Die „Assis" kommen—Frosinones Durchmarsch in die Serie A
Foto: Imago: Grimaudi

FYI.

This story is over 5 years old.

fußballmärchen

Die „Assis" kommen—Frosinones Durchmarsch in die Serie A

Frosinone gelang letzte Saison der Durchmarsch in die Serie A—sehr zum Entsetzen vieler Italiener. Denn die Bewohner aus der Stadt bei Rom sprechen einen unverständlichen Dialekt und werden liebevoll nur „cafoni" genannt—Assis.

Ammazza! Dieses Jahr spielt Frosinone Calcio ist in der Serie A, „Frosi-wer?", fragst du dich jetzt vielleicht. Und die Frage ist durchaus berechtigt, war der kleine Verein aus der Region Latium zuvor doch noch nie in der höchsten italienischen Spielklasse vertreten. Vor zwei Jahren spielte man sogar noch in der dritten Liga und schaffte im Sommer mit zwei Aufstiegen in Folge den direkten Durchmarsch ins Fußballoberhaus. Derzeit steht man auf einem Nicht-Abstiegsplatz. Darmstadt-Style, also.

Anzeige

Frosinone ist eine kleine Stadt unweit der italienischen Hauptstadt. Und hat mit einem ziemlich schlechten Ruf zu kämpfen. Viele in der Region (aber besonders gern in Rom) blicken auf Frosinone herab und bezeichnen seine Einwohner als „cafoni" (Assis), denen so manche nachsagen, dass neben ihnen sogar Neapolitaner wie feine Herrschaften rüberkommen würden. Wer schon mal längere Zeit in Italien verbracht hat und folglich den Ruf Neapels kennt, muss bei diesen Worten erstmal schlucken.

Auch in Untersuchungen zur Lebensqualität in Italien findet man nicht unbedingt gute Argumente, den Ruf der Stadt reinzuwaschen. Da nämlich landet Frosinone Jahr für Jahr auf den hintersten Plätzen, was—neben der Tatsache, dass die Einwohner in Frosinone zu den ärmsten des Landes zählen—vor allem an seiner miserablen Luftqualität liegt, mit doppelt so hohen Feinstaubwerten wie in Rom (ja, ich weiß, nur schwer zu glauben…). Und dann wäre da noch der in und um Frosinone gesprochene Dialekt, das Ciociaro, das für Auswärtige nicht nur schwer zu verstehen ist (so heißt Frosinone im eigenen Dialekt Frusinate), sondern zudem auch als nicht gerade wohlklingend gilt.

Doch all diese Schmährufe (die zum Teil an Geschmacklosigkeit und Menschenverachtung kaum zu überbieten sind, wie unzählige YouTube-Kommentare unter Beweis stellen) werden den örtlichen Tifosi ziemlich egal sein, geht es doch nächstes Jahr gegen Juve, Milan und Co. Dabei galt man noch zu Beginn der letzten Saison als sicherer Abstiegskandidat. Als man im Dezember dann plötzlich auf einem Aufstiegsplatz stand, bemühte sich der Kapitän der Mannschaft—der Österreicher Robert Gucher—, den Tabellenstand als Momentaufnahme herunterzuspielen und betonte, dass es weiterhin nur um den Klassenerhalt gehe. Doch die guten Ergebnisse hielten an und nach dem 3:1 im Heimspiel gegen Crotone war der vorzeitige Aufstieg perfekt, sehr zur Freude der 8.422 Fans im Matusa-Stadion.

Anzeige

Ein Wort zum Matusa. Denn auch wenn es die Fans von Frosinone gerne als ihr „kleines Bombonera"—in Anspielung an die für seine berauschende Stimmung und Akustik berühmte Spielstätte von Boca Juniors—bezeichnen, ähnelt es seinem großen Vorbild aus Argentinien vor allem hinsichtlich seiner äußerst begrenzten Räumlichkeiten. Da man einige Auflagen vonseiten des italienischen Verbands aktuell nicht erfüllen kann, sind Umbauarbeiten nötig. Das führt dazu, dass zumindest die ersten Heimspiele im mehr als 100 km entfernten Pescara ausgetragen werden müssen. Dass nicht mal 10.000 Fans ins Stadion passen, kann dabei aber nicht der ausschlaggebende Punkt sein, lag der Zuschauerschnitt der Serie A in der abgelaufenen Saison bei gerade einmal 22.057 Besuchern (und der des früheren Champions-League-Teilnehmers Udinese Calcio sogar bei weniger als 9.000 Zuschauern). Zum Vergleich: In die Bundesligastadien strömten letzte Saison im Schnitt rund 43.000 Fans. Wollen wir also für die Frusinate-Fans hoffen, dass das Stadionproblem schnell aus der Welt geschafft wird. Wäre ja irgendwie schade, wenn man am Ende im eigenen Stadion doch keine Erstligaluft schnuppern könnte.

Besonders gespannt kann man in der nächsten Serie-A-Saison auf die Latium-Derbys gegen den AS Rom und Lazio sein. Vor allem mit den Biancocelesti haben die Fans von Frosinone noch eine Rechnung offen. Verantwortlich dafür sind Aussagen von Claudio Lotito—Präsident von Lazio Rom und hohes Tier im italienischen Fußballverband—, demzufolge Vereine wie Frosinone und Carpi das Ende der Serie A bedeuten würden. Begründet hat er das damit, dass der Liga wichtige Einnahmen aus dem Verkauf von TV-Rechten durch die Lappen gehen werden, wenn Vereine wie eben Frosinone mit von der Partie sein dürfen (Carpi hat er in einem aufgezeichneten Telefonat sogar als „Drecksverein" bezeichnet).

Anzeige

Ungefähr: „Schieb dir unseren Serie-A-Aufstieg in den Arsch, Lotito!"

Vielleicht hat aber Lotito Glück und das Fußballmärchen um Frosinone ist schon Ende der Saison wieder Geschichte. Denn alles andere als ein erbitterter Abstiegskampf Frosinones bis zum letzten Spieltag wäre wohl mindestens genauso sensationell wie ihr letztjähriger Aufstieg. Zwar konnte man seine wichtigsten Spieler—darunter das kongeniale Stürmerduo, Daniel Ciofani (13 Tore) und Federico Dionisi (14 Tore)—halten. Auch Kapitän Gucher, der schon 2008 als 17-Jähriger zu Frosinone gewechselt ist und im Mittelfeld als wichtiger Denker und Lenker fungiert, ist geblieben. Doch da man insgesamt nur wenig Geld hat, muss man weiterhin auf junge, unerfahrene Spieler setzen, was die Mission Klassenerhalt für Erfolgstrainer Roberto Stellone zu einer echten Herkulesaufgabe macht.

Andererseits hat der Verein eh nicht wirklich viel zu verlieren. Nicht nur, dass sie bereits vom Bürgermeister, Nicola Ottaviani, zu Ehrenbürgern von Frosinone ernannt wurden, sie haben mit ihrem wundersamen Aufstieg bereits das Herz einer ganzen Stadt erobert.

Mut schöpfen kann man außerdem aus den letzten beiden Begegnungen gegen Juventus Turin. In der Saison 2006/07—nachdem die alte Dame im Zuge des Manipulationsskandals den Gang in die Zweitklassigkeit antreten musste—verlor man zweimal äußerst knapp (0:1, 0:2) gegen den italienischen Rekordmeister, obwohl der mit so illustren Spielern wie Buffon, Nedved, Camoranesi, Del Piero und Trezeguet auflief. Mit einem 0:1 gegen den Champions-League-Finalisten könnte man in Frosinone bestimmt auch in der nächsten Saison ziemlich gut leben.

Hand auf's Herz und „Assi" hin oder her (schließlich bin ich selber gebürtiger Neuköllner…): Was die Serie A betrifft, gehört mein Herz dieses Jahr den Löwen aus Latium! Daje, ragazzi, ce la possiamo fare!