Der tiefe Fall des Walter Kelsch
Walter Kelsch bei der Präsentation des Nationalteams im Jahr 1979. Kelsch absolvierte vier Länderspiele und schoss drei Tore im DFB-Trikot. | Bild: imago.

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Der tiefe Fall des Walter Kelsch

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ex-Nationalspieler vor, bei Europas größtem Online-Drogenversand mitgemischt zu haben. Außerdem soll er Geschäftspartner um Millionen Euro geprellt haben.

Update vom 12. Oktober 2016: Am 11. Oktober 2016 gab die Landeszentralstelle Cybercrime (LZC) an der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz bekannt, dass im Zusammenhang mit dem Online-Drogenshop Chemical Love Anklage gegen sechs Personen erhoben wurde, die die mutmaßlichen Hintermänner des Drogenversands sein sollen. Darunter ist auch Walter Kelsch. Der 61-Jährige hat gestanden, den Hauptangeklagten fünfmal in die Niederlande zu Treffen mit Dealern gefahren zu haben; bestreitet aber, von einem illegalen Zusammenhang gewusst zu haben. Mehr dazu hier.

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Walter Kelsch steht kurz vor dem Ziel. Wenn jetzt alles klappt, könnte ihm sein nächster Karriereschritt gelingen und er würde endlich über Stuttgart hinaus berühmt. Doch seine Hoffnung auf den ganz großen Durchbruch zerschellt an diesem Abend an mangelhafter Koordination: Kelsch steht im Abseits. Die Bilderbuch-Hereingabe seines Mannschaftskollegen Uli Stielike versemmelt Kelsch durch falsches Stellungsspiel. Fast hätte der Stuttgarter Stürmer in seinen ersten Minuten im Trikot der deutschen Nationalelf ein Tor geschossen; stattdessen gibt es Freistoß für den Gegner. So geht die DFB-Elf in Izmir mit einem glücklosen 0:0 gegen die Türkei vom Feld—und muss weiter um die Qualifikation für die EM 1980 bangen. Kelsch darf sich danach noch drei Mal auf internationalem Niveau beweisen, dann ist er raus aus dem Team.

40 Jahre später ist Walter Kelsch erneut zur falschen Zeit am falschen Ort. Der europäische Top-Kader, in dem er bis vor wenigen Monaten durchaus erfolgreich mitspielte, hat mit Sport jedoch nichts zu tun. Der Ex-Nationalspieler wird beschuldigt, bei Europas größtem Drogenshop Chemical Love mitgemischt zu haben. Mitte April wurde der Fußballer bei einer Razzia in der Wohnung seiner Ex-Frau in Stuttgart-Degerloch verhaftet. Anlass der Ermittlungen: bandenmäßiger Drogenhandel.

Drei seiner mutmaßlichen Komplizen wurden in einem Drogendepot im rheinland-pfälzischen Rülzheim hochgenommen, eine weitere Person in Weissach nahe Stuttgart. In dem Rülzheimer Lager fanden Einsatzkräfte insgesamt 54 Kilo Amphetamin, vier Kilo Koks, vier Kilo Heroin und 25.000 Ecstasy-Pillen.

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Gegen Kelsch und neun weitere Tatverdächtige, von denen derzeit vier in Haft sitzen, ermittelt nun die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz. An den konkreten Anklagepunkten wird zwar derzeit noch gefeilt, doch die Ermittlungen werden sich noch etwas in die Länge ziehen. Der Fall ist groß: Die Verdächtigen werden beschuldigt, hinter dem millionenschweren Drogen-Multi Chemical Love zu stecken, einem Online-Versandhaus, das sowohl im Darknet als auch im Clearnet erreichbar war und Drogenpakete in ganz Europa vertickte. Zwischen Mai 2015 und der überraschenden Razzia diesen April sollen die Beschuldigten mit ihren Geschäften mehrere Millionen Euro erwirtschaftet haben.

Laut Oberstaatsanwalt Jörg Angerer, dem Leiter der Landeszentralstelle Cybercrime (LZC) Koblenz, habe Kelsch eine kleinere Rolle gespielt als seine Komplizen. Details könne er aufgrund der laufenden Ermittlungen noch nicht nennen. Der Ex-Fussballer durfte als einziger der ursprünglich fünf Festgenommenen bereits im Juni seine Zelle in Stuttgart-Stammheim wieder verlassen.

