FYI.

This story is over 5 years old.

Adderall

Was bringen Dopingkontrollen beim eSport?

Beim größten Counter Strike-Turnier in Köln müssen die Spieler erstmals Dopingtests durchführen. Können die Dopingkontrollen dem eSport wirklich zu mehr Ansehen verhelfen oder gehen sie auf die Kosten einzelner, noch sehr junger Spieler?
Photo courtesy of Wikikpedia Commons

Wenn sich dieses Wochenende die professionelle Videospiel-Szene für das größte „Counter Strike: Global Offensive"-Turnier auf der ESL One in Köln trifft, werden die Gamer auf eine Neuerung in der eSport-Welt stoßen. Denn zum ersten Mal werden sich die Teilnehmer von der Electronic Sports League willkürlichen Dopingtests ausgesetzt sehen. Getestet wird auf Substanzen, die von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) verbotenen sind, darunter auch Marihuana, Stimulanzien und ja, Steroide.

Anzeige

Der Schulterschluss mit der WADA ist vielleicht der stärkste Indikator dafür, dass eSport sich mittlerweile vom einfachen Hobby auf LAN-Partys weit entfernt hat und zu einer millionenschweren Industrie geworden ist. Hierbei stellt sich aber auch die Frage, ob sich der eSport wirklich dem aggressiven Dopingtest-System stellen wird, welches von gewöhnlichen Sportverbänden zur Sicherung des fairen Wettkampfes und der Gesundheit der Athleten genutzt wird, oder ob sie es einfach nur als einen Trick benutzen, um die Glaubwürdigkeit des Sports in der Öffentlichkeit zu fördern.

eSport-Ligen, wie die in den USA ansässige Major League Gaming (MLG), hatten schon zuvor viele Substanzen verboten, die auch auf der Liste der WADA standen, jedoch wurden recht wenige Maßnahmen ergriffen, um diese Verbote durchzusetzen—trotz Gerüchten über die Verwendung von leistungssteigernden Substanzen.

Im Juli gab der professionelle Gamer Kory „Semphis" Friesen zu, dass er das Stimulant Adderall während eines ESL-Events in Polen eingenommen hatte.

„Es ist mir ziemlich egal, wir waren alle auf Adderall. Ich gebe einen Scheiß drauf. Es war ziemlich deutlich über unsere Kopfhörer zu hören", sagte Friesen in einem Interview.

Adderall-Pillen: Des Gamers liebstes Frühstück? Foto: Wikipedia Commons

Eigentlich eine verschreibungspflichtige Droge, die dafür entwickelt wurde, ADHS und Narkolepsie zu behandeln, wurde Adderall von der WADA, den Olympischen Spielen und allen großen amerikanischen Sportligen verboten, weil die Substanz die Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit fördert.

Anzeige

Allesamt Effekte, die mit Sicherheit zu einem Wettbewerbsvorteil beim eSport beitragen würden.

„Es war fantastisch—irgendwie vergleichbar mit legalem Speed", sagte ein amerikanischer Gamer kürzlich in einem Interview mit eurogamer.net. „Ohne Adderall war ich nervös, wenn ich vor vielen Zuschauern spielte. Ich bin einfach mit der ganzen Atmosphäre nicht klargekommen. Aber das änderte sich, als ich Adderall genommen hatte. Ich war ein besserer Spieler und war nur auf das konzentriert, was vor mir lag. Es hat mich zu einem sehr viel besseren Spieler gemacht."

