderlecht spielten in Champions- beziehungsweise Europa-League im Nachbarland Frankreich, ohne dass ihre Fans mitreisen durften. Seit den Anschlägen in der französischen Hauptstadt fanden zwar alle Fußballspiele statt, jedoch sprach das französische Innenministerium ein Gästefanverbot für die ersten beiden Ligen, den Pokal und den Europapokal bis Mitte Dezember aus. In Belgien ging man einen Schritt weiter: Das Europa-League-Spiel zwischen dem FC Brügge und dem SSC Neapel fand wegen Sicherheitsbedenken vor leeren Rängen statt.

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Brügges Bürgermeister Renaat Landuyt entschied sich für ein Geisterspiel zwischen dem FC Brügge und dem SSC Neapel (Foto: Imago)

Fans von Standard Lüttich fühlen sich benachteiligt

Nachdem die eigentlich noch bis Montag andauernde Terrorwarnstufe 4 am Donnerstag Nachmittag schon auf Warnstufe 3 heruntergesetzt wurde, dürfen die Fans des Brüsseler Vereins RSC Anderlecht an diesem Wochenende jetzt doch ins Stadion. Anders sieht es für die Anhänger des Traditionsvereins Standard Lüttich aus, die ihr Team zum Freitagsspiel bei Zulte Waregem nicht begleiten dürfen. Der dortige Bürgermeister verbot jegliche Auswärtsfans aus Lüttich, da er für die Sicherheitslage nicht garantieren könne. „Wegen der akuten Bedrohung in Brüssel können die kleinen Polizeidirektionen nicht die nötigen zusätzlichen Polizisten anfordern oder müssen eigene Beamte sogar nach Brüssel abstellen", erläutert Notermans die angespannte Lage in Belgien.

Die Fans von Standard Lüttich beschwerten sich über die Sanktionen. „Ein Verein wie Standard Lüttich, der mit zahlreichen Anhängern zu Auswärtsspielen fährt, wird eben extrem benachteiligt", erklärt Notermans die Unzufriedenheit der Anhänger. „Es muss eine Entscheidung für die gesamte Liga getroffen werden und nicht von einem jeweiligen Bürgermeister." Die Vereine sind machtlos gegen Absagen oder Fanausschlüsse und akzeptieren die Maßnahmen. „Standard Lüttich bedauerte den Vorfall, aber geht nicht dagegen vor, sonst wäre das Spiel mit 0:5 gegen sie gewertet worden", erklärt Notermans. „Der Dachverband der Lüttich-Fans forderte, den kompletten Spieltag abzusagen, weil so für Fans, Vereine und Spieler die gleichen Bedingungen gelten würden."

Kritik an tatenlosen Ligaverantwortlichen

Trotz des allgemein großen Verständnisses für die bedrohliche Lage werden vor allem die Verantwortlichen der belgischen Liga kritisiert. „Die Jupiler Pro League hat vollkommen versagt", schildert Mike Notermans. „Sowohl das belgische Innenministerium als auch die Sicherheitsbehörden haben am letzten Wochenende eindringlich Warnungen ausgesprochen und empfohlen, den kompletten Spieltag abzusagen. Die Pro League hat sich darüber hinweggesetzt und die Spiele stattfinden lassen", kritisiert Notermans. An diesem Wochenende müssen nun die jeweiligen Bürgermeister der Städte wie im Fall von Standard Lüttich über die Bewilligung von Fans entscheiden. „Die Liga entzieht sich einfach der Verantwortung, obwohl es ihre Aufgabe ist. Das würde es beispielsweise von der DFL in Deutschland nicht geben", so Notermans.

Wie die Zukunft im belgischen Fußball aussehen wird, ist schwer abzusehen und hängt eng mit der Lage im Land zusammen. „Die Liga will auf jeden Fall so schnell wie möglich Normalität, auch weil für Wiederholungsspiele vor der EM im nächsten Jahr nur wenig Luft ist", erzähl Notermans. „Aber ich denke auch, dass es bald wieder zur Normalität übergehen wird." Zumindest die beiden belgischen Vertreter aus Gent und Anderlecht hatten bei ihren Auswärtsspielen gegen Olympique Lyon und AS Monaco keinen Nachtteil. Beide Teams konnten nämlich auch ohne Auswärtsfans gewinnen. Der FC Brügge sehnt sich hingegen nach Normalität—gestern Abend verlor man nämlich zu Hause vor leeren Rängen mit 0:1 gegen Napoli.

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