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Das Ökosystem Zipp

Mitten im 7. steht das Zipp, ein unauffälliges Beisl, düster, verraucht und ein bisschen grindig. Und genau das macht es so toll.
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Manche Lokale sind wie kleine Inseln. Einzigartig, ein wenig versteckt und oft die letzte Rettung für Gestrandete. Das Zipp ist so eine Insel. Mitten in der Burggasse, im „Klein Berlin" des 7. Bezirks, umgeben von Coolness und Lässigkeit sticht diese Bar, wenn man genau schaut, heraus wie eine Braut auf ihrer Hochzeitsfeier. Oder so ähnlich. Vielleicht eher wie ein Fleck auf einer weißen Bluse. Ein Plädoyer für Außenseiter.

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Dass Neubau der Lieblingsbezirk von fahrradfahrenden Menschen ist, die die Zutaten für ihr Abendessen bei Denn's kaufen, muss ja eigentlich gar nicht mehr erwähnt werden. Ein Concept Store reiht sich an den nächsten, immer wieder unterbrochen von trendigen aber gemütlichen Lokalen.

Sie verkaufen Wohlfühlgetränke wie Bier aus Vorarlberg oder hausgemachte Limonade mit braunem Zucker und Ingwer. Man lässt es sich hier gerne gutgehen. Nach einer durchzechten Nacht im Kreisky findet man sich am Morgen im Amerling beim Frühstück wieder, wo man bei hausgemachtem Mango Lassi und Shakshukka den letzten Abend bespricht. Alles hier ist modern, am Puls der Zeit und irgendwie … schön.

In diesem Bezirk nun, in dem sich Studenten mit Anfangsdreißigerwohlstandsbobos das Fritz Cola teilen, existiert auch das Zipp. Und das seit nun fast drei Jahrzehnten. Aber warum? Biegen die Leute auf dem Weg zum Wirr einfach falsch ab? Weil ich mich gerne mit den wichtigen Dingen im Leben beschäftige und ein von Neugier getriebener Mensch bin, habe ich, zur Klärung dieser essentiellen Frage, keine Kosten und Mühen gescheut und einen Abend im Zipp verbracht.

Ich organisiere mir eine Begleitung. Daniel, langjähriger Freund und früherer Studienkollege (der den Absprung ins erfolgreiche Businessleben schon geschafft hat) opfert sich selbstlos auf, als ich ihm vorschlage, sich spontan mit mir zu betrinken. Vorgeglüht wird bei mir mit stilechten, lauwarmen „Kühlen Blonden" vom Hofer (unnötig zu erwähnen, dass ich besagten Absprung noch nicht geschafft habe). Wir müssen Zeit totschlagen, bevor wir uns ins Zipp trauen. Noch ist die Welt vor meiner Türe zu hell, zu sorglos, zu nett und nüchtern.

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Zwei Stunden später und schon in seliger Bierlaune fühlen wir uns gewappnet und begeben uns ins Feld. Das Lokal ist so groß wie eine Schuhschachtel. Ein kleiner Raum mit Balankatisch (für die Wiener- Wuzler), ein größerer mit Theke. Ein paar Sitzplätze und ein Klo. Das wars. Wie in jeder richtigen Spelunke wird hier auf helle Beleuchtung keinen Wert gelegt. Und das ist auch gut so. Die Einrichtung ist, gelinde gesagt, etwas in die Jahre gekommen und alles, was man nicht sieht, ist ein Segen.

Mir schlägt als erstes der Geruch von Zigarettenrauch in die Nase, gefolgt von einem Schwall Alkoholdunst. Die "Dekoration" besteht im Grunde aus einem alten Stoffbären, getrockneten Rosen und einer Freecard auf der "Pudel di ned auf" steht. Die verklebten und halbleeren Aperolflaschen hinter der Theke zeugen von einem früheren Versuch, Trends aufzugreifen, der wohl schnell wieder ad acta gelegt wurde. Ich fühle mich wohl.

Das Publikum symbolisiert den repräsentativen Durchschnitt von Bargängern im Allgemeinen. Ganz links am Tresen steht eine Gruppe älterer Herren, die etwas selbstvergessen in ihr Bier schauen. Die Konversationen läuft indem sie nicht läuft, was niemanden zu stören scheint. Am anderen Ende der Theke hat ein Endzwanziger Platz genommen, Typ einsamer Wolf, der auch in sein Bier schaut. Das scheint hier ein Ding zu sein.

Der große Tisch für fünf Personen in der hintersten Ecke des Lokals ist von einer Gruppe Studenten besetzt, die erstaunlicherweise sogar miteinander kommunizieren und lachen. Sie reden über Nichtigkeiten, sind gelöst, voller Energie und bilden damit quasi den Kontrapunkt zu den Männern an der Bar. Zyniker würden sagen: Gegenwart und Zukunft in einem Raum versammelt. Ihr Gelächter bildet mit der Musik und dem gelegentlichen Zischen des Zapfhahnes die gesamte Geräuschkulisse.

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Wir entscheiden uns für den Platz neben den älteren Herren am Tresen. Das dritte Bier des Abends wird bestellt und für mindestens fünf Sekunden verliert sich auch mein Blick in den Bläschen der Schaumkrone. Man wird hier einfach dazu verleitet. Ich wende mich dem Altherrenquartett zu und frage so etwas Blödes wie: „Und geht's ihr oft ins Zipp?" Meine plumpe Anrede wird mir nicht übel genommen und Josef, der Mann direkt neben mir, beginnt sogleich enthusiastisch zu erzählen. Sie reden also schon gern, wohl nur nicht miteinander.

