Wie „You'll Never Walk Alone" zur globalen Fußballhymne wurde
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Erfolgsgeschichten

Wie „You'll Never Walk Alone" zur globalen Fußballhymne wurde

Heute Abend werden die BVB-Fans mit den Liverpool-Anhängern gemeinsam „You'll never walk alone" anstimmen. Aber warum singen weltweit Fußballfans einen Musical-Song, in dem es um den Gesang eines Vogels geht?

Wenn Borussia Dortmund heute auf den FC Liverpool trifft, dann eint die beiden Taditionsvereine nicht nur Jürgen Klopp und die weltweit bekannten Fanlager. Sowohl die Dortmunder Südtribüne, als auch Liverpools „The Kop" singen vor und oft auch während ihren Spielen You'll Never Walk Alone und sorgen mit ihren Interpretationen des Liedes nicht nur bei den eigenen Spielern und Fans für eine Gänsehaut. Was macht aber You'll Never Walk Alone zur ultimativen Fußballhymne? Und wie konnte ein Lied, das ursprünglich in den 40er-Jahren für das Broadway-Musical Carousel geschrieben wurde, zum wohl wichtigsten Stadionsong für so unterschiedliche Vereine werden?

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In gewisser Weise passt der Song nicht wirklich zur rauen Welt des Fußballs. Denn dass Fans, die ansonsten gerne mal in Richtung gegnerische Mannschaft pöbeln und den Stinkefinger zeigen, ein Lied über den Gesang von Lerchen singen, hat durchaus etwas Komisches.

Irving Berlin, einer der wichtigsten Songschreiber der amerikanischen Geschichte, soll gesagt haben, dass ihn You'll Never Walk Alone genauso sehr bewegt habe wie der 23. Psalm im alten Testament. Schwer vorstellbar, dass Berlin etwas Ähnliches über eine andere Fußballhymne sagen würde. Für eine Sportart, die nicht gerade für leise Töne und Feinsinn bekannt ist, ist You'll Never Walk Alone ein echter Segen, unterstreicht sie doch die positiven Attribute von Fußball: Gemeinschaft, Zusammenhalt und Uneigennützigkeit.

Die Dortmunder Südtribüne erzeugt vor jedem Heimspiel mit YNWA Gänsehaut (Foto: Imago)

Frank Sinatra war der erste, der den Song aufnahm. Der schaffte es in den US-Billboard-Charts 1945 sogar bis auf Platz neun. Doch erst, als Gerry Marsden von Gerry and the Pacemakers das Lied in den 60ern interpretierte, konnte man es in den ersten Fußballstadien hören. Elvis Presley, Judy Garland, Ray Charles, Shirley Bassey, Barbara Streisand, Johnny Cash, Aretha Franklin, Bob Dylan, Slade, Eric Clapton und Paul McCartney haben in der Folge allesamt das Lied gecovert, aber keiner von ihnen kam an die Marsden-Version heran.

Celtic- und Liverpool-Fans streiten sich gern darüber, wer von ihnen You'll Never Walk Alone als erstes im Stadion gesungen hat, auch wenn die weitläufige Meinung lautet, dass die Reds die „Fußballurheberschaft" innehaben. In den 60ern war es üblich, dass der Stadion-DJ vor dem Anstoß und während der Halbzeit Songs von Künstlern aus der Region abgespielt hat. Eines Tages lief auch Marsdens Version von You'll Never Walk Alone und die kam bei den Zuschauern so gut an, dass sie seit diesem Tag vor jedem Heimspiel der Reds angestimmt wird.

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Für Liverpool-Fans steht der Song aber sowohl für den besten, aber auch den schlimmsten Moment der Vereinsgeschichte. Sie sehen das Lied als ihr eigenes an, weswegen es auch im Klubwappen und auf den berühmten Shankly-Toren geschrieben steht. Für Liverpool ist es weit mehr als nur eine Hymne, es ist vielmehr sein Ethos.

„Meine schönste Erinnerung an You'll Never Walk Alone ist mit der Halbzeit im Champions-League-Finale 2005 im Atatürk-Stadion verknüpft", schreibt Autor und Reds-Fan Paul Tomkins. „Ich war komplett am Boden, als wir mit 0:3 zurücklagen und habe ehrlich gesagt sogar befürchtet, dass wir uns noch ein paar Tore fangen würden. Aber dann haben die ersten Reds-Fans im Stadion You'll Never Walk Alone angestimmt und das hat uns Fans irgendwie neue Hoffnung verliehen. Manchmal wird die Hymne bei Liverpool-Spielen angestimmt, aber ebbt genauso schnell wieder ab, weil es an dem Tag nicht so recht passen will. Doch an dem Abend wurden wir immer lauter und lauter. Welche andere Situation hätte sich auch besser für den Song angeboten als ein 0:3-Halbzeitrückstand in einem so wichtigen Spiel? Ich glaube, nichts anderes auf der Welt hätte den Fans wieder den Glauben an einen Sieg zurückgeben können. Und diese Stimmung hat sich dann auf die Spieler übertragen."

Doch die Hymne ist gleichzeitig auch mit dem wohl schwärzesten Kapitel der Reds-Geschichte verbunden, obwohl sie auch dort für Hoffnung und Neuanfang steht. Die mit Abstand emotionalste Darbietung von You'll Never Walk Alone geschah nämlich nur wenige Monate nach der verheerenden Hillsborough-Katastrophe, als zum FA-Cup-Finale 1989 über 90.000 Fans von Liverpool und Everton gemeinsam die Hymne anstimmten.