Aufschluss darüber, ob Kelsch etwas mit dem europaweit agierenden Drogenring zu tun hatte und was seine Rolle gewesen sein könnte, wird erst die Verhandlung geben. Fest steht: Der Ex-Nationalspieler hatte Zugriff auf größere Mengen Geld, noch bevor Chemical Love überhaupt an den Start ging.

Das Leben nach dem Fußball

Nach seiner aktiven Zeit als Fußballer war Kelsch zunächst als Allianz-Vertreter in der Versicherungsbranche tätig, bevor er auf Immobilien umsattelte und Investitionen vermittelte. Anders ausgedrückt: Kelsch verwaltete Geld—Geld, das ihm zwar nicht gehörte, aber das er verfügbar machen konnte, wenn er wollte. Seine besondere Fähigkeiten in seiner zweiten Karriere waren dann wohl auch Vertrauen aufbauen, Hoffnungen wecken, Leute überzeugen, kurzum: die Akquise von Fremdkapital. „Er konnte gut Geschichten erzählen und wusste wie das Leben funktioniert", erinnert sich etwa Roland Mall, ein alter Weggefährte Kelschs, im Gespräch mit Motherboard.

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Walter Kelsch im Momement seines größten Triumphs: Nach einem 1:0 Sieg gegen den HSV gewinnt sein Team 1984 die Meisterschale und Kelsch (rechts) feiert mit Karlheinz Förster und Andreas Müller. | Bild: imago.

Vor allem schien das Ex-Präsidiumsmitglied der Stuttgarter Kickers—in der Funktion unter anderem zuständig für die Jugendabteilung—ein geschicktes Händchen gehabt zu haben, wenn es darum ging, hübsche Summen im näheren Bekanntenkreis auftreiben.

Nicht nur Sportjournalisten und Staatsanwälte beschäftigen sich mit dem Fall. Auch Kelschs Freunde, die ihm in schwierigen Zeiten aushalfen, scheinen regelrecht vor den Kopf gestoßen. Laut Roland Mall—einem alten Freund aus VfB-Zeiten—habe Kelsch hauptsächlich Personen geprellt, die ihm vertrauten, und die er daher leicht betrügen konnte. Selbst ältere Menschen, deren Rente auf dem Spiel stand, habe Kelsch angepumpt, und sie mit Zinsraten von über zehn Prozent zu ködern versucht. Manche, erzählt Mall, hätten dem windigen Geschäftsmann sogar ihre Lebensversicherung anvertraut und stünden jetzt vor dem Nichts. „Walter hat Existenzen zerstört", sagt Mall trocken. Das Ganze sei eine „tragische Geschichte".

Ob die Vorwürfe, die sein ehemaliger Geschäftspartner und Mannschaftskollege erhebt, zutreffen, wird erst ein Gericht klären können. Gegenüber der Stuttgarter Nachrichten erklärte Kelschs Anwaltskanzlei mehrfach, sich dazu nicht äußern zu können.

Tragisch—und strafrechtlich relevant. Denn die Drogengeschichte ist nicht Kelschs einziges Problem, es könnte sogar sein kleineres sein: Auch das LKA Baden-Württemberg ermittelt inzwischen gegen den Sportler, ihr Vorwurf: Anlagebetrug in mehreren Fällen. Kelsch soll zahlreiche Freunde und ehemalige Geschäftspartner mit dubiosen Investitionsdeals um Millionen geprellt haben.

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Hier schien noch alles rund zu laufen: Kelsch jubelt zusammen mit Fans der Stuttgarter Kickers nach einem Sieg des Regionalligisten im Jahr 2008. | Bild: imago.