Josef verliert sich in Ausschweifungen über Whiskey. Ich habe dieses Thema zwar nicht angestoßen, es scheint ihm aber eine Herzensangelegenheit zu sein, deswegen höre ich zu. Mit seiner Tochter hat er einmal die schottischen Highlands besucht. Das war so schön, da hätte er blaue Augen mit Herzis drin gehabt, richtig leiwand fand er das. Ich oute mich als absolute Nichtwhiskeytrinkerin und erzähle irgendwas von einem Jim Beam Blue Label, den ich mal gekostet habe und mochte. Josef reißt entsetzt seine Augen auf, sagt er muss mir vier Punkte abziehen und führt seine Erzählung fort. Nach den Highlands hat es ihn mit seiner Freundin "Pussykätzchen" in die Türkei verschlagen. Urlaub in Antalya. Er lächelt leise, als er mir erzählt, dass sie ihn „Bussibär" nennt.

Rudi, auch ein Teil des Quartetts, schiebt mir wortlos einen Zettel zu. Johnny Walker = Blue Label steht da drauf. Gefolgt von Jim Beam = Bourbon nicht Whiskey. Deshalb wohl der Punkteabzug. Nachdem Josef zwar gewillt ist, über Whiskey zu reden, übers Zipp jedoch wenig zu sagen hat, wende ich mich Rudi zu. Wir plaudern ein wenig über das Grätzl und die Bars in der Gegend.

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Rudi lebt seit vierzig Jahren in dem Bezirk und erzählt mir von einer unglaublichen Menge von Lokalen, die hier im Laufe der Zeit pleite gegangen wären. Warum gerade das Zipp seit knapp dreißig Jahren existiert kann auch er sich nicht so richtig erklären. Hier ist halt jedem alles wurst, meint er. Es ist wurst, ob du links oder rechts bist, arm oder reich. Ins Zipp kann jeder kommen und jeder wird akzeptiert. Nur Schläger sind nicht gern gesehen. Klingt logisch.

Der Kellner stellt ohne Aufforderung ein Würfelpokerbrett auf den Tresen und die Herrenrunde, inklusive Barmann, beginnt zu spielen. Das Ritual wurde sichtlich perfektioniert, denn geredet wird hierbei auch wieder nicht. Ist auch nicht nötig. Ich bitte Rudi, mir die Regeln zu erklären und spiele selbst gegen ihn. Kurz zusammengefasst: Der Verlierer gibt eine Runde aus. Wodka. Rudi gewinnt natürlich, besteht jedoch darauf, mir den Schnaps zu zahlen. Es sei schließlich meine erste Partie gewesen und ich hätte es doch so schnell verstanden. Alleine dafür müsse er mich einladen.

Ich sage danke, verabschiede mich vom liebenswerten Quartett und steuere, etwas weniger zielsicheren Schrittes als zu Beginn des Abends, auf den Tisch mit den Studenten zu. Meine Anrede ist diesmal geschickter, aber noch immer ziemlich plump. Wir unterhalten uns über das Leben im Allgemeinen und das Studieren im Besonderen. Ins Zipp gehen sie wegen der netten Leute, der billigen Getränke und der Musik. Und es stimmt. Die Musik ist richtig gut. Eine Mischung aus gefälligem Indie und Rock. Nie billig, nie kreischend und trotzdem driftet das Ohr immer wieder ab, um bewusst zuzuhören. „Zuton Fever" ist tatsächlich bereits der dritte Song, den ich an diesem Abend shazame.

Ich gehe zurück zu Daniel, bestelle für uns beide noch ein Bier. Wir lassen uns mitreißen von der angenehm siffigen Atmosphäre und der völligen Abwesenheit von Coolness. Daniel erzählt mir von goldenen Zeiten im Zipp. Ein halbes Jahr hätte der Balankatisch nicht richtig funktioniert. Man hätte ihn einfach selbst aufmachen und den Ballmechanismus auslösen können. Gratis spielen, Nächte lang. Seine Augen glänzen dabei.

Sowohl Rudi als auch Josef kommen zu uns an den Tisch, um sich persönlich von mir zu verabschieden. Gentlemen der alten Wiener Schule halt, nur der Handkuss fehlt. Ich bin irgendwie gerührt, woran wohl auch mein Alkoholpegel schuld ist, und habe die Faszination endgültig verstanden.

In einer Blase des Hipstertums und des Lifestyles hat sich das Zipp für sich noch einmal verkapselt und bildet eine eigene Welt in der Welt des 7. Es braucht keine Young Artist Kunstwerke an den Wänden oder eine willkürlich wirkende, aber durchdesignte Einrichtung, die man beim Verlassen des Lokals auch gleich kaufen kann. Es braucht noch nicht einmal Ökobier oder Ingwerlimonade. Es ist einfach. Genauso wenig versucht das Publikum dieser Bar etwas zu sein, etwas darzustellen oder sich zu vermarkten. Auch das Publikum ist einfach. In allen Facetten und Ausprägungen. Und durch die ganze fehlende Prätention, den nicht vorhandenen Stil und die Fasadenlosigkeit ist das Zipp schon wieder so echt, dass es einfach gut ist.