Mit Spitzensportlern an der Bar: Das B&E Invitational
Alle Fotos: Konstantin Arnold

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die letzte bastion

Mit Spitzensportlern an der Bar: Das B&E Invitational

Den Action-Sport machen Individualismus und Freidenker aus und nicht vertraglich festgehaltene Instagram-Filter. VICE Sports besuchte eine der letzten Bastionen, in der sportliche Topleistungen und Partyexzess noch in Harmonie leben.

Ich wohne in einem Hotel in Les Arcs auf 1.800 Höhenmetern. Zusammen mit den 21 besten Freestyle-Skifahrern der Welt, Rap-Star Dillon Cooper und einer Armada an Promotion Models, die von allen Kontinenten aus eingeflogen wurden, um in den nächsten drei Tagen für das richtige Ambiente zu sorgen. Vor mir liegt ein gut ausgearbeiteter Programmplan, der in Times New Roman festhält, was es von nun an zu erleben gilt. Für alle, die das nicht verstehen, gibt es immer noch eine Pressekonferenz und freie Coronas. Ohne Blitzlichtgewitter und bestimmte Sitzordnung. Ohne Mikrofone und zu formalen Fragestellungen fällt hier und da ein Glas Rosé.

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Ich frage Taylor Seaton, ob er sich in diesem Jahr zum 11. Mal für die X-Games qualifizieren wird und ob er gleich noch mit in die Bar kommt. Es ist sicherlich schon nach 22 Uhr und irgendwann hört einfach niemand mehr zu. Henrik Harlaut, dreimaliger X-Games Goldmedaillengewinner, trägt ein Rastafari-Beanie über seinen Dreadlocks und einen Kapuzenpullover, in dem sein Teamkollege Phil Casabon auch Platz finden würde. Die besten und kantigsten Charaktere des Sports sind seinem Ruf gefolgt und machen das B&E Invitational zum prestigeträchtigsten Contest im Freeski-Kalender. Ohne Weltcup-Punkte, Juroren und außerirdisches Preisgeld. Und das, obwohl zeitgleich die European Open in Laax ausgetragen werden. Nur ohne die Besten.

Einmal im Jahr zeigt die schneeverrückte Entourage ihren Verbänden, dass sie sich in kein Korsett pressen lässt und Skifahren ohne Helm einfach cooler ist. Dass die Hauptrolle im Schauspiel zwischen Industrie, Sportlern und Institutionen immer noch bei den Fahrern selbst liegt, auch wenn Taylor Seaton mir auf dem Weg zur Bar erklärt, dass es hier keinen Athleten gibt: „Dieses Event bringt den Rock'n'Roll zurück in den Sport. Wir sind keine Athleten, sondern begeisterte Skifahrer. Wenn du einen Coach hast oder nach einem Ernährungsplan lebst, hast du hier nichts zu suchen!" Eine Besonderheit, die sich durch eine ungefilterte Liebe zur Sportart und all ihren Auswüchsen definiert. Gebündelt und gelebt unter dem Segen dieses Freeski-Contest bildet das B&E Invitational eine Bastion, die den „anderes Wort für Athleten" Raum für Selbstbestimmung bietet und den Core-Gedanken bewahrt.

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In Zeiten, in denen sich Randsportarten im Kampf um Sendeplätze bis zur Unerträglichkeit kommerzialisieren, Lifestyles und Persönlichkeiten so lange zur Marke gemacht werden, bis sie salonfähig sind, wird es Zeit, den Action-Sport wieder daran zu erinnern, was ihn eigentlich ausmacht. Individualismus und verkatertes Auftreten, draufgängerisches Handeln und Tätowiertes in Szene setzen ohne vertraglich festgehaltene Instagram-Filter. Für eine eigene Interpretation und Bewegungsausführung ohne Kinesio-Tape und Ernährungsratschläge. Damit Stil gewahrt wird und Interviews wieder mehr tun, als nur Sponsoren zu danken.

Schwer zu verstehen, dass hinter Henrik Harlauts Kleiderordnung ein unbändiger Wettbewerbswille steht. Oder, dass Fahrer Contests gewinnen, obwohl sie mir kurz nach 02.00 Uhr noch ihr Feuerzeug geliehen haben. Wie in keinem anderen Sportbereich ist die Verbindung zwischen sportlichem Spitzenniveau und schnellem Leben so nahtlos zu finden, wie im Action-Sport. Jedes noch so sportliche Event ist umrahmt von einem Entertainment Programm, dass Besuchern und Fahrern ein rundum farbenfrohes Spektakel bietet. Live-Konzerte, Workshops, Verlosungen und ausgelassene Pro's zum Anfassen bilden den Grundpfeiler, auf dem diese Symbiose fruchtet. Stellt euch vor, ihr könntet nach dem WM-Finale mit Sami Khedira anstoßen oder zumindest versuchen, seine Ex-Freundin klarzumachen! Willkommen in der Welt des Action-Sports! Hier freut man sich für die Erfolge seiner sportlichen Kollegen und raucht, der Höhenmeter wegen, eben nur Marlboro Lights vor seinen Runs. Vielleicht startet der Wettbewerb deswegen auch erst am späten Nachmittag, aber „letztlich sind wir alle hier, um Ski zu fahren!"—Zitat Taylor Seaton.

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Taylor Seaton auf dem Weg zur Bar

Freeskiing ist in diesem Zusammenhang eine Gallionsfigur. Ein vorlautes Realschulkind in der letzten Reihe und Dorn im Auge der öffentlichen Verbandskultur. 2013 muss die World-Anti-Doping-Agency den Schwellenwert für Marihuana von 15 Nanogramm per Milliliter auf 150 ng/ml (was immer das auch bedeuten mag) erhöhen, um zu gewährleisten, dass die Stars des Sports eine olympische Teilnahmeberechtigung erhalten. Natürlich sollte man daraus keine verallgemeinernden Schlüsse ziehen, aber bodenständig, fokussiert und high sind Attribute, die auf den ein oder anderen Profi-Skier zutreffen könnten. Vielleicht ist Henrik Harlaut vor seinen Slope-Style Runs deswegen entspannter, als ich kurz vorm Einschlafen? Vielleicht ist es auch einfach genau das Stück Selbstbestimmung, was vielen Talenten auf dem Weg zur Spitze früher oder später abhandenkommt? „Ich fahre Ski für mich selbst und nicht für die Judges. Ich würde niemanden umbringen, um zu gewinnen und habe für mich das perfekte Maß zwischen Wettkampf und Partyspaß gefunden!", so Harlaut bei einem Interview mit Skibrille und Kopfhörern im Ohr.

Henrik Harlaut

Ehrgeiz ist wichtig, aber anscheinend nicht alles, denn Style entscheidet in einer jurybewerteten Sportart letztendlich über Sieg und Niederlage. Jacob Wester hat eine ganze Menge davon. Der 27-jährige Schwede trägt etwas engere Hosen und kommt eigentlich aus der Freeride-Disziplin. Das bedeutet zu Deutsch, dass er stundenlang durch bergiges Terrain klettert, um anschließend lebensgefährliche Hänge hinunter zu schießen und sich währenddessen von irgendwelchen Felsenvorsprüngen zu stürzen. Wester liebt das B&E Invitational, weil es „ein Protest gegen das Regelwerk und aufgezwungene Erziehungsmaßnahmen" ist.

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Wieso darf ich zum Frühstück im Hotelsalon keine Sonnenbrille tragen, um meine Altlasten zu verstecken? Wieso kommen so viele gute Skier aus Schweden, obwohl es dort kaum richtige Berge gibt? Und warum darf ich verkatert keine Contests gewinnen? Die Codierung des Actions-Sports ist genauso mysteriös, wie geheim; die Formel mit unseren wissenschaftlichen Methoden noch nicht zu entschlüsseln. Doch Fakt ist, es funktioniert! Solange Charaktere wie Harlaut, Seaton oder Wester die Rankings anführen, gibt es Hoffnung für eine Handvoll Sportarten, die wir für ihre Ehrlichkeit lieben. Für ihre greifbare Passion und Fehlbarkeit.

Die Fahrer haben entschieden: Henrik Harlaut gewinnt auch das dritte B&E Invitational. Es gibt eine Preisverleihung im Schnee und Musik von Major Lazer. Irgendwann stehe ich mit Henrik zusammen in der Schlange zur Herrentoilette. Die Aftershow Party ist eine Ode an die Freude und ein Beweis dafür, dass auch Superstars anstehen müssen.