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Borussia Dortmund

Warum der BVB seine Identifikationsfiguren wieder stärken muss

Im Rotationsprinzip der Borussia fehlt die Selbstverständlichkeit einer Spitzenmannschaft. Gerade deswegen müssen Säulen der Meisterjahre wie Kagawa, Sahin und Subotic sportlich gestärkt werden—und zwar nicht nur der alten Tage wegen.
Foto: Imago/Chai v.d. Laage

Trotz des geglückten Starts im Jahr 2017 gibt das Dortmunder Spiel weiterhin Rätsel auf. Über gute Ansätze kam man auch in Bremen nicht hinaus. Die schwarz-gelbe Passmaschinerie scheint sich immer noch allzu leicht aus der Fassung bringen zu lassen. Das Gefühl hält sich hartnäckig, dass man beim BVB auf der Suche ist nach einer Selbstverständlichkeit, einem Stück Identität, das nach dem Kaderumbruch im Sommer irgendwo verloren ging.

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Abgesehen von der sportlichen Konstanz fehlt noch etwas anderes, das ich aus Fan-Sicht als Spirit beschreiben will. Jene freundschaftliche Eigendynamik im Team, jenes unsichtbare, aber dennoch spürbare Band zwischen Mannschaft und Fans wirkt verflacht.

Unter Thomas Tuchel regiert das Rotationsprinzip. Blindes Verständnis und gegenseitiges Vertrauen bekommen kaum Gelegenheit sich einzupendeln. Zeitweise wirken die Spieler wie austauschbare Versatzstücke in den ständigen Systemrochaden des Taktik-Tüftlers. Dass ein Akteur aufläuft, der nicht perfekt zum Matchplan passt, dafür aber Mitspieler und Zuschauer mitreißt, scheint in der Ära Tuchel undenkbar. Charaktere haben schleichend an Bedeutung verloren. Dabei werden die in der aktuellen Findungsphase so dringend benötigt.

Bei aller Rationalität braucht es in Dortmund mehr als irgendwo sonst authentische Emotionen, um den Geist der Süd zu beschwören. Im Ruhrpott, dort wo die Menschen nach Leidenschaft gieren, nährt der Zusammenhalt jede Erfolgsgeschichte. Seitdem Jürgen Klopp nicht mehr wild gestikulierend an der Seitenlinie tobt und das Feuer auf Mannschaft und Fans überträgt, liegt eine unverbindliche Distanz in der Luft. Nun ist sein Nachfolger ein grandioser Trainer, trotzdem aber kein Typ für diese Rolle. Gerade deshalb muss er die bewährten Identifikationsfiguren im Kader stärken.

Derzeit freuen sich nur die Amateure über Neven Subotics Minuten auf dem Platz; Foto: Imago/Thomas Bielefeld

So sehr Offensivjuwelen wie Ousmane Dembélé, Emre Mor, Christian Pulisic und Raphael Guerreiro auch mit ihrem Spielwitz begeistern–sie bringen Sprachbarrieren mit, müssen sich an das neue Umfeld gewöhnen und sind zunächst mit ihrer sportlichen Entwicklung beschäftigt. Bekommen sie die emotionale Energie des Vereins nicht zu spüren, verkommt das Abenteuer Dortmund zum Karriere-Sprungbrett statt zur Herzensangelegenheit. Man läuft Gefahr, sich selbst zum Ausbildungsverein abzuwerten. In dieser vernichtenden Vorstellung hat der Vollblutborusse keinen Platz mehr. Ein Horror-Szenario für jeden Fan.

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Es braucht also Orientierungsgrößen, die das Gegenteil vorleben, nämlich eine tiefe Wertschätzung für das, was den BVB ausmacht: ein magisches Wir-Gefühl. Stammkräfte wie Marco Reus und Marcel Schmelzer gehören zu dieser aussterbenden Spezies. Dahinter tun sich wenige hervor. Unbeirrt hängen die Herzen der Fans an den wenigen verbliebenen Spielern des Dortmunder Double-Höhenflugs.

Darunter werden Neven Subotic und Nuri Şahin immer wieder als potentielle Abgänge gehandelt. Durch Verletzungen zurückgeworfen und von der Konkurrenz ausgestochen, droht ihnen das sportliche Aus in Dortmund. Auch Shinji Kagawa gehört zum erweiterten Kreis derer, die hinter den hoch gehandelten Neuzugängen oft das Nachsehen haben. Dabei ließe sich bei diesem Trio so viel verschüttetes Potenzial rauskitzeln.

Bringt Subotic nicht jene Präsenz und Kompromisslosigkeit im Zweikampf mit, die der wacklige Defensivverbund händeringend sucht? Strahlt Şahin nicht die Ballsicherheit aus, die das Spiel im entscheidenden Moment beruhigt? Hat Kagawa nicht jene Geistesblitze im Repertoire, die eine mauernde Hintermannschaft aus den Angeln hievt? So sehr sich darüber streiten lässt, wie gut jeder Einzelne im durchgeplanten Ballbesitzfußball funktioniert: Finden die drei zu ihrer Form, entwickeln sie auf ihren Positionen eine ganz andere Strahlkraft.

Verglichen mit vielen ihrer Mitstreiter haben sie eine Bedeutung für die emotionale Identität des Vereins. In Erinnerung an gemeinsame Sternstunden bringen sie Fan-Nähe auf den Platz. Für ihre Kollegen sind sie Botschafter. Gerade die „verlorenen Söhne" Şahin und Kagawa verkörpern nach ihrer Rückkehr ein Stück schwarz-gelbe Romantik. Eben die kristallisiert sich als fehlendes Puzzlestück auf der Suche nach mehr Leichtigkeit heraus.

Bevor Tuchel die „Dortmunder Jungs" vorschnell nach dem Leistungsprinzip aussortiert, sollte er sich bewusst machen, wen und was er damit abgibt. Will er den Spirit wieder beleben, dürfte es sich lohnen, ein paar angeknackste Identifikationsfiguren wieder aufzurichten. Der BVB kann sie gebrauchen, um die „Echte Liebe" auch in holprigen Zeiten zu bewahren.