Vor weniger als einer Woche wurde Friesens Interview veröffentlicht. Die Pressesprecherin der ESL, Anna Rozwandowicz, erzählte Wired in einem Interview, dass die Integrität ihrer Veranstaltungen von äußerst hoher Wichtigkeit sei. Darum startete man auch eine Welle von Regeländerungen, für die auch um Unterstützung bei anderen Behörden gebeten wurde. Tage später verkündete die ESL die Partnerschaft mit der Nada (Nationale Anti-Doping Agentur Deutschland), die auch Teil der WADA ist. Die ersten Dopingtests sollen nun während des Turniers in Köln durchgeführt werden. Noch im August sagte Rozwandowicz VICE Sports per Email, dass sie nicht glaube, dass eSport ein Adderall-Problem habe. „Doping in der eSport-Szene ist nicht weit verbreitet. Wir hatten noch nie einen Fall, in dem wir einen Gamer wegen leistungssteigernder Substanzen reglementieren mussten." Rozwandowicz ist der Meinung, dass sich der Großteil der Spieler über die negativen Auswirkungen von leistungssteigernden Substanzen im Klaren seien.

Anzeige

eSports-Events brauchen mittlerweile schon Gebäude dieser Dimensionen. Foto: Kirby Lee/USA TODAY Sports

Nein, das Problem, das eSport hat, ist ein Respektproblem. Denn obwohl es die Massen anzieht, tut sich die Industrie noch immer schwer damit, vom Mainstream ernst genommen zu werden. Für viele ist es weiterhin kein Sport, sondern nur ein Spiel. Und die Tatsache, dass es im eSport vor Ritalin fressenden Jungs nur so wimmeln soll, lässt eSport auch nicht unbedingt seriöser wirken.

Jetzt treten also die WADA und ihre nationalen Vertreter auf den Plan. Dopingkontrollen sorgen für mehr als nur Urintests und Anhörungen, sie sorgen vor allem für sportliche Glaubwürdigkeit, zumindest in der Theorie. Der eSport-Bereich ist nicht der erste, der über diesen Weg zu mehr Legitimität kommen möchte. Anfang des Jahres haben die Ultimate Fighting Championship und die WADA angekündigt, in Zukunft zusammenzuarbeiten. UFC-Kämpfer Michael Chiesa meinte diesbezüglich zu Yahoo Sports, dass man mit diesem Schritt „mit der NFL, NBA und Co. gleichziehen" wolle.

Das sollte auch der Anspruch sein für eSports. Will man eine echte Sportart sein, muss man auch für die Integrität einer echten Sportart sorgen. Ansonsten kann man gleich zum Wrestling gehen. Die WADA verspricht auf jeden Fall eine Lösung. Ob das aber auch eine wirksame sein wird, bleibt indes abzuwarten.

Denn das System von Dopingkontrollen, ob nun direkt von der WADA durchgeführt oder nach deren Standards von anderen Organisationen, hat es bisher noch nicht geschafft, Doping dem Garaus zu machen, und zwar nicht mal annähernd, wie ein erschreckender ARD-Bericht im letzten Dezember gezeigt hat. Dort wurde behauptet, dass sage und schreibe 99 Prozent der russischen Athleten dopen würden, Absprachen zwischen Sportlern, Kontrolleuren und der IAAF sei Dank. Und wenn mal jemand im Weltsport erwischt wird, sind es meistens nicht die großen Namen, sondern irgendwelche jungen und/oder obskuren Sportler, die den Kopf dafür herhalten müssen, damit man medienwirksam von Zero Tolerance sprechen kann.

Anzeige

Dank der WADA könnte es in Zukunft möglich sein, so offensichtlichen Betrügern wie Friesen das Handwerk zu legen. Doch den anderen Sportarten nach zu urteilen, wird es dennoch nicht dopingfrei zugehen. Die Kontrollen werden vielmehr zu einem Wettrüsten zwischen Spielern und Kontrolleuren führen und außerdem den Einsatz von Maskierungsmitteln und Designerdrogen begünstigen, mit denen man Dopingkontrollen austricksen kann. Das wird dazu führen, dass nur die dümmsten Doper geschnappt werden, wohingegen Spieler mit Geld und guten Kontakten ungeschoren davon kommen können.

Und dann wäre da noch das Problem, dass die Teilnehmer mitunter noch sehr jung sind. So wie etwa einer der Sieger von der diesjährigen „The International"-Ausgabe, Sumail, der gerade mal 16 ist. Wird man minderjährige und volljährige Dopingsünder gleich behandeln und bestrafen können?

Stephen „Snoopeh" Ellis, ein „League of Legends"-Spieler, setzt sich für die Rechte von eSports-Spielern ein. Er ist auch einer von wenigen Spielern, die über die Möglichkeit gesprochen haben, eine Gewerkschaft ins Leben zu rufen. VICE Sports hat er erzählt, dass Stimulanzien wie Adderall vor allem bei besonders spielschnellen First-Person-Shootern wie Call of Duty viele Abnehmer finden, doch auch im MOBA-Bereich (MOBA: Multiplayer Online Battle Arenas) wie League of Legends und Dota gibt es diesbezüglich Probleme.

„Ich unterstütze Dopingkontrollen im eSports-Bereich", schrieb mir Ellis in einer E-Mail. „Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir eine Art Abschreckungsmittel für die vielen jungen Spieler ins Leben rufen. Die lassen sich leicht beeinflussen und spielen gegen Millionen andere Spieler mit dem Ziel, die Besten ihres Sports zu werden. Wenn die glauben, dass sie mit Medikamenten wie Adderall und Co. die nötigen 15% Unterschied rauskitzeln können, ist das Risiko groß, dass sie schwach werden könnten."

Die größte Frage betrifft die Umsetzung der neuen Regeln. „Als Spieler hofft man natürlich, dass die Drogenkontrollen nicht allzu zeitaufwendig und kompliziert sind. Eine Spielergewerkschaft würde sich definitiv mit dem Thema Doping auseinandersetzen und man kann mit großer Sicherheit sagen, dass Mittel wie Adderall von Anfang an in den Fokus der Gespräche rücken würden."

Während der eSports-Bereich also nach mehr Legitimität greift und Dopingkontrollen einführt, muss sich die Industrie ein paar wichtige Fragen gefallen lassen. Werden Teams und Ligen, die auf Gewinn aus sind, ihre Spieler als Partner oder als Gegner ansehen? Werden sie ihre Spieler über Dopingmittel und deren Missbrauch hinreichend aufklären? Werden sie Hilfe und einen konstruktiven Ausweg anbieten, wenn einer der ihren in eine Abhängigkeit geraten sollte? Oder wird es nur—und wenig pädagogisch—heißen: „Bitte nichts einnehmen!"? Werden sie Adderall-Missbrauch als Gesundheits- oder eher als disziplinarisches Problem behandeln?

Laut Rozwandowicz arbeitet die ESL gerade an einem Aufklärungsprogramm über den Ursprung, die Verwendung sowie Nebenwirkungen von leistungssteigernden Medikamenten auf, das allen Turnierspielern zugänglich gemacht werden soll. Wir hoffen, dass wir mit diesem Programm—zusammen mit einem positiven Einfluss aus dem direkten Umfeld des Spielers—die Gefahren und Konsequenzen aufzeigen können."

Eine vernünftige Idee. Trotzdem bleibe ich skeptisch. Das Problem leistungssteigernder Mittel ist äußerst komplex und lässt sich nur schwer lösen, will man Spieler tatsächlich wie Menschen behandeln. Die Partnerschaft mit der WADA sendet ein klares Signal in Richtung Null-Toleranz-Politik—bzw. die Illusion dessen—aus, mit der Kehrseite, dass man einzelne „Übeltäter" einfach fallen lassen wird (anstatt ihnen Hilfe anzubieten), um das Image eines sauberen Sports wiederherzustellen. Das fördert aber keine Integrität, sondern spielt sie nur vor. Wenn die Dopingkontrollen am Ende nur dazu dienen, von den Problemen einer ganzen Industrie abzulenken, indem man mit dem Finger medienwirksam auf einzelne Spieler zeigen kann, klingt das für mich nach einem altbekannten Spiel. Ein Spiel ganz so wie im „richtigen" Sport. Andererseits kann man natürlich auch nicht nicht gegen Doping vorgehen. Es bleibt also ein Dilemma.