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MMA

Deutschland hat MMA immer noch nicht verstanden

Verliert Conor McGregor oder Ronda Rousey einen Kampf, gerät die Welt kurzzeitig aus den Fugen. MMA galoppiert gerade am Boxsport vorbei. Nicht aber in Deutschland. Das liegt nicht an der Brutalität des Sports—er ist einfach verdammt komplex.
Foto: Imago

In den USA ziehen Ronda Rousey und Conor McGregor durch die großen Talkshows, treten beim beliebten Talkshow-Host Conan O'Brien auf, wo McGregor diesen um ein Haar mit einem Kick getroffen hätte. Rousey ist längst auf dem Sprung ins Filmgeschäft. Beide wurden innerhalb kurzer Zeit zu Millionären, nicht zuletzt, weil sie die Vermarktung ihres Sports durch Style und Mundwerk bestens beherrschen.

In den USA, so wird immer wieder kolportiert, sind die Mixed Martial Arts bereits größer als das Boxen. MMA ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Kampfsportarten wie Boxen, Kickboxen und Grappling, also den Bodenkampf, der vor allem auf die Kontrolle des Gegners am Boden aus ist, bis hin zu Aufgabengriffen wie Armhebeln und Würgetechniken.

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Gerade ist es eine besonders spannende Situation für die UFC, die größte Organisation, deren Höhenflug 2008 mit der Verpflichtung des ehemaligen Profi-Wrestlers Brock Lesnar ansetzte. Die größten Stars Rousey und McGregor haben ihre letzten Kämpfe verloren. Ihr Battle-Rap-Stakkato, das für die Gegner vordergründig nur Spott übrig hat, hat einen Realitätscheck bekommen.

Rousey verlor im November gegen die ehemalige Box- und Kickbox-Weltmeisterin Holly Holm, der im Vorfeld gegen die unbesiegbar scheinende Rousey wenig Chancen attestiert wurden. McGregor verlor ironischerweise vor wenigen Wochen gegen Nate Diaz, einen UFC-Veteranen, der den unterhaltsamen Trash Talk und die Fuck-Off-Mentalität bereits besorgte, als McGregor noch völlig unbekannt hauptberuflich als Klempner in Dublin arbeitete. Aber selbstverständlich lassen sich auch Comeback-Geschichten großartig präsentieren. An diesem Punkt befindet sich die UFC gerade, mit dem Jubiläums-Event UFC 200 in der Planung für den Sommer, wo McGregor wieder kämpfen soll. Womöglich gegen Diaz, im Rematch.

Nur ein kurzes Gastspiel beim DSF

In Deutschland fand der Sport für kurze Zeit seinen Weg ins DSF, bevor er als gewaltverherrlichend eingestuft wurde und aus dem deutschen Fernsehen verschwand. Die kritische Stimmen wie die des österreichischen Box-Experten Werner Schneyder, der in einem hoch- und runterzitierten Interview von 2009 vermeldete, das zu Sehende sei „barbarisch" und eine „Anleitung zur Unbedenklichkeit der Gewalt" und ließe sich einsortieren in die neoliberale Logik des „höher, schneller, weiter". Stellt sich die Frage, ob nach dieser Logik das dauerhafte Zielen auf den Kopf, wie es im Boxen stattfindet, nicht ebenso suggeriert, das sei recht folgenlos möglich. Und, wichtiger noch, ob sich das Problem nicht übertragen lässt auf nahezu jede Darstellung von Gewalt, bei der sich fragen ließe: Ist diese Darstellung schon eine Verherrlichung? Und muss man von aufgeklärten Bürgern nicht erwarten können, dass sie die gedankliche Trennung hinbekommen müssen: da Profiathleten mit jahrzehntelanger Ausbildung, hier ich, biertrinkend, vor dem Fernseher?

