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bester mann

Wie Claudio Pizarro trotz seiner Skandale zu "Everybody's Darling" wurde

Claudio Pizarros Tage in Bremen scheinen gezählt. Aber wie wurde er trotz Promille-Fahrten, einer Sexorgie und dubiosen Verstrickungen ins Berater-Geschäft zum Werder-Helden? Schlawiner Claudio hatte da so seine unwiderstehlichen Argumente.
Foto: Imago

Anstoß in der Gruppenphase der Champions League 2006, Roy Makaay passt zu Claudio Pizarro. Drei Tage zuvor wurde der Peruaner mit 1,1 Promille am Steuer erwischt. Da es nicht das erste Mal ist, muss Pizarro sogar zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung. Trotzdem setzt Bayerntrainer Magath auf "seine sportlichen Qualitäten" und auch Uli Hoeneß will die Sache "lieber intern klären". Pizarro darf gegen Inter Mailand spielen und trifft zum spielentscheidenden 1:0.

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Was macht diesen zugegebenermaßen sehr charmant wirkenden Lateinamerikaner so unwiderstehlich? Warum hat ihn kein Klub oder der peruanische Verband nicht mal ordentlich in den Arsch getreten und rausgeschmissen? Sind Tore doch wichtiger als Moral und Vorbildfunktion? Wir blättern in seiner Skandalvita.

Ein Jahr nach seiner Alkoholfahrt feierte Pizarro mit der peruanischen Nationalmannschaft so hart, dass es die Nacht als "Hotel Golf Los Incas Skandal" zu einem eigenen Wikipedia-Artikel geschafft hat. Vier Nationalspieler (unter ihnen auch Jefferson Farfan) betranken sich und wurden beim Sex mit fremden Frauen gefilmt. Pizarro als verheirateter Familienvater gleich zweimal, in der Tiefgarage und im Pool. Drei Tage später gingen die "Blanquirroja" mit 1:5 baden. Beim WM-Qualifikationsspiel gegen Ecuador war Pizarro als Kapitän bereits suspendiert. Drei Jahre später feierte er sein Comeback und wurde anschließend wieder Mannschaftsführer.

Die Zeit außerhalb der Nationalelf hat Pizarro genutzt, um bei der peruanischen Spielerberatungsfirma "Image" einzusteigen. Er wurde Hauptaktionär bevor gegen jene Firma Vorwürfe der Geldwäscherei und der Steuerhinterziehung in Höhe von acht Millionen laut wurden. Pizarro selbst beschuldigte man als Spielerberater tätig geworden zu sein, nachdem 2009 Vertragsdokumente vom Roberto Silva offenlagen. Bei einem Transfer kämen auf Pizarro Eigenerlöse von 30 % zu.

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Dumm nur, dass dieser Nebenjob als Berater laut FIFA für Spieler verboten ist. Ihm drohten zwei Jahre Gefängnis. Wieder stellte sich sein Team hinter den Angreifer. Werder-Manager Klaus Allofs wolle Claudio Pizarro "aus sportlicher und menschlicher Sicht gern behalten, aber wir müssen auch die Untersuchungen in Peru abwarten". Er beteuerte, dass Pizarro nie als Spielervermittler tätig gewesen war. In der Saison 2009/2010 war Pizarro mit 29 wettbewerbsübergreifenden Toren wieder mal Top-Torschütze bei Werder.

Viel rausgenommen hat er sich auch in München. Gleich in seiner ersten Winterpause bei den Bayern kam er verspätet zur Rückrundenvorbereitung und kritisierte öffentlich das Taktiksystem von Trainerlegende Ottmar Hitzfeld. Pizarro, der weiterhin spielte und traf, kam lediglich mit Geldstrafen und einem neuen Spitznamen davon. Uli Hoeneß nannte ihn fortan den "Schlawiner".

Als der Sportjournalist Klaus Gronewald ihn im letzten Jahr auf seinen Spitznamen und einige seiner Eskapaden ansprach, konnte der Peruaner nur schmunzeln. Er lehnte sich zurück, guckte verschmitzt zu Gronewald und hob die Schultern: "Da musst du Uli fragen, das weiß ich nicht". Der Moderator und das Publikum begannen zu lachen und Gronewald zögerte sogar mit der nächsten Frage, um ein Applaudieren des Publikums nicht zu verhindern. Das Interview fand zufälligerweise in einem Autohaus in Bremen statt, in der Stadt, in der Pizarro als Heiliger verehrt wird.

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Pizarro ist Rekordtorschütze für Werder in der Bundesliga und holte 2009 mit dem Verein den DFB-Pokal. Bei seiner dritten Rückholaktion des Stürmers nach Bremen schlugen die Fans vor, alle zum Stadion verlaufenen Straßenbahnen mit der Liniennummer 14 auszustatten. Die "Catorce" ist die Rückennummer des Stürmers. Ein weiterer Vorschlag lautete, für Pizarro die Bremer Stadtmusikanten um ein fünftes Mitglied zu erweitern. Wieder schießt er sich mit sportlichen Leistungen in die Herzen seines Klubs und Fans. Zwei Abgänge zu den Bayern werden verziehen. Selbst in der Werderkneipe "Piano" macht Pizarro keinen Hehl daraus, dass er seine schönste Zeit im roten Trikot hatte. Die kurze Stille im Raum wird wieder schlawinermäßig von Pizarro weggegrinst.

Mit Charme und sportlicher Höchstleistung brachte es Pizarro auf den Bundesligaolymp. Tore haben bei Pizarro gereicht, seine ganzen Skandale wegzuballern. In Bremen ist man das aus Ailtons Zeiten gewöhnt. Kein Wunder, dass die beiden sich so gut verstanden haben. Wenn die Bälle dann nicht mehr im Netz landen, wird es schwierig. Letzte Saison traf Claudio in 19 Bundesligaspielen nur einmal.

Heute startet Werder Bremen in die Saisonvorbereitung. Bei der üblichen Leistungsdiagnostik wird der Bremer Rekordtorschütze fehlen. Noch im Mai verkündete Pizarro, dass er seine Karriere im Sommer fortführen will, was Streit zwischen Manager Frank Baumann und Alexander Nouri ausgelöst hatte. Für den Werder-Trainer, der den Verein spektakulär auf Platz 8 der Liga gebracht hatte, ist Pizarro mit 38 Jahren zu alt. Seine ausbleibenden Tore sind in Bremen keine 1,6 Millionen Jahresgehalt mehr wert, auch nicht skandalfrei.