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WRESTLING

Klasse statt Masse: Warum die WWE immer mehr auf agilere Kämpfertypen setzt

Galt in der WWE noch vor einigen Jahren die Devise, Körpermasse ist Klasse, bestimmen zunehmend agile und nicht ganz so muskelbepackte Wrestler das Bild.
Photo by PA Images

Noch vor wenigen Jahren galt die Devise: Willst du einer der besten Wrestler werden, musst du einer der breitesten und muskulösesten Typen sein.

Das hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Denn jetzt gibt es neben diesen glitzernden Kraftmaschinen auch deutlich schmalere, nicht ganz so muskelbepackte und zum Teil sogar etwas verlotterte (aber trotzdem verdammt talentierte) Profi-Wrestler, die dem früheren Körpermasse-statt-Klasse-Status-quo den Mittelfinger gezeigt und das Bild des WWE-Kämpfers in seinen Grundfesten erschüttert haben.

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Dieser Paradigmenwechsel geht vor allem auf die sogenannte Wellness Policy aus dem Jahr 2006 zurück, bei der man dem weit verbreiteten Einsatz von Pillen in der WWE—sei es in Form von Steroiden oder Schlaftabletten—den Kampf angesagt hat.

Denkt man aber an WWE-Guru Vince McMahon, kann man davon ausgehen, dass die striktere Dopingpolitik auch—und vor allem—mit wirtschaftlichen Interessen zu tun gehabt haben muss. Das zeigen die teilweise in sich unlogischen Regeln, die der Gesundheit der Wrestler in manchen Fällen mehr geschadet als genutzt haben. So ging man streng gegen den Konsum von Marihuana vor, unternahm aber nichts gegen den zum Teil viel gefährlicheren Alkohol- und Medikamentenmissbrauch.

1996 hatte Kevin Nash zufolge die WWE (damals noch WWF) ihre Drogentests eingestellt, als sich diese als geschäftsschädigend erwiesen (zu der Zeit konkurrierte die WWF sehr stark mit der WCW) und auch immer mehr Wrestler ihren Unmut darüber äußerten, sich vor und nach den Kämpfen Drogentests unterziehen zu müssen.

Infolgedessen begann die Attitude Era, die von einem gesteigerten Steroidkonsum gekennzeichnet war. Triple H zum Beispiel erzählte ESPN, dass er nach seinem Quad-Unfall vermehrt auf Steroide gesetzt hatte, um wieder zu Kräften zu kommen. Außerdem meinte er, dass man, wenn man Steroide verböte, genauso gut auch Gewichtheben und Cardio-Übungen verbieten müsste, da diese genauso leistungssteigernd wirken würden. Äußerungen dieser Art zeigen, wie weit verbreitet damals der Einsatz von Dopingmitteln war und wie offenherzig man damit umging. Dass diese (Un-)Zeiten vorbei sind, zeigen die vielen weniger herkulesken Wrester, die man heutzutage in der WWE sehen kann.

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So war die Wellness Policy nicht nur eine Antwort auf die Dopingexzesse der 80er und 90er, die vielen Superstars das Leben gekostet hat, sondern auch auf die jüngeren Todesfälle von Eddie Guerrero und Chris Benoit. Nachdem der Einsatz von Steroiden weitestgehend der Vergangenheit angehörte, konnten endlich etwas atypisch wirkende Wrestler die Bühne betreten. Es begann die Ära von schmaleren, nicht ganz so definierten und etwas verlotterten Kämpfern, die es dennoch in die Herzen von Millionen von Fans schafften.

Von den 80ern bis Mitte der Nuller-Jahre sahen fast alle Main-Event-Wrestler—mit Ausnahme von Shawn Michaels, Bret Hart und, wenn auch nur kurz, Rey Mysterio—gleich (massiv) aus. Seitdem liegt der Fokus immer mehr auf schnelleren und beweglicheren Typen. Heutzutage achten Fans weniger darauf, wie ihre Stars aussehen, und interessieren sich mehr dafür, was sie im Ring so draufhaben.

Rey Myserio, gewachst und eingeölt. Foto via Flickr

Nehmen wir als Beispiel Daniel Bryan, den man ohne Probleme für einen Obdachlosen halten könnte, der sich mal wieder einen Rasierer aus der Nähe anschauen sollte. Kevin Nash meinte mal, dass man „mit einem 8-Zentimeter-Schwanz keine richtigen Pornos drehen" könne und meinte damit, dass Wrestler wie Bryan nicht das Zeug dazu haben, einen echten Paradigmenwechsel im Profi-Wrestling einzuleiten.

Wenn er sich da mal nicht geirrt hat. Denn auch wenn Bryan beim diesjährigen Royal-Rumble-Finale der WWE nicht teilnehmen durfte, waren es Bryan-Fangesänge („YES"), die am lautesten durch die Halle brandeten. Eindeutig ein Zeichen dafür, dass den Fans missfiel, dass Bryan schon so früh die Segel streichen musste. Um sich das noch mal auf der Zunge zergehen zu lassen: Roman Reigns—über 1,90 Meter groß und mehr als 120 Kilo schwer—gewinnt einen der wichtigsten Kämpfe im Wrestlingkalendar und die Menge brüllt „YES" als Zeichen der Zuneigung für einen Kerl, der nicht mal 1,80 Meter groß ist, gerade mal 95 Kilo auf die Waage bringt und einen zugegeben hässlichen Ziegenbart trägt. Spätestens dieser Moment hat deutlich gemacht, dass die WWE in ein neues Zeitalter aufgebrochen ist. Und das ist auch gut so.

Noch ein Beispiel gefällig? Da wäre etwa ein Typ wie Seth Rollins: Er ist der komplette Gegenentwurf zur früheren Steroidbewegung, die auf so unschöne Art und Weise die Wrestlingszene in Beschlag genommen hat. Aktuell ist er der WWE-Weltmeister im Schwergewicht, die größte Ehre der WWE. Rollins steht für eine neue Generation von Kämpfern: nicht übertrieben aufgeblasen, wendig und extrem athletisch. Er erhielt sogar einen größeren Karrierepush „von oben" als der deutlich kräftigere Reigns, obwohl beide für die Rebellenfraktion „The Shield" gekämpft hatten.

Doch ist diese Entwicklung keineswegs überraschend. Schließlich geht es beim Wrestling ja darum, dem Publikum so viel Realismus wie möglich zu bieten—im Idealfall so viel Realismus, dass die Zuschauer für kurze Zeit vergessen, dass das Ganze geskriptet ist. Und vor diesem Hintergrund muss man schon sagen, dass man sich als (durchtrainierter) Zuschauer eher mit einem Rollins identifizieren (und schlagen sehen) kann als mit einem Brock Lesnar, der—wenn auch ein packender Typ—wie von einem anderen Stern erscheint.

Wir sollten also alle der Wellness Policy dankbar sein. Ich für meinen Teil bin es in jedem Fall.