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Warum die Mindestsicherung wichtig ist, aber trotzdem reformiert werden muss

Dass grundsätzlich Reformbedarf besteht, bestreiten wenige. Aber sinnvoller als polemische Wahlkampf-Positionen wären pragmatische Lösungen.

Foto: JWPhotography2012 | Flickr | CC 2.0

Im Juni 2010 war noch alles gut. Damals wurde die bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) in Österreich eingeführt und mit Ausnahme der FPÖ waren alle Parteien glücklich. Sechs Jahre später ist alles anders. Eine neue Diskussion über die Sinnhaftigkeit und Höhe der Mindestsicherung ist entbrannt.

Zunächst einmal sollte klargestellt werden, dass die Mindestsicherung 0,7 Prozent (673 Millionen Euro) des gesamten Sozialbudgets ausmacht. Voraussetzung, um Bezieher zu werden, ist, dass das Vermögen maximal 4.188,80 Euro beträgt, wobei der Hauptwohnsitz hierbei ausgenommen wird. Sein Auto, wenn man über eines verfügt, muss man veräußern, sofern es nicht berufs- oder behinderungsbedingt notwendig ist. Für eine alleinstehende Person ist der maximale Betrag 837,76 Euro, für Paare 1.256,64 Euro pro Monat, 12 Mal im Jahr.

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Warum das Thema gerade jetzt aufkommt, hat zwei Gründe. Zum einem läuft Ende des Jahres eine Vereinbarung bezüglich der Mindestsicherung zwischen Bund und Ländern ab. Zum anderen lässt sich mit der Thematik sehr leicht politisches Kleingeld wechseln und gegen (ausländische) Bezieher polemisieren, Stichwort: "Unser Geld für unsere Leut". Während die SPÖ keinen großen Reformbedarf sieht, möchte die ÖVP—vor allem in Person von Klubchef Reinhold Lopatka—eine große Reform, die zahlreiche Verschärfungen in Form von Kürzungen vorsieht. So weit die Ausgangslage.

Die Höhe ist naturgemäß das erste Dilemma, denn jedes Bundesland vergütet unterschiedlich. Die Unterstützung für ein Kind variiert pro Bundesland, sobald dieses das 4. Lebensjahr erreicht hat. Dasselbe gilt für andere Teilbereiche. Der Sinn erschließt sich einem nur schwer. Solche undurchsichtigen Regelungen bieten vor allem Angriffsfläche.

"Dass jemand aus Syrien flieht und sich vorher das Bundesgesetzblatt des Landes Oberösterreich durchliest", wie es die Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely Im Zentrum so schön formuliert hat, ist zwar ziemlich unrealistisch. Trotzdem ist es für BMS-beziehende kinderreiche Familien aufgrund der Tatsache, dass die BMS in Wien für Kinder (223,51 Euro) am höchsten ist, schlicht und einfach am attraktivsten, auch in Wien zu wohnen, was mittelfristig zu einer Ballung führen kann. Momentan leben 63 Prozent der BMS-Bezieher in Wien. Eine Lösung hierfür wäre die einheitliche Erhöhung auf Wien-Niveau.

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Auch Reinhold Lopatka dürfte bewusst sein, dass die Resultate notgedrungen Armut und Obdachlosigkeit sind.

Die niedrigsten Zuschüsse in Bezug auf die Anzahl der Kinder zahlen übrigens das Burgenland und Kärnten mit 150,08 Euro. Sie auf dieses Niveau zu senken und gerade Kinderzuschüsse zu deckeln, wäre ein schwerer Fehler. Vor allem in Anbetracht dessen, dass unter den vielen alleinerziehenden Müttern in Zukunft auch einige Flüchtlinge sein werden, wäre es fatal, wenn sie Ausbildungskosten wie Schulsachen, Nachhilfe etc. nicht zahlen könnten.

Trotzdem haben in Ober- und Niederösterreich die jeweiligen Landtage beschlossen, die Mindestsicherung für subsidiär Schutzberechtigte sowie anerkannte Flüchtlinge drastisch zu kürzen. Das Burgenland und Salzburg haben die Beiträge für subsidiär Schutzberechtigte bereits reduziert.

Die kurzfristige Folge ist eine vergleichsweise geringe Summe, die eingespart wird, die langfristigen Folgen sind dramatisch und vor allem kostspielig für den Staat. Gerade für diese Personengruppe ist es aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse oder Ausbildung sehr viel schwieriger, Arbeit zu finden. Auch Reinhold Lopatka dürfte bewusst sein, dass die Resultate notgedrungen Armut und Obdachlosigkeit sind. Dass gerade solche Fälle ein Sechser im Lotto für jeden islamistischen Rattenfänger sind, dürfte mittlerweile auch hinlänglich bekannt sein.

Warum man arm sein nicht lernen kann, könnt ihr hier lesen.

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Warum soll ein gerade erst anerkannter Flüchtling (Asylwerber haben keinen Anspruch auf BMS), der auf Jobsuche ist, weniger Geld erhalten, als ein Österreicher, der sich in derselben Situation befindet? Bereits jetzt sind 14,1 Prozent der Österreicher armutsgefährdet. Mit derartigen Maßnahmen wird sich diese Zahl schlagartig erhöhen.

Wenn man nur von der selbsternannten Familienpartei ÖVP und der FPÖ Aussagen zu diesem Thema hört, könnte man glauben, dass ausschließlich anerkannte Flüchtlinge BMS beziehen. Der Grund dafür sei die Wahlfreiheit zwischen arbeiten und dem Staat auf der Tasche liegen.

Allerdings wird die Mindestsicherung nur Personen gewährt, die nachweislich nach Arbeit suchen oder sogar erwerbstätig sind. Letztere verdienen so wenig, dass sie trotz Einkommen auf die BMS angewiesen sind. Das betrifft vor allem alleinerziehende Frauen, die halbtags arbeiten. Für sie ist die Mindestsicherung besonders wichtig. Wie fatal es wäre, gerade hier zu sparen, zeigt das Beispiel einer Mutter, die zu dem Thema bei Im Zentrum zu Gast war.

Um der Gefahr, dass Menschen ewig an der BMS hängen, vorzubeugen, werden jene, die eine vom AMS vermittelte Stelle nicht annehmen, entsprechend sanktioniert. BMS-Studien aus den Jahren 2012 und 2014 des Sozialministeriums zeigen, "dass Nicht-ÖsterreicherInnen im Vergleich zu ÖsterreicherInnen bessere Ergebnisse bei der Beschäftigungsentwicklung vorweisen konnten."

Dass grundsätzlich Reformbedarf besteht, bestreiten wenige. Aber sinnvoller als polemische Wahlkampf-Positionen wären pragmatischere Lösungen. Zum Beispiel, indem nicht die ganze Mindestsicherung schlagartig gestrichen wird, wenn jemand einen neuen Job hat, sondern sich diese ab einem gewissen Betrag sukzessive reduziert.

Bezieher könnten außerdem in gemeinnützige Arbeit eingebunden werden, wie der ehemalige Sozialminister und Behindertenanwalt Erwin Buchinger im profil vorschlägt. Auch die Forderung von AMS-Chef Johannes Kopf in der Zeit, dass die Bundesländer sich bezüglich der Datenübermittelung besser vernetzen müssten, ist mehr als berechtigt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass eine Deckelung in Einzelfällen, in denen die BMS, ausgenutzt wird, sinnvoll sein kann. Jedoch würde einen solche Deckelung, speziell bei Nicht-ÖsterreicherInnen, weitreichende negative Konsequenzen haben, die sie in die Armut treiben und einen (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt nur erschweren würden. Man muss kein Genie sein, um sich auszumalen, wozu Armut und niedrige Bildung bei zugewanderten ÖsterreicherInnen und anerkannten Flüchtlingen auf Dauer führt—und welche Parteien davon bei der nächsten Wahl profitieren würden.