In einer Talkshow tönte Schneyder schließlich, da seien nur kampfsportliche Dilettanten zu sehen, die keinen Baustein ihres überaus komplexen Arsenals wirklich beherrschten. An Stellen wie diesen wird es ärgerlich, denn hier verschwimmen Halbwissen, Meinung und sachlich schlicht Falsches. Ronda Rousey gewann 2008 Bronze bei Olympia, Daniel Cormier, derzeitiger Weltmeister im Light Heavyweight, gehörte zu den besten Ringern des Landes, Brock Lesnar, der ehemalige Profiwrestler und Showman, der dann tatsächlich Weltmeister in der härtesten Kampfsportart der Welt wurde, war der beste College-Schwergewichtler in den USA. Holms zig Weltmeistertitel sprechen ebenfalls eine andere Sprache.

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Werner Schneyder 1995 in seinem Element; Foto: Imago

Nicht nur ist also Schneyders Behauptung blanker Unsinn, sie verkennt auch die besondere Herausforderung im MMA: Denn die Meisterschaft in einer der Komponenten ist längst nicht genug. James Toney, der mehrfache Box-Weltmeister, kämpfte 2010 gegen Randy Couture—und war völlig chancenlos, es war wie Ertrinken: Innerhalb kurzer Zeit wurde er zu Boden gebracht, mit Schlägen eingedeckt und schließlich zur Aufgabe gezwungen. Die Gracies, eine Kampfsportfamilie aus Brasilien, die den Sport früh geprägt hat, sind seit Jahrzehnten dominierend im Brazilian Jiu-Jitsu und doch verlieren viele Kämpfer der Großfamilie derzeit am laufenden Band. Trotz zig Weltmeistertiteln im Bodenkampf.

MMA ist zu komplex

Der besondere Reiz der Mixed Martial Arts und der UFC ist gerade, dass es zwar Schwerpunkte und Stärken gibt, starke Wrestler können auf starke Striker treffen—und doch ist ein nachhaltiger Erfolg eben nur möglich, wenn sich verschiedene Kampfsportarten auf hohem Niveau treffen. Das ist, naturgemäß, eine komplexe Angelegenheit—auch für die Zuschauer. Und es liegt der Verdacht nahe, dass die kritischen Stimmen in Deutschland auch daher kommen, dass weder Zuschauer noch professionelle Sportexperten bis dato dieser Komplexität Herr werden können oder wollen.

Schneyders völlig planlose Tiraden sind nur besonders sichtbar. Gleichsam ist insbesondere der Bodenkampf für das höchstens boxerfahrene deutsche Publikum, das Henry Maske zwar mochte, seine Kämpfe aber langweilig fand, weil er eben sehr kontrolliert boxte, schlicht nicht zu kapieren. Das fängt bei den Takedowns an, den gezielten Versuchen also, den Gegner nicht nur zu Boden zu bekommen, sondern selbst auch dabei in eine vorteilhafte Lage zu kommen. In der Guard will man nicht landen, beispielsweise. Das bedeutet, dass der Gegner seine Beine um meine Hüfte geschlungen hat. Wer Hüfte und Schultern des Gegners kontrolliert, ist meist auf der sicheren Seite. Obwohl er auf dem Rücken liegt und der Gegner auf ihm. Die gewrungenen Körper, der Kampf um die Guard, der Versuch, aus dieser zumindest in die Half Guard zu kommen, schließlich in die Mount—also sitzend auf dem Bauch oder der Brust des Gegners, die Hüfte frei—das ist sauschwer zu durchblicken.

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Foto: Imago

Und wie gefährlich ist das? Ist das tatsächlich der Einzug der Barbarei, ist dies die völlige Enthemmung, nun endlich auch im TV für die Couch? Dagegen zumindest sprechen die Zahlen, denn die Verletzungsgefahr ist nach heutigen Statistiken nicht höher als bei anderen Kampfsportarten. Durch die niedrigere Quote an KOs gehen Forscher zumindest davon aus, dass das Risiko für schwere Hirnschädigungen geringer sei. In Würgegriffen kann selbst dann eigentlich nichts passieren, wenn der oder die Gefangene nicht abklopfen will—dann „schläft man ein", wie etwas euphemistisch formuliert wird. Für ein paar Sekunden ist das unbedenklich. Und natürlich, wie auch beim Boxen und anderen Kampfsportarten, falls ein Gegner sich nicht mehr sinnvoll verteidigen kann, wird der Kampf unterbrochen. Aber, und das ist erneut eine Frage der Information, die Zuschauenden müssen erst mal erkennen, was eine sinnvolle Verteidigung ist.