Kelschs fadenscheinige Deals sind aber nicht unbedingt neu. Laut Roland Mall, der auch geschäftlich mit Kelsch zu tun hatte, gab es schon vor Jahren die ersten Anzeichen, dass Kelsch in Schwierigkeiten stecke. Mall erinnert sich, wie ihm schon vor Jahren auffiel, dass irgendetwas nicht stimmte. Beide wechselten nach ihrer aktiven Fußballer-Zeit ins Immobiliengeschäft, aus Freunden wurden Geschäftspartner. Ein gemeinsames Projekt—die Bebauung eines historischen Grundstücks in der Stuttgarter Innenstadt—scheiterte 2013, aufgrund von „Unstimmigkeit zwischen den Beteiligten", wie es damals hieß.

Wenn man den Ausführungen von Mall glaubt, dann weiß man heute, dass die Uneinigkeit hauptsächlich finanzieller Natur war: Mall lieh Kelsch, dem das Grundstück damals gehörte, eine stattliche Summe, um den Bau eines fünfstöckigen Bürogebäudes in die Wege zu leiten. Doch zum ersten Spatenstich sei es nie gekommen. Irgendwann wurde klar, dass Kelsch immer tiefer in finanzielle Schwierigkeiten rutschte und seine Schulden nicht mehr bedienen konnte. Doch wie tief das Finanzloch zu diesem Zeitpunkt bereits gewesen sein könnte, konnte Mall damals noch nicht ahnen.

„Ich habe erst später erfahren, dass er noch bei anderen in der Kreide stand", so Mall. Ihm selbst habe Kelsch immer „tausend Geschichten" aufgetischt, warum die Rückzahlung so lange dauert. „Ich habe ihn gewarnt: Walter, bescheiß' deine Freunde nicht," erinnert er sich. Genützt hat es nichts. Roland Mall wartet bis heute auf seine 80.000 Euro.

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Walter Kelsch in seiner Zeit als Präsidiumsmitglied bei den Stuttgarter Kickers neben Vereinspräsident Dirk Eichelbaum. | Bild: imago.

Dass sein alter Fußballbuddy krumme Dinger dreht, kam für Mall „völlig überraschend". Er trat immer als seriöser Geschäftsmann auf, war ungemein ehrgeizig und wollte die ganz großen Immobiliendeals abschließen, obwohl so manches Vorhaben „eine Nummer zu groß" für ihn war, wie Mall sagt.

Roland Mall fragt sich bis heute, „in welchen Kanäle" das ganze Geld floss. Laut seinen Schilderungen stünde er mit seinen unbeglichenen 80.000 Euro im Vergleich zu den anderen Geschädigten sogar noch relativ gut da: Einer hätte Kelsch 200.000 Euro geliehen, ein anderer sogar zwei Millionen Euro. Insgesamt fünf Millionen habe sich Kelsch von seinen Kumpels gekrallt, doch wo Kelsch die Kohle geparkt hat, stünde bis heute in den Sternen.

Walter Kelschs Ruine

Für den Wunsch des ehrgeizigen Ex-Profis, immer in der oberen Liga mitzuspielen—sozusagen das Tempo zu halten—scheint das geplatzte Bauvorhaben in der Stuttgarter Innenstadt exemplarisch zu stehen: Über ein Jahr gähnte auf dem Grundstück des 1999 abgerissenen Wengerterhaus ein Loch, bis Kelschs Objektgesellschaft laut einem Medienbericht schließlich weiterverkaufte. Die Baugrube, die der Fußballer auf dem historischen Grund in zentraler Lage zurückließ, scheint sinnbildlich für seine zwielichtigen Umtriebe.

Das strafraumgroße Loch aus Schutt und geplatzten Träumen ist Kelschs Vermächtnis—wenn die Vorwürfe, die Staatsanwaltschaft und ehemalige Weggefährten erheben, stimmen, dann hat seine Karriere nach dem Fußball einige Scherben hinterlassen: Er soll Anleger geprellt, Freunde betrogen und alte Menschen um ihre Rente gebracht haben. „Walter stand mit dem Rücken zur Wand", sagt sein alter Freund Mall heute. Bald wird er sich vor Gericht verantworten müssen.

Trotzdem verspürt Mall keine Genugtuung. Ihm wäre es lieber, wenn er wieder auf die Beine kommen und seine Schulden begleichen würde. Aber das, sagt Mall, seien bloß „Seifenblasen".