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Unterwegs mit dem Fan-Verein Beitar Nordia, den Gegnern der rechten „La Familia"-Ultras

Nachdem die araberfeindlichen Ultras von Beitar Jerusalem den Machtkampf gewonnen hatten, gründeten gemäßigte Fans einen neuen Club. Dort spielen auch Araber—außer sie kommen aus Jerusalem.
Photo by Shimon Perlstein

In Israel wurde gerade Chanukka gefeiert und im Jerusalemer Teddy Stadium, das Platz für 31.000 Menschen bietet, steht ein Duell um die Tabellenspitze an. Doch das Spiel findet nicht zwischen zwei Teams mit Champions-League-Ambitionen statt: Stattdessen stehen mit Beitar Nordia Jerusalem und Kiryat Malachi zwei Mannschaften aus der vierten israelischen Liga auf dem Platz.

Die Haupttribüne ist ein Meer aus Gelb und Schwarz, wo rund 1.000 Nordia-Fans ihren noch jungen Verein anfeuern. Für einen Amateurverein, der erst seine ingesamt dritte Saison bestreitet, sind 1.000 Fans keine schlechte Zahl. Auf der anderen Seite des Stadions schwenken gerade mal 100 Malachi-Fans ihre Fahnen und versuchen, ihre Mannschaft so gut es geht zu unterstützen. Doch logischerweise spielt die Musik auf der Haupttribüne.

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Anhänger von Nordia. Foto: Shimon Perlstein

Und das sogar wörtlich, neben Trompeten kommen Bongos und andere Trommeln zum Einsatz. Für Beitars Fan-Gesang sorgen rund 40 Anhänger, angeführt von einem genauso leidenschaftlichen wie glatzköpfigen Schreihals, der mit seiner Sonnenbrille und dem perfekt getrimmten Bart genauso gut in der Curva Sud vom AS Rom stehen könnte. Umringt wird der Capo von Frauen und Kindern mit gelb-schwarz-angemalten Gesichtern. Alle lachen und scheinen eine gute Zeit zu haben. Viele große Fahnen wehen über meinen Kopf, deren Motive von der Manora—dem Symbol von Beitar Jerusalem—bis hin zu einem biertrinkenden Zev Jabotinsky reichen. Jabotinsky gilt als Begründer des revisionistischen Zionismus und war ein überzeugter Nationalist, der gegen das britische Mandat in Palästina ankämpfte. Er war aber gleichzeitig auch ein liberaler Demokrat, dessen Vision eines jüdischen Staates eine florierende und gleichgestellte arabische Bevölkerung beinhaltete. Die tolle Atmosphäre, die heute im Teddy Stadium herrscht, ist Lichtjahre von den Szenen entfernt, die sich regelmäßig in derselben Spielstätte abspielen und Israels Fußball und Gesellschaft einen schlechten Ruf bescheren.

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Denn in den letzten Jahren hat der israelische Erstligist Beitar Jerusalem durch eine Gruppe von rechtsgerichteten Ultras immer wieder für Negativschlagzeilen gesorgt. Die Rede ist von „La Familia", die ganz offen ihren gegen Araber gerichteten Rassismus ausleben. Beitar zählt zu den größten und erfolgreichsten Clubs in Israel und war historisch betrachtet das Team der Mizrachim-Israelis. Mit Mizrachim sind vor allem Juden aus der arabischen Welt gemeint, die 1948 und später nach Israel ausgewandert sind. Auch wenn der Verein schon immer als rechtsgerichtet angesehen wurde—er wurde 1936 als Teil von Jabotinskys Beitar-Jugendbewegung gegründet—war es erst mit dem Aufkommen der israelischen Ultra-Szene Anfang der 2000er, dass der Verein weltweit traurige Berühmtheit erlangte.

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Mitglieder von „La Familia" bei einem Spiel von Beitar Jerusalem // PA Images

Als La Familia immer größer und mächtiger wurde—auch dank der finanziellen Unterstützung vonseiten des früheren Klubbesitzers, Arcadi Gaydamak—, gaben immer mehr enttäuschte Beitar-Fans ihre Jahreskarte auf. Nach einer Reihe rassistisch motivierter Gewaltübergriffe, die das Land schockierten—so wurden beispielsweise arabische Stadionmitarbeiter nach einem Beitar-Spiel zusammengeschlagen—brach der Krug für viele Beitar-Fans dann endgültig mit der unsäglichen Saga von zwei tschetschenischen Spielern.

