FYI.

This story is over 5 years old.

personalisierte tickets

Clubcard, Polizeieskorte und keine Gästefans—ein Kerkrade-Fan über die niederländische Fußball-Realität

Kölner und Gladbacher boykottieren das rheinische Derby wegen personalisierter Tickets. In den Niederlanden gibt es seit Jahren die Clubcard für Fans. Wir haben uns von einem Kerkrade-Fan einen düsteren Ausblick auf den deutschen Fußball geben lassen.

Das Derby am Samstag zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach könnte der Beginn eines neuen Zeitalters für deutsche Fußballfans sein. Die Ausschreitungen beim letzten Aufeinandertreffen sorgten für strenge Auflagen: die Auswärtsfans der Borussia können nur mit personalisierten Tickets ins Stadion gelangen. Das System soll so mögliche Gewalttäter schneller ausfindig machen. Zudem sollen die gespeicherten Daten präventiv an das Unterbewusstsein der Fans appellieren, sich im Stadion ordentlich zu benehmen. Wenn sich die Rivalen am Samstag gegenüberstehen, wird der Auswärtsblock der Borussia fast leer sein und die Kölner Fans werden ihre Mannschaft nicht wie gewohnt lautstark unterstützen. Der gemeinsame Boykott der eigentlich verhassten Fanszenen soll ein Symbol für den Erhalt der Fankultur sein.

Anzeige

Kölner solidarisieren sich mit Gladbach-Fans

Was in Deutschland ein drastischer Schritt und eine nie dagewesene Einschränkung für die Fans wäre, ist in den Niederlanden schon lange gängige Praxis. Wir haben mit Ramon Scheepers, Vorstandsmitglied der zweitältesten Supportersvereinigung des niederländischen Erstligisten Roda JC Kerkrade gesprochen, der seit über zwanzig Jahren ins Stadion geht und sich einen Liga-Alltag ohne personalisierte Tickets gar nicht mehr vorstellen kann.

VICE Sports: Köln- und Gladbach-Fans boykottieren ihr Derby wegen personalisierten Stadiontickets. Es wird vom niederländischen Modell gesprochen. Was ist damit gemeint?
Ramon Scheepers: Seit 1986 gibt eine Datenbank für Fußballfans, 1989 kam der „Voetbalpass" und im Jahr 1996 wurde daraus die „ClubCard". Die kannst du immer bestellen, sofern du in den Niederlanden lebst. Der Verein braucht nur die Kopie deines Ausweis mit Bild und allen Daten. Mit dieser ClubCard, die fünf Jahre gültig ist, berechtigt Tickets online oder am Spieltag zu kaufen. Tickets für Ausländer sind bei manchen Vereinen nur in Reisepaketen erhältlich, bei Roda kriegt man sie nur mit Ausweis im Fanshop. Bei Auswärtspielen kannst du nur mit deinem Klub, der in der ClubCard drin steht, mitfahren.

Was hat sich bei Auswärtsspielen für euch Fans geändert?
Es gibt ein Kategoriensystem: Wenn ein Spiel die Kategorie A hat, dürfen Fans ganz normal anreisen, wie sie wollen. Bei Kategorie B sind die Auswärtsfans verpflichtet zusammen mit einem Bus zu Auswärtsspielen zu fahren. Die Polizei wartet dann ein paar Kilometer vor der Stadt auf sie. Zu Spielen der Kategorie C fährt man ebefalls mit dem Bus zusammen hin, aber die Polizei ist auch dabei und kontrolliert, dass kein Alkohol getrunken wird. Im Bus sitzen zudem ein oder zwei Ordner vom Verein.

Anzeige

Wer legt die Kategorien fest?
Am Anfang der Saison bekommen wir immer eine Liste der Auswärtsklubs, die die Kategorien für die Fans eines Vereins festlegen. Wir versuchen dann jedes Mal eine lockere Kategorie zu erwirken, weil bei den meisten Asuwärtsfahrten fast nie etwas passiert. Wir haben nur in Derbys gegen Sittard oder Maastricht Kategorie C und werden von der Polizei zum Spiel begleitet—ansonsten sind unsere Spiele Kategorie B.

Manche Spiele finden ganz ohne Auswärtsfans statt—Warum?
Begegnungen zwischen Ajax, Feyenoord und Den Haag zum Beispiel haben seit Jahren keine Auswärtsfans mehr. Bei solchen Spielen ist dann etwas vorgefallen und die Vereine dürfen erst wieder Auswärtsfans mitnehmen, wenn sich die Fans fünf Jahre lang nichts zu Schulden kommen lassen. Es ist so gesehen ein Bewährungssystem.

In Deutschland gibt es seit Jahren eine Sicherheitsdebatte. Findest du das mit der Erfahrung aus den Niederlanden übertrieben?

Ja, auf jeden Fall. Das System in Deutschland ist toll. Alle fahren zusammen, wie sie wollen, zum Stadion. Du kaufst ein Ticket, Bratwurst und Bier und schaust gemütlich das Spiel. So soll das auch sein. Bei uns müssen alle zusammen zum Bus kommen, fahren zum Stadion, gucken das Spiel und fahren sofort zurück. Ich war vor ein paar Wochen beim Spiel Bremen gegen Schalke und da laufen die Fans mit Schalke-Trikot einfach so durch die Bremer Innenstadt—und alles ist friedlich. In den Niederlanden würde das nicht klappen. Hier kannst du nicht mit Fanbekleidung durch eine fremde Stadt laufen—auch nicht in kleineren Städten. Sonst gibt es schnell Ärger.

Die niederländische Fankultur hat sich durch die ClubCard extrem gewandelt und viele Hooliogan-Gruppierungen sind aus den Stadien verschwunden. Das „Fanproject '98" beschreibt sich als „kritisch, loyal und unabhängig"—Seid ihr Ultras?
Wir sind keine Ultras, sondern eine Supportersvereinigung. Auch wir sind unter anderem aus der Hoolgruppe „North Side" entstanden, aber auch für ganz normale Fans waren und sind wir eine Anlaufstelle. Die Leute werden irgendwann älter, vernünftiger und bekommen Frau und Kinder—also haben wir einen normalen Fanklub gegründet. Wir wollten eine kritische Alternative zur offiziellen Supportersvereinigung von Roda bieten.

Hat das personalisierte Kartensystem den niederländischen Fußball friedlicher gemacht?
Bei Spielen der großen Vereine wie Ajax, Feyenoord, Utrecht oder Den Haag haben Hooligans früher für viel Krawalle gesorgt, ob im Stadion oder drumherum. Jetzt ist es friedlicher geworden. Anfang des Jahres hat die Polizei gestreikt und viele Fußballspiele nicht gesichert, doch es kam zu keinen Vorfällen von und mit Fans. Insgesamt ist es lockerer geworden. Tickets für Spiele zwischen kleineren Vereinen, die keine Hools haben, können auch mittlerweile im freien Kartenverkauf erworben werden. Das Innenministerium will im Jahr 2020 über eine Abschaffung der ClubCard und weniger Polizei entscheiden. Aber so wirklich wehrt sich niemand mehr gegen die ClubCard. Wir haben uns da mittlerweile alle zu sehr daran gewöhnt.

Das Interview führte Benedikt Niessen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie