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Gladbach im Interview: Zwischen DFB-Unterwerfung und Fan-Verständnis

Wegen strikter DFB-Strafen riefen Gladbacher und Kölner Fans zum Derby-Boykott auf. VICE Sports sprach mit einem Verantwortlichen der Borussia über Kritik am Stimmungsboykott, Kölner Provokationen und die gespaltene Einigkeit mit DFB und Fans.
Foto: Imago

Wenn am Samstag Borussia Mönchengladbach auf den 1. FC Köln trifft, wird im Borussia-Park von hitziger Derby-Atmosphäre leider nichts zu spüren sein. Sowohl die aktive Fanszene der Gladbacher als auch die der Kölner werden das 84. Rheinderby boykottieren. Während die Anhänger der Borussen das ganze Spiel im Stadion schweigen wollen, werden die Kölner Fans dem Spiel ganz fernbleiben und stattdessen—wie die Gladbach-Fans schon im Hinspiel—einen Demonstrationszug mit dem Motto „Zum Erhalt der Fankultur" durch Mönchengladbach organisieren.

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Grund für die so ungewohnte Einigkeit der rivalisierenden Fanszenen sind die Strafen des DFB nach den Vorfällen beim Derby in der letzten Saison, als einige Kölner Chaoten den Platz stürmten. Der Verband reduzierte das Ticketkontingent für die Auswärtsfans von 5.400 auf 2.700 Karten und verpflichtete alle Gästefans, sich beim Ticketkauf mit Name, Adresse und Geburtsdatum registrieren zu lassen. VICE Sports sprach vor dem Derby mit Bernhard Nießen, Veranstaltungsleiter und Sicherheitsbeauftragter bei Borussia Mönchengladbach, über den Stimmungsboykott als falschen Weg, Kölner Provokationen und die gespaltene Einigkeit mit DFB und den eigenen Fans.

Die aktiven Fanszenen aus Gladbach und Köln boykottieren das Derby wegen der Reduzierung und Personalisierung des Gästekontingents. Steht der Verein somit zwischen den Stühlen des Verbands und der Fans?
Ich weiß nicht, ob wir zwischen den Stühlen stehen. Wir spielen in der höchsten Liga eines Fußballverbandes. Der Verband legt Regeln für die Durchführung von Spielen fest, an die wir uns halten müssen oder wir melden uns ab. Es gibt Regeln, wann der Schiedsrichter eine gelbe Karte zeigen muss, und es gibt Regeln—auch Verhaltensregeln—für die Sicherheit einer Großveranstaltung. Wenn wir bzw. unsere Fans dagegen verstoßen, gibt es Bestrafungen. Der Verein trägt die verschuldensunabhängige Haftung für das Verhalten seiner Anhänger. Daher ist es für uns natürlich ärgerlich, dass wir auch eine Auflage vom DFB bekommen haben, obwohl sich unsere Fans vorbildlich beim Platzsturm der Kölner verhalten haben.

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Die Gladbacher Ultras nannten diese Regeln „ungerechtfertigte Kollektivstrafen nach dem Gießkannenprinzip". Wie sieht das der Verein Borussia Mönchengladbach?
Es ist das gute Recht der aktiven Szene und der Fanprojekte, gegen diese Kollektivstrafen und die Personalisierung von Tickets vorzugehen. Als Verein teilen wir sogar die Kritik an der Ticket-Personalisierung in dieser Form. Es macht ein Spiel nicht sicherer, wenn man diese Personalisierung nicht bis zum Ende durchdenkt.

Wie weit muss man denken?
Aufgrund der Online-Verkäufe kennen wir heute schon 90-95 Prozent der Käufernamen jedes Tickets. Warum soll ein Spiel sicherer werden, wenn man die Namen der Zuschauer kennt? Da muss mehr erfolgen, wenn man einen Sicherheitsaspekt im Namen der Personalisierung auslösen möchte.

Bernhard Nießen ist bei Borussia Mönchengladbach Abteilungsleiter Stadionbetrieb und -Bau (Foto: Borussia Mönchengladbach)

Was wäre eine sinnvollere Maßnahme?
Letztlich wollen Politik, Polizei und Vereine und ich glaube auch die Fanvertretungen, dass gewaltsuchende Fans, die die Großveranstaltung und Plattform Fußball nutzen, um ihrer Neigung nach Gewalt nachzugehen, keinen Zutritt ins Stadion erhalten. Wenn Kollektivstrafen oder Auflagen erteilt werden, fühlen sich mit Recht alle Fans bestraft, obwohl man nur eine geringe Anzahl von Personen im Fokus hat. Wir müssen also zielgerichtet und täterorientiert vorgehen. Hier ist die Politik und die Polizei gefordert, das schaffen wir als Verein nicht alleine. Eine Polizei kennt die gewaltsuchenden Personen und kann etwa Betretungsverbote für einen Spieltag aussprechen—am Samstag gilt das für etwa hundert Gladbacher und Kölner Personen. Hier muss aber die Politik die Polizei mehr stärken, damit Betretungsverbote nicht willkürlich, aber zügig, rechtssicher und gezielt ausgesprochen werden können.

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Wenn sich sowohl Fans als auch der Verein gegen Kollektivstrafen aussprechen, warum hat Borussia nicht dagegen gekämpft?
Das haben wir, ein Verfahren vor dem DFB-Sportgericht läuft nicht anders als zivilrechtliche Verfahren ab. Wir haben Stellung bezogen und sind gegen das Urteil vorgegangen. Aber jedes Verfahren muss irgendwann mal zu Ende gebracht werden—entweder mit einer Einstellung, einem Freispruch oder einem Urteil. Wir spielen innerhalb dieses Verbandes und nach seinen Regeln, also unterwerfen wir uns auch diesen Regeln und müssen solche Urteile auch irgendwann dann akzeptieren. Sonst brauchen wir kein Fußball spielen. Aber wir sind auch ein Mitglied dieses Verbandes und haben die Möglichkeiten, auf die Regeln Einfluss zu nehmen und unsere Meinung zu äußern. Das Recht nutzt die Borussia.

Es wird zudem kritisiert, dass die Kölner Fans erst aus dem Stadion gedrängt werden und nun davor durch ihre Demo ein Sicherheitsrisiko darstellen. Ist das dem Verein egal, weil es dann ein Problem der Polizei ist?
Wir sind zwar für das Stadion verantwortlich, aber man kann eine solche Demo wie die der Kölner in der Stadionumgebung nicht ignorieren—das wollen wir auch gar nicht. Der Boykott der Gladbacher Fans beim Hinspiel mit der Demonstration für den Erhalt der Fankultur in Mönchengladbach ist friedlich verlaufen. Die Kölner haben sich nun beim Rückspiel für eine andere Form entschieden und wollten ihre Demo nicht in Köln abhalten. Das ist für unsere Fans eine Art Provokation. Nun muss die Polizei aufwändig für die Sicherheit sorgen, das war wohl auch eine Absicht der Anmelder der Demo. Wir halten das auch für unglücklich, weil nicht mehr die Absicht der Demo in den Vordergrund tritt, sondern die Provokation. Damit stelle ich die Absicht, für die Fankultur zu demonstrieren, in Frage. Auch der 1. FC Köln hält den Ort der Demo für unnötig.

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Im Hinspiel blieben im Gladbacher Auswärtsblock wegen des Boykotts schon viele Plätze leer (Foto: Imago)

Generell kann Borussia Mönchengladbach den Boykott der eigenen Fans aber verstehen?
Wir als Verein haben gesagt, dass es ihr gutes Recht ist, wir es nachvollziehen können und es in Teilen auch unterstützen. Aber die Art des Boykotts halten wir für den falschen Weg. Da gibt es andere, intelligentere Maßnahmen.

Die wären zum Beispiel?
Wir brauchen da gar keine Vorschläge zu machen, unsere Fans sind kreativ genug. Es gab schon viele Aktionen, auch innerhalb des Stadions, die ausreichend genug wären, um klar zu machen, dass man gegen diese Verbandsstrafen ist. Wir wollen diese Gruppierungen, die für den Erhalt der Fankultur kämpfen, unterstützen. Aber wir sehen Stimmungsboykotte als Höchststrafe für die eigene Mannschaft an. Nach vier Niederlagen in der Hinrunde hätten wir in Köln die Unterstützung gebrauchen können. Wir tolerieren es, aber es ist unserer Meinung nach nicht die richtige Form.

Die Fans wiederum sehen solche Maßnahmen laut eigener Aussage als die letzte Möglichkeit an, um Gehör zu finden. Wie nutzt die Borussia als großer Verein ihren Einfluss auf Änderungen im DFB-System?
Wir sind ein Mitglied unter vielen und sind als Borussia in Gremien und Arbeitskreisen gut vertreten und nehmen Einfluss auf den DFB und die DFL. Die Verbände oder die Sportgerichtsbarkeit sind genauso an sinnvollen Auflagen interessiert, die Wirkung zeigen. Da die immer höheren Geldstrafen keine Veränderung erwirkten, denkt der DFB nun über diese Form der Auflagen nach. Dadurch wurden die Diskussionen über den Erhalt der Fankultur losgetreten und man macht sich nun öffentlich Gedanken. Kurzum: Unser Einfluss ist schon da, aber wir können nur gemeinsam mit den Fanvertretungen den Verband überzeugen, dass wir diese Kollektivstrafen nicht als zielführend ansehen.

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Was für Ziele hat Borussia Mönchengladbach in dieser Debatte?
Wir hoffen auf den Erhalt der jetzigen Fankultur und der Zehn-Prozent-Regelung für Auswärtsfans, also auch für unsere Fans. Aber wir müssen aufpassen, dass die wenigen gewalttätigen Fans uns den Fußball nicht kaputt machen. Der Wunsch von Borussia Mönchengladbach und dem 1.FC Köln sind stimmungsvolle, friedliche Derbys mit vielen Gästen, aber als Fans.