Zu doof zum Zündeln: Die Aachener „Karlsbande“
Foto: Imago (Thomas Bielefeld); im Artikel: Felix Huesmann

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Zu doof zum Zündeln: Die Aachener „Karlsbande“

Die rechte Aachener Ultragruppierung „Karlsbande" hat die linke Ultras auf dem Tivoli längst verdrängt. Am Wochenende war sie in Dortmund beim Spiel der BVB-Amateure und der Alemannia. Dort schafften sie es sogar ihre eigene Zaunfahne anzukokeln.

14 Uhr, Rote Erde. Im Schatten des Westfalenstadions beginnt das Viertliga-Spiel der Dortmunder Amateure gegen Alemannia Aachen. Schon kurz nach Anpfiff muss die Partie jedoch unterbrochen werden: Aus dem Gästeblock steigt erst Rauch auf, dann brennen einige Bengalos. Auf einmal explodiert ein „Polenböller" auf dem Spielfeld. Auch mehrere Bengalos werden in die Richtung geworfen. Für die freundliche Bitte des Stadionsprechers, das Abbrennen von Pyrotechnik doch zu unterlassen, interessiert sich keiner der Aachener Ultras. Die hören erst auf zu zündeln, als ihnen schreiend klar gemacht wird, was sie da gerade noch angesteckt haben: Als die meisten der Bengalos längst ausgebrannt sind, kokelt es es unten am Zaun munter weiter. Eine Zaunfahne mit der Aufschrift „You'll never walk alone" wird von Ordnern und Fanbetreuern gelöscht und runtergerissen. Beobachter der Fanszene erzählen später, diese Fahne habe bereits seit den 90er Jahren im Aachener Fanblock gehangen.

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Nachdem die Aachener Ultras eindrucksvoll gezeigt haben, dass die Spieler auf dem Platz nicht die einzigen Amateure im Stadion sind, dauert es gerade mal zehn Minuten, bis die Stimmung erneut hochkocht. Im Block der Dortmunder Ultras wird auf einmal ein in Einzelteile zerrissenes schwarz-gelbes Banner hochgehalten. Es dauert einige Momente, bis die Aachener Fans begreifen, dass das kein weiteres BVB-Banner ist, sondern eigentlich den Fans ihres befreundeten niederländischen Vereins Roda JC Kerkrade gehört. „Wie die Dortmunder Ultras in den Besitz des Banners gelangt sind, ist derzeit noch unklar", schreibt die Dortmunder Polizei später. Ein strafrechtlicher Hintergrund sei jedoch wahrscheinlich. Für einige Aachener Ultras und ihre mitgereisten Kerkrader Freunde ist die Provokation auf jeden Fall Grund genug, um auszurasten.

Direkt klettern einige auf den Zaun Richtung Rasen, mehrere Dutzend rütteln an Zaun und Fluchttoren. Die Polizisten setzen ihre Helme auf und eilen auf die Tartanbahn zwischen Zaun und Spielfeld, auch die Ordner eilen vor den Gästeblock. Nach kurzem Drücken gelingt es etwa 15 Ultras, auf die Tartanbahn zu kommen. Drei von ihnen werden kurz später festgenommen. Als die Polizisten die Situation mit Pfefferspray und Schlagstöcken wieder unter ihre Kontrolle gebracht hat, muss einer der Ordner von Sanitätern behandelt werden. Durch einen geworfenen Gegenstand hat er eine stark blutende Platzwunde am Kopf.

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Für das Abfackeln der eigenen Fahne und den versuchten Platzsturm können sich offensichtlich nicht alle Aachener Fans begeistern. Laut Polizeiangaben sollen einige von ihnen bei der Abreise „Ultras raus" gerufen haben. Die Polizei habe eingreifen müssen, damit die Spannung innerhalb der Aachener Fans nicht eskaliert.

Aachens Fanszene hat ein Naziproblem

Dabei hat gerade die Aachener Ultragruppe „Karlsbande" in den vergangenen Jahren andere Ultras aus dem Stadion verdrängt. Bis Anfang 2013 gab es im „Tivoli" zwei Ultragruppen: Die älteren „Aachen Ultras", und die „Karlsbande", die sich 2010 abgespalten hatte. Letztere war über die Jahre zu einer dominierenden Kraft innerhalb der Fanszene geworden. Während sich die „Aachen Ultras" gegen Rechtsextremismus und Rassismus im Stadion gestellt haben, gibt es bei der „Karlsbande" Überschneidungen mit Neonazi-Gruppen und rechten Parteien. Die Liste rechter Gewalttaten, an denen Mitglieder der „Karlsbande" beteiligt waren, ist lang.

