FYI.

This story is over 5 years old.

News

Südkorea erlebt gerade eine seiner schlimmsten Staatskrisen und niemand interessiert sich dafür

Der Regierungschef deines Landes führt direkte Anweisungen von Leuten aus, die in keiner Weise demokratisch legitimiert sind. Willkommen in Südkorea.

Screenshot via YouTube.

Wir alle kennen das Vorurteil, dass Politik ein schmutziges Geschäft ist. Viele von uns teilen diese Meinung sogar. Vor allem vor Wahlen wird das oft bemerkbar, wenn beim Familienessen wieder über "die korrupten Politiker" und gegen das System geschimpft wird. Aber wählen gehen wir ja hoffentlich trotzdem. Was ist das Schlimmste, das passieren könnte? Was ist das Schlimmste, das ein in Österreich gewählter Kandidat in diesem Jahrhundert tun wird?

Anzeige

Denkt mal drüber nach, was das Schlimmste wäre. Korrupte Politiker