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Warum es verlogen ist, nur den Konsumenten von Kokain ein schlechtes Gewissen einzureden

Ein virales Video erklärt, wie der Kokain-Konsum Gesellschaft und Umwelt zerstört—lässt aber aus, dass es die Regierungen sind, die die Verantwortung dafür tragen.
Ein honduranischer Soldat bei der Verbrennung von beschlagnahmtem Kokain. Foto: imago | Xinhua

Vergangene Woche konntet ihr lesen, dass Kokser mit an der Zerstörung des Regenwaldes Schuld hätten. Quelle der Meldung war ein Video, produziert von der britischen National Crime Agency (NCA), die auch die Arbeit der Anti-Drogenpolizei in Großbritannien koordiniert. Anscheinend versucht man so, Koks-Konsumenten statt mit wirkungslosen Appellen an das Gesundheitsbewusstsein jetzt mit „Political und Environmental Correctness" vom Pulver weg zu bekommen.

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Ich selbst war und bin nie ein Freund des weißen Pulvers gewesen, zugekokste Menschen gehen mir mit ihrem Dauergequatsche meistens auf die Nerven. Aber ihnen jetzt die Schuld an der Zerstörung des Regenwaldes unterzujubeln, ist nicht ganz fair.

Klar hat die britische Behörde Recht, wenn sie sagt, dass illegale Kokain-Labore wahre Dreckschleudern sind, die verbrannte Erde hinterlassen. Das ist jedoch nur so, weil auch die Labore Teil des dreckigen südamerikanischen Drogenkrieges sind, den nicht nur Human Rights Watch als eine der Hauptursachen für Menschenrechtsverletzungen in der gesamten Region anprangert. Tod, Angst und Umweltzerstörung sind die Langzeitfolgen dessen, was Ronald Reagan in den 1980er Jahren angefangen hat: Die Militarisierung des US-Drogenpolitik in der Region.

Das führt immer noch zu vielen Kollateralschäden, unter denen leider auch der Regenwald leidet. Doch vor dem toten Wald kommen die zahlreichen toten Menschen, die diese Politik seit über 30 Jahren in Kauf nimmt—und die der Öko-Appell der NCA erst an zweiter Stelle erwähnt. Gar nicht erwähnt werden die korrupten Strukturen von Politik, Militär und Polizei, die den globalen Koks-Handel erst ermöglichen.

Soldaten bei der Kontrolle einer Kokain-Farm in Bolivien. Foto: imago | Christian Franz Targni

Aber da dieses Problem—die Gewalt gegen die Bevölkerung und die Erosion staatlicher Strukturen in den Ländern Lateinamerikas—erstens durch eine Legalisierung viel einfacher zu beheben wäre als durch einen Boykott, und weil es offensichtlich sowieso nicht abschreckend genug auf die die Konsumenten in den USA und Europa wirkt, hat man jetzt das Umweltproblem entdeckt.

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Tatsächlich ist die illegale Kokain-Industrie enorm schädlich für die Umwelt der Herstellerländer. Zum einen, weil die Coca-Bauern immer mehr Waldflächen roden, um die Pflanze anzubauen, und zum anderen, weil die Errichtung von illegalen Laboren tief im Wald zu noch mehr Rodung für Straßen und Landebahnen führt. Ganz zu schweigen davon, dass die Kokain-Köche den chemischen Abfall einfach in den Waldboden laufen lassen.

Zum genauen Ablauf: Wie ich in Kolumbien mein eigenes Kokain herstellte

Aber auch an diesem Zustand hat vor allem der sogenannte „War on Drugs" Schuld. Wäre der Herstellungsprozess legal, könnten die Labore auch ganz regulär in bereits besiedelten Gebieten eingerichtet werden, wo man sich auch um eine umweltverträgliche Entsorgung der Nebenprodukte kümmern könnte (genauso wie es pharmazeutische Fabriken auf der ganzen Welt jetzt schon tun). Und tatsächlich kann man Kokain auch in Wasser statt in Benzin aus den Blättern extrahieren, es dauert nur fünfzehn Tage—Zeit, die man nicht unbedingt hat, wenn man von Polizei-Helikoptern gesucht wird.