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Das Lied wurde nach der Hillsborough-Katastrophe 1989 zu einem wichtigen Ausdrucksmittel von Solidarität und Hoffnung. (Foto: EPA/PETER POWELL)

Für das beste You'll Never Walk Alone-Erlebnis in Deutschland empfiehlt sich ein Besuch im Dortmunder Westfalenstadion. Wenn dort die Südtribüne kurz vor dem Anpfiff die Hymne anstimmt, ist es das wohl einzige Stadion in ganz Europa, das sich dezibeltechnisch mit der Anfield Road messen kann.

„Für uns Borussen ist You'll Never Walk Alone ein Ausdruck unserer großen Treue", sagt Stefan Buczko, Dortmund-Fan seit Kindheitstagen. „Die Hymne ist wie ein Versprechen, dem Verein auch in schwierigen Zeiten zur Seite zu stehen. Dortmund-Fans sind stolz darauf, dass sie einfach immer ins Stadion pilgern, auch wenn die Ergebnisse nicht stimmen."

So geschah es auch vor wenigen Wochen: Die BVB-Fans stellten beim Heimspiel gegen Mainz 05 nach dem Herztod eines Fans den Support in der zweiten Halbzeit ein. Bis zum Ende des Spiels YNWA angestimmt wurde. „Das zeigt, was für eine unglaublich tolle Fangemeinde wir haben. Hier steht wirklich niemand alleine, wie es das Lied schon sagt", erklärte Mittelfeldspieler Julian Weigl nach dem Spiel. Als das Lied nach dem Spiel von den 25.000 Fans auf der Südtribüne erneut gesungen wurde, hatten manche Spieler wie Keeper Roman Bürki sogar Tränen in den Augen.

You'll never walk alone pic.twitter.com/LPkxr15qjz
— Borussen Tweets (@BorussenTweets) March 13, 2016

Geht es übrigens um die „beste" Interpretation, wähnen sich Celtic-Fans auf Platz eins. „Die Hymne passt stimmlich einfach perfekt zu Glasgow", erklärt Paul Brennan. „Nichts kann dem Song soviel Ausdruck verleihen wie das Crescendo der Massen im Celtic Park."

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Formal gesehen stellt You'll Never Walk Alone schon eine echte Besonderheit unter Fußballliedern dar. Es mag zwar einen mitreißenden Refrain haben, aber auch der kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich am Ende um eine typische Musical-Melodie handelt. Als die in den 60ern Einzug in den Stadien erhielt, war das schon eine kleine Sensation, hatten sich doch die Anhängermassen bisher auf Klatschen und Anfeuerungsrufe beschränkt. So viel ist sicher: Sie war nicht die logische Auserwählte unter allen möglichen Sporthymnen.

Für Celtic-Fan Brennan ist übrigens die Melodie wichtiger als die Lyrics, womit er jedoch der Meinung vieler Fans von anderen Vereinen widerspricht. „Der ‚silber-süße Gesang einer Lerche' hört sich für mich nach einem ziemlichen Lückenfüller an. Ich glaube, die wenigsten von uns könnten eine Lerche erkennen, geschweige denn ihren Gesang", so Brennan weiter.

Da kann sogar der Papst nicht an sich halten. (Foto: EPA/ROBERT PERRY)

„Die Wiederholungen und der einfache Aufbau sind der Schlüssel", findet der Musikjournalist Mike Diver, als wir von ihm wissen wollen, was den Erfolg der Fußballhymne ausmacht. Für ihn spielen die Lyrics durchaus eine wichtige Rolle: „Am Ende dreht sich alles um vier Zeilen, und die lassen sich auch beim ersten Stadionbesuch gut einprägen. Der Text ist leicht verständlich und spricht vielen Leuten aus der Seele. Es ist kein 08/15-Fansong, der nur den Gegner aufs Korn nimmt, sondern eine ziemliche emotionale Sache. Und Fans sind auf alle Fälle emotional, wenn ihr Team spielt."

Darum ist es am Ende auch gar nicht so überraschend, dass die Hymne so erfolgreich ist und in Stadien auf der ganzen Welt gesungen wird. Obwohl es durchaus Qualitätsunterschiede gibt, wie Brügge-Fan Steven Imschoot findet. „Bei Brügge-Spielen finde ich es irgendwie nicht so überzeugend. Es entfaltet bei Weitem nicht die Wirkung wie etwa in Liverpool, wenn es dort auf der Kop gesungen wird. Für mich ist Seven Nation Army von The White Stripes die beste Fußballhymne. Warum? Weil sie von Brügge-Fans in die Welt des Fußballs eingeführt wurde!" Dass er mit dieser Meinung recht alleine dasteht, weiß Steven aber selber.

Für manche geht die Liebe für You'll never walk alone und den FC Liverpool übrigens so weit, dass sie sogar ihr Kind danach benennen. So weit würde Reds-Fan Tomkins vielleicht doch nicht gehen, aber für ihn steht fest: „Ich mag zwar voreingenommen sein, aber meiner Meinung nach kommt an You'll never walk alone einfach nichts vorbei."

Damit spricht er Hunderttausenden auf der ganzen Welt aus der Seele. Und die Fans von Borussia Dortmund und dem FC Liverpool werden dies gemeinsam in zwei Spielen samt Gänsehaut eindrucksvoll unter Beweis stellen.