In einem Versuch, seine zwielichtigen Geschäftsbeziehungen in Tschetschenien noch weiter zu vertiefen, holte Gaydamak zwei muslimische Tschetschenen zu Beitar, dem einzigen Club in Israel, der aus Angst vor Fan-Ausschreitungen noch nie einen arabischen Spieler unter Vertrag genommen hatte. Wie zu erwarten war, fand La Familia diesen Doppeltransfer überhaupt nicht gut. Die Saga endete mit einem in Brand gesteckten Beitar-Vereinshaus, zwei Rückflügen nach Tschetschenien und nationaler Schande.

Vor diesem Hintergrund begann die Geschichte von Beitar Nordia. Um mehr über den Verein zu erfahren, traf ich mich in einem Jerusalemer Café mit Itsek Alfasi, dem Vorsitzenden von Beitar Nordia. Alfasi ist seit fast 30 Jahren brennender Beitar-Fan. Die Entscheidung, seinem geliebten Verein den Rücken zu kehren, um mit Nordia einen neuen Verein zu gründen, ist ihm alles andere als leicht gefallen: „Du kennst bestimmt den Spruch: Im Leben ändert man niemals zwei Dinge: seine Mutter und seinen Fußballverein. Für viele Jahre haben wir versucht, von innen zu kämpfen. Wir haben echt alles probiert, normale Fans organisiert, La Familia auf der Tribüne konfrontiert. Aber sie waren bereit, mehr Risiko einzugehen als wir, sie waren gewalttätiger und brutaler."

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Ich will von Alfasi wissen, ob er damals im Kampf gegen die Ultras von Klubseite Unterstützung erhielt: „Ja, der Verein hat mit uns zusammengearbeitet. Itsek Korenfein war der Vorsitzende, er verstand das Problem von La Familia. Er hat versucht, sie zu bekämpfen. Dann kam die Geschichte mit den zwei Tschetschenen. Es war ein Kampf um Beitars Identität: Entweder würde La Familia und ihre rassistische Agenda gewinnen. Oder eben die normalen Fans, so dass Beitar ein Fußballverein so wie jeder andere wäre, der Spieler unabhängig ihrer Nationalität und Religion verpflichtet." Alfasi stockt: „…und sie haben gewonnen. Es war ein brutaler Krieg gegen ihren eigenen Verein und gegen die anderen Fans."

Anhänger von Beitar Nordia // Foto: Hadar Alfasi

Für Alfasi stand es nicht zur Debatte, einfach nur seine Jahreskarte aufzugeben und von da an englische Premier-League-Spiele von der Couch aus zu verfolgen. Dass sein geliebter Verein von einer Gruppe von Extremisten gekidnappt wurde, fühlte sich für ihn wie ein persönlicher Affront an. „Ich konnte und wollte nicht aufgeben, weil sie mir etwas genommen haben, das mir sehr wichtig war, das ein Teil meiner Identität war. Und das haben sie mir mit Gewalt entrissen."

Inspiriert durch den Erfolg von Hapoel Katamon Jerusalem—ein von Fans geführter Protest-Verein, der 2007 von Hapoel-Jerusalem-Anhängern gegründet wurde, die von Vorstands-Fehlentscheidungen die Nase voll hatten—beschlossen Alfasi und einige andere, einen eigenen Fan-Verein zu gründen, um die Seele von Beitar Jerusalem wieder zu erwecken. „Wir kehrten mit Beitar an seine Anfänge zurück, zurück zu seiner ursprünglichen Ideologie der Beitar-Bewegung von Zev Jabotinsky, die für liberalen Nationalismus stand: also Zionismus gepaart mit Humanismus. Dort ist es, wo die Geschichte von Nordia beginnt."

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La Familia—die islamfeindlichen Ultras von Beitar Jerusalem

Der Verein—der 2014 in der niedrigsten Spielklasse Israels in seine allererste Saison ging—lebte diese Werte vor, indem er seine zweite Saison mit zwei arabischen Israelis im Kader startete. Ein symbolischer Mittelfinger an die Rassisten von La Familia. Nordia hat aus allen Ecken der israelischen Gesellschaft Unterstützung erhalten, darunter auch von Israels Präsidenten und eingefleischtem Beitar-Fan Reuven Rivlin, der über Nordia sagte: „Der Verein bringt Herz und Seele, die einst die Essenz von Beitar Jerusalem waren, ins Leben zurück."