Ein Beispiel: Anlässlich eines Deutschland-Spiels während der Fußball-Weltmeisterschaft versammelten sich im Juni 2014 mehr als 50 Personen aus dem Umfeld der „Karlsbande" vor einer Aachener Kneipe. Neben einem „Karlsbande"-Banner wurden Bengalos gezündet, Berichten zufolge sollen auch Reichskriegfahnen und Hitlergrüße gezeigt worden sein. Ein Antifaschist, der seinen Unmut darüber geäußert hat, wurde ebenso angegriffen, wie die Kneipe, in die er sich flüchtete. Ermittelt wurde im Nachgang nicht nur gegen „gewöhnliche" Aachener Ultras. Auch ein polizeibekannter Kerkrader Fan und mehrere Mitglieder der verbotenen rechtsextremen „Kameradschaft Aachener Land" gerieten ins Visier der Polizei.

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Wiederholt kam es auch zu Angriffen der „Karlsbande" und der rechten Hooligan-Gruppe „Westfront" auf die antifaschistischen „Aachen Ultras". Im Stadion musste die Polizei beide Gruppen strikter trennen, als Heim- und Gästefans. Ein sicherer Stadionbesuch war für die „Aachen Ultras" nicht mehr möglich. Mitglieder der Gruppe berichteten sogar von „Hausbesuchen", bei denen ihre Wohnungstüren eingetreten worden seien.

Hinzu kam aus Sicht der „Aachen Ultras" eine fehlende Unterstützung durch den Verein. Anfang 2013 zogen sie die Notbremse: Bei einem Auswärtsspiel gegen „Viktoria Köln" stoppten sie in der 60. Spielminute ihren Support. Die üblichen Fahnen und Banner wurden gegen Spruchbänder mit Parolen wie „Lieber Parasit als Antisemit" oder „Nazis Am Tivoli? Nie gesehen." ausgetauscht. Für die „Aachen Ultras" sollte dies nach mehr als 13 Jahren ihr letzter Spieltag sein. 250 antifaschistische Ultras anderer Vereine aus ganz Deutschland waren gekommen, um die Aachener bei ihrem letzten Akt zu unterstützen. Der Tag markierte eine Kapitulation vor der rechten Übermacht im „Tivoli". Ein öffentlich inszenierter Hilferuf, als es bereits viel zu spät war.

Zwar hat Alemannia Aachen bereits mehrfach ein Fahnenverbot gegen die „Karlsbande" verhängt – in der Vergangenheit konnte das aber ohne Konsquenzen ignoriert werden. Große Teile der ehemaligen „Aachen Ultras" trauen sich bis heute auch alleine nicht in ihr Stadion.

Gegenteilige Entwicklung in Dortmund

In Dortmund hingegen, ist die Entwicklung eher eine gegenteilige. Lange Jahre konnten sowohl die seit den 80er Jahren bestehende „Borussenfront", als auch jüngere rechte und rechtsoffene Gruppen im Westfalenstadion relativ ungehindert auftreten. Der BVB tat sich lange Zeit schwer, den rechten Auswüchsen seiner Fanszene Einhalt zu gebieten.

Nach einigem öffentlichen Druck hat sich das in den letzten Jahren stark verändert. Weite Teile der Dortmunder Neonazis wurde mittlerweile mit Stadionverboten überzogen. Auch die Dortmunder Ultra-Gruppen positionieren sich mittlerweile klarer: Sie machen mit Spruchbändern deutlich, dass für Neonazis und Rassisten kein Platz in der Kurve ist und liefern sich immer wieder Auseinandersetzungen mit rechtsextremen Fans. Sogar Gruppen, die vor wenigen Jahren als „rechtsoffen" galten und einige Überschneidungen mit Neonazi-Gruppierungen aufwiesen, scheinen auf den schlechten Ruf und die Vereinnahmung von rechts keine Lust mehr zu haben. Die aus antirassistischen Fans bestehende Initiative „Ballspiel Vereint" setzt sich im Stadion gegen Diskriminierung ein und unterstützt Flüchtlingsproteste in der Stadt. Das Image der von Neonazis dominierten Fanszene gehört in Dortmund zu Recht der Vergangenheit an.

Für solche positiven Entwicklungen scheint es in Aachen allerdings längst zu spät zu sein.