Coca-Markt in La Paz. Foto: imago | Bluephoto Agency

Es gibt auch keinen Grund, dass der Anbau von Coca-Pflanzen—die von den Eingeborenen vieler Länder bereits seit Jahrhunderten kultiviert werden—umweltschädlich sein muss. Im National Geographic erklärt die Autorin einer Studie, dass der Anbau vor allem deshalb schädlich ist, weil er in entlegenen Regionen stattfindet, wo es noch jungfräulichen Regenwald zu zerstören gibt. Wäre die Produktion von Kokain legal, könnte die Coca-Pflanze genau wie die Kaffee-Pflanze ökologisch angebaut werden, die Konsumenten hätten die Wahl—mehr, als sie jetzt haben.

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Übrigens: Auch die Gegenseite setzt beim „Koka-Ausrottungs-Programm" der Drug Enforcement Agency (DEA) rücksichtslos giftige Chemikalien ein, um den Koka-Anbau zu unterbinden. Wie es sich für einen echten Krieg gehört, hat die Gegenseite nachgerüstet und mithilfe von „Genetic engeneering" Boliviana negra, eine gegen dieses Pestizid resistente Coca-Art, gezüchtet.

Ob irgendjemand mit Koks umgehen kann, ohne sich selbst zu schaden, will ich gar nicht bewerten. Ich selbst fand es nie gut und kann bis heute nicht so ganz verstehen, aus welchem Grund sich Menschen unregelmäßig oder regelmäßig weißes Pulver in die Nase ziehen. Die, die es häufig machen, schaden der eigenen Physis und Psyche fraglos, lassen sich aber mit Sicherheit nicht vom Aufruf britischer Drogenfahnder vom Koksen abhalten. Die eigentliche Zielgruppe des Aufrufs, die politisch korrekten Gelegenheitskokser, hätten angesichts der vielen Toten schon seit Jahrzehnten viel triftigere Gründe, auf die Line am Wochenende zu verzichten—und tun es trotzdem nicht.

Bio-Koks als Lösung?

Bei legalen Produkten kann ein Konsument einfach auf die Bio-Variante umsatteln und so mit gutem Gewissen weiter konsumieren. Ginge das bei Koks auch? Schließlich gibt es ja auch Bio-Gras? Die taz hatte vor einiger Zeit einmal über Bio-Koks in Berlin berichtet, wobei die Quellenlage ziemlich dürftig war. Tatsache ist aber, dass immer mehr Dealer im Darknet jetzt damit werben, Fair-Trade-Kokain zu verkaufen—was daran wahr ist, ist praktisch nicht nachzuprüfen.

Doch selbst wenn der Koka-Strauch biologisch und fair angebaut wurde, ist das Endprodukt auf keinen Fall „bio". Die Vielzahl der verwendeten Chemikalien bei der Koks-Produktion werden so lange Umweltschäden verursachen, wie Koks in illegalen Laboren produziert wird.

Als Kokain noch gegen Rezept in deutschen Apotheken zu haben war, gab es zwar auch Abhängige, doch verglichen mit der Gegenwart waren die Kollateralschäden des Kokain-Konsums eher gering. Die Produktion war sauber, die Gewinne gingen an amerikanische und europäische Pharma-Unternehmen. Tote Menschen oder kaputte Wälder sind kein Substanzproblem, sondern eine direkte Folge des War on Drugs. Nur dessen Ende wird die Kokslabore aus südamerikanischen Regenwäldern verschwinden lassen. Einseitige Appelle der Beteiligten an Kokser hingegen werden, wie bislang immer, ungehört verhallen. Sie erreichen lediglich die Vernichtung von Kampagnen-Budgets staatlicher Institutionen. Echten Wandel könnte nur das Ende der Prohibition erreichen.