Die totale Überzuckerung—ich habe die letzten drei Tage nur FCB.tv geschaut

Für einen ernsthaften Bayernfan, also jemand, der bei Sports News HD oft dreimal denselben News-Cycle übersteht, in der Hoffnung, nur einen neuen O-Ton vom FC Bayern zu erhaschen, müsste FC Bayern-TV oder kurz FCB.tv doch das Paradies auf Erden sein. Dachte ich mir.

Man stelle sich die Möglichkeiten vor: den ganzen Tag nur vorauseilend jubelnde Berichterstattung mit Highlights, Interviews, Toren, Historie und wohlmöglich einem eigenen Radiosender, wo nur „Stern des Südens" und „Forever Number One" rotieren oder Günther Koch alte Derbys gegen den Club kommentiert. Mia san Mia all day every day. Dazu die Hoffnung, bei einem Preis von 20 Euro fürs Halbjahres-Abo eine günstige Alternative zum Pay-TV finden—geschissen auf objektive Berichterstattung oder Spiele von anderen Mannschaften. Es kann nie genug FCB geben. Dachte ich.

Der erste Log-in. Ich bin ganz aufgeregt. Wie vor meinem ersten Besuch des Freizeitparks Geiselwind damals als Kind. Einmal zahlen und alle Attraktionen umsonst forever. Ich teste die Browser-Variante und natürlich bekomme ich erstmal verschiedene quadratisch praktische Videohighlights angeboten. Ich klicke „Stimmen zum Stuttgart-Spiel" und hör mir einen langen und rührigen O-Ton vom zurückgekehrten Dauerinvaliden Holger Badstuber an. Das geht nah, das ist menschlich, da baumelt die Seele. Danach wird's allerdings journalistisch hard hitting, mein lieber Schwan. Der Reporter fragt Joshua Kimmich, wie das denn so sei, wenn man auf dem Platz stünde und da fielen vier so schöne Tore. Kimmich bleibt nur noch die Wahrheit: das sei wirklich schön mit den schönen Toren. Ich muss gestehen, das ist nicht unbedingt 11-Freunde-TV aber immerhin auch kein nordkoreanisches Staatsfernsehen.

Jetzt schaue ich mir eine ältere Pressekonferenz von Pep Guardiola an, die ungecutteter ist als Fallout 4 und versuche herauszuhören, ob Pep denn jetzt bei Bayern bleibt, oder ab nächsten Sommer den russischen Leichtathletik-Verband übernimmt. Aber so gut wie hier auf FCB.tv alle gelaunt sind, muss er eigentlich verlängern. Obwohl ich sagen muss, der ehemalige Sky-Mann und jetziger FC Bayern Hausmoderator Dieter Nickles hat schon mal besser ausgesehen, nicht jedem steht ein Bart, so die überraschende Erkenntnis.

Die Videos buffern zwar wie 1998, aber das muss noch sein: die Höhepunkte der Frauenmannschaft im DFB-Pokal und danach das Highlight-Reel der Basketballer beim letzten Auswärtsspiel in Frankfurt. Toll und sozial, dass hier auch Randgruppen-Sportarten berücksichtigt werden. Die Highlights vom Spiel der Amateure gegen den FV Illertissen spare ich mir aus Zeitgründen, denn ab 17:30 wird live der Paulaner-Cup übertragen, wo der FCB beinahe in Bestbesetzung gegen eine Amateurauswahl in Regensburg antritt. Doch was ist das? "Aus medienrechtlichen Gründen ist dieses Video leider für FCB.tv-User in Ihrem Land nicht abrufbar." Verstehe, IP-Bundeslandsperre, weil ich in Berlin schaue. Fair enough.

Beim Frühstück im Cape erzählt mir mein Nachbar, dass Niersbach zurückgetreten ist und wundert sich über meine mangelnde Kenntnis davon. „Woher soll ich das wissen", sage ich. „Ich schau nur FCB.tv."

Nachdem ich ja gestern ja den Paulaner-Cup wegen der IP-Sperre verpasst habe, gibt es heute die Zusammenfassung. „Was wäre der Fußball ohne Fans?", eröffnet der Moderator schwungvoll philosophisch den zackig geschnittenen Clip und ich schaue unserem Verein dabei zu, wie er die Paulaner Traumelf aka die „besten Amateurkicker der Welt" demontiert. Highlights neben eines seltenen Patrick-Weihrauch-Auftritts: Phillip Lahm als Benny-Hill-artiger Wuselstürmer und ein illegaler Rückpass, der einen Freistoß aus fünf Metern vor dem Tor zur Folge hat. Wo sieht man sowas heute noch, wenn nicht im Paulaner Cup? Gleiches gilt für Tom Starke im Tor. Fazit: „Alle hatten Spaß", grade wegen der „großen Zuneigung zu unseren Fans", wie auch Dieter Nickles bestätigt, der heute schon deutlich fitter aussieht als gestern. P1-Hangover auskuriert.

Weil sonst nix Neues passiert und erst morgen der Bericht zur Kreuzfahrt der FC Bayern Kids Club angekündigt ist, finde ich endlich Zeit, mir in Ruhe die Highlights von Amateure gegen den FV Illertissen anzuschauen. Danach vertiefe ich mich nochmals in die Heat Map vom Stuttgart Spiel, obwohl ich schon gern gewusst hätte, was es mit Niersbachs Rücktritt auf sich hat und ob der Kaiser jetzt schuld ist oder nicht. Aber als Bayernfan muss man eben Prioritäten setzen.

Ich muss auf meine kranke Tochter aufpassen, deshalb komme ich erst am Abend zur Tagesration FCB.tv. Schon beim Frühstück habe ich mich auf perverse Weise drauf gefreut. Ich könnte natürlich auch Fallout 4 spielen und mutierte Beutelratten erlegen, aber nein, ich will jetzt endlich „FCB Kids Club auf Kreuzfahrt" sehen. Natürlich buffert das Ding länger als Uli Hoeneß noch im Knast sitzt. Aber dann in voller Pracht: ein Haufen neureicher Jungs (wo sind die Mädchen?) reist auf dem Kreuzfahrt-Schiff Norwegian Epic, wo die Eltern sich jeden Abend mit Hansi Pflügler und Klaus Augenthaler betrinken, die als Trainer und Betreuer mitfahren. Raucht Auge eigentlich noch, steht dann nachts alleine auf dem Achterdeck und qualmt ins Mittelmeer?

Und natürlich ist auch Maskottchen Berni der Bär dabei und spielt jeden Abend mit den Kindern eine Art real life Five Nights at Freddy's. Das habe ich mir natürlich nur ausgedacht. In Wirklichkeit sonnt sich Berni an Deck und „lässt sich die frische Meeresluft um seine Bärennase wehen", während die Kids von Auge im Reaktions-Training geschunden werden.

Kurz nach dem Trainingscamp in Neapel bricht erneut der Stream zusammen, so dass ich mich mit Nickles täglicher Nachrichtensendung vertrösten muss, die übrigens zu meinem Entsetzen „free" ist, also auch für Nichtkunden zu sehen. Wofür bezahl ich eigentlich hier?

Es folgt ein Interview mit unserem Bastian Schweinsteiger, der auch immer noch „wir" zum FC Bayern sagt und an der Premier League mag, dass „sie sehr stark ist und man voll reinhauen muss". Außerdem habe Manchester auch was „sehr Schönes", er spezifiziert allerdings nicht was. Und unser Philipp Lahm wird heute 32, alles Gute und Bussi von dieser Stelle.

Als Betthupferl dann noch die 25-minütige Pressekonferenz zum Beitritt des Vereins zur „Bayerischen Klima-Allianz" mit Kalle Rummenigge und der bayerischen Umweltministerin—Name vergessen—, die beim Klimaschutz voll „auf Sieg spielen will". Okay. Ich halt's leider nicht bis zum Ende durch und gehe ins Bett, obwohl ich jetzt schon weiß, dass ich das: „So, alle Handys bitte aus" von Pressesprecher Markus Hörwick in den ungekürzten Pressekonferenzen schon jetzt vermisse.

Zweischneidiges Schwert. Selbst für einen hartgesottenen Bayernfan wie mich ist FCB.tv die totale Überzuckerung, irgendwann wird einem dann schlecht von soviel Identifikation mit dem Verein. Andererseits hat FCB.tv es den putzigen Charakter von Regionalfernsehen und holt einen aus der harten Realität da draußen in einen angenehmen Kleinstkosmos aus Pronomen der ersten Person Plural. Man könnte es auch „Mia san Miasehen" nennen. Geld würd ich dafür keins ausgeben, zumindest nicht solange Dieter Nickles „Freeware" bleibt. Und jetzt zurück zu Fallout 4.

Folgt Berni auf Twitter: @stburnster