Gleichzeitig ist es gar nicht so einfach, den Verein jungen arabischen Spielern schmackhaft zu machen. Die meisten von ihnen schließen sich der palästinensischen Liga an, weil die Vereine dort nur selten Steuern zahlen und den Spielern damit Gehälter anbieten können, mit denen Nordia nicht mithalten kann. Dazu kommt noch, dass arabische Israelis aus Ost-Jerusalem eher weniger dazu geneigt sind, sich mit jüdischen Israelis zu integrieren, als das beispielsweise in Haifa, Akko oder Jaffa der Fall wäre. Alfasi erklärt dazu: „Sie sind extremer in ihren politischen Ansichten. Sie definieren sich mehr als Palästinenser als Israelis, und sind nicht bereit, mit jüdischen Organisationen zusammenzuarbeiten. Auch aus dem Grund, dass ein arabisch-israelischer Spieler aus Ost-Jerusalem, der einem jüdisch-israelischen Verein beitritt, Probleme erwarten kann, wenn er zurückkommt."

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Ein Nordia-Fan zeigt die Botschaft „Frieden Jetzt", eine linksgerichtete Bewegung in Israel// Foto: Hadar Alfasi

Trotzdem gibt es genügend Gründe, optimistisch zu bleiben. „Fußball in Israel ist der Ort, wo friedliche Koexistenz am besten funktioniert. Ich glaube, wir werden schon in ein paar Jahren einen arabischen Kapitän in unserer Nationalmannschaft haben", sagt Alfasi stolz. Es gibt durchaus Gründe für diese Annahme: einige der talentiertesten Spieler im Nationalteam sind arabische Israelis, wie etwa Beram Kayal von Brighton & Hove Albion. Außerdem wurde die Binde im letzten Jahr auch schon mal kurzzeitig an den tscherkessischen Muslimen Bibras Natkho überreicht—und vor ihm an Walid Badir.

Ganz im Zeichen von friedlicher Koexistenz steht auch Nordias Jugendakademie, die sie in dieser Saison gegründet haben. Für Alfasi ist das Vermitteln von Nordias Werten an junge Spieler genauso wichtig wie die Förderung neuer Tatente. „Wir werden hier nicht den kommenden Messi hervorbringen", sinniert er, „wichtiger ist aber eh, diese Kinder zu besseren Menschen zu formen."

Nordia verfolgt dieses Ziel auch, indem es an die Schulen in Jerusalem geht. „Wir erzählen Schülern die Geschichte von Nordia. Uns ist es wichtig, die Botschaft zu vermitteln, dass wir sehr stolze Israelis und sehr stolze Juden sind. Aber wir glauben, dass dazu auch gehört, solche Werte zu teilen, die uns andere Menschen unabhängig ihrer Religion akzeptieren lassen—gerade weil wir Juden sind und wegen unserer Geschichte."

Auf dem Rückweg nach Tel Aviv nach dem Spiel, das Nordia mit 1:2 verloren hatte, wurde ich in ein arabisches Dorf namens Abu Ghosh gefahren. Dort hatte sich eine Gruppe von Nordia-Fans für eine Runde Schawarma versammelt. Gegessen wurde in einem kleinen, von Arabern geführten Restaurant, das Nordia finanziell unterstützt. Um sich beim Sponsor erkenntlich zu zeigen, kehren die Fans hier regelmäßig nach den Spielen ein. Das Essen war köstlich und mir wurde klar, dass das hier ein weiterer Ausdruck friedlicher Koexistenz war.

Tanzende Nordia-Fans // Foto: Barak Turgeman

„Jerusalem ist eine sehr komplexe Stadt", sagt Alfasi nachdenklich. „Ich denke, die meisten Leute hier verstehen das und leben einfach ihr Leben. Sie sind viel toleranter, als das Image von Jerusalem—die ‚Stadt der Irren'—vermuten lassen würde. Die meisten Menschen, auf die man hier trifft, sind normal. Sie haben unterschiedliche politische Ansichten und Ideologien, die akzeptabel sind. Die extremistischen Stimmen wirken viel lauter, als sie eigentlich sind."

Also, was steht Nordia nun bevor? „Es ist schwierig für uns, großartig zu träumen und vorauszuschauen. Jedes Jahr werden wir für unsere Existenz kämpfen. Wir wollen auf dem Platz erfolgreich sein. Und außerhalb davon wollen wir unsere Botschaft vermitteln, dass es ein anderes Beitar gibt und dass Beitars Werte nicht die sind, die die Menschen bei La Familia sehen. Es gibt leider Menschen wie sie, doch sie repräsentieren nicht alle. Sie haben unseren Verein entführt. Wir haben uns zum Ziel gemacht, eine Stimme für die schweigende Mehrheit zu schaffen, die sich La Familia entgegenstellt—und Fußball ist ein sehr mächtiges Instrument dafür."

Zweifellos gibt es noch viel Arbeit zu tun. Doch wenn Nordia erschaffen wurde, um die Seele von Beitar Jerusalem zurückzuerobern—und das mit einer Botschaft an die Welt über die Tugenden von Frieden und Toleranz—, dann hat der Verein sicherlich einen vielversprechenden Start hingelegt.