Natürlich, es gibt einerseits diesen Hang zum Spektakel, zur Stilisierung des zu Sehenden zum auf Dauer gestellten Ausnahmezustand. Die Rhetorik eines Conor McGregor hat viel gemein mit der WWE, dem gescripteten Pro Wrestling. So überzogen ist es, so sehr ähneln die Tiraden gegen die scheinbar völlig unfähigen Gegner dem Muskelflexen im Battle-Rap. Andererseits gibt es eine Vielzahl an Blogs, Youtube-Kanälen und Kommentatoren wie Dan Hardy, der selbst bis vor Kurzem professionell kämpfte und in extrem detaillierten Analysen aufklärt. Oder den BJJ Scout bei Youtube, der in halbstündigen Filmen anhand von Filmbeispielen die Raffinessen und Details bestimmter Kämpfer und Bewegungsabläufe aufarbeitet, was da eigentlich taktisch geschieht—und das ist viel. Das ist durchaus vergleichbar mit dem Taktikfetisch, den sich etwa die britische Fußballberichterstattung gönnt. Wer sich dahinter klemmt, kann dieses Spiel tatsächlich mit ganz neuen Augen sehen und die Schönheit erkennen, die über Ronaldo-Übersteiger und Fallrückziehertore hinausgeht. Aber der Fußball war eben schon Jahrzehnte zuvor omnipräsent und anerkannt.

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Ronda Rousey und Bethe Correia kamerawirksam bei der UFC 189; Foto: Imago

Die MMA in Deutschland könnten eine solche Versachlichung gebrauchen, die dann auch zeigte, dass hier zwei Profis aufeinander treffen, die ihr ganzes Leben in die Perfektionierung stecken—und eben keine Backyard-Klopper wie Kimbo Slice. Der kämpft nunmehr bei Bellator, dem einzigen halbwegs ernstzunehmenden Konkurrenten der UFC. Aber Bellator erkauft den kommerziellen Erfolg mitunter durch Freakshows wie den dritten Kampf zwischen Ken Shamrock und Royce Gracie. Beide über 50 Jahre alt, Letzterer kämpfte das letzte Mal vor fast zehn Jahren. Der Kampf war furchtbar, alte Männer, die besten Tagen längst hinter sich, wuchten sich träge durch den Käfig. Ein tiefes Knie zwischen die Beine führt fast folgerichtig ungeahndet zur Niederlage Shamrocks—kontrovers und doch war der Kampf völlig öde. So etwas bringt, erneut, die MMA-Community tatsächlich um Jahre zurück, wie Joe Rogan, der einflussreiche UFC-Kommentator jüngst vermeldete. Und, oh Wunder, Shamrock und Slice wurden auch noch positiv auf Steroide getestet. Man kann nur hoffen, dass es das für beide war.

Für den deutschen Kampfsport und die UFC sieht es besser aus: Gerade sorgt der gleichermaßen sympathische wie eloquente Nick Hein in vielen Interviews und Hintergrundberichten dafür, dass es mit der Differenzierung etwas vorangeht. Hein ist 31, er hat nun viermal in der UFC gekämpft, im Mai steht ein Kampf in Rotterdam an.

Lies: Nick Hein kennt den Street Hustle

Nick Hein passt Gott sei dank nicht in die Klischees vom tumben Schläger. Und, das mag manchen deutschen Traditionalisten mit Hang zu Recht und Verbot beruhigen, er hat einen richtigen Job gelernt: Er war bis vor Kurzem bei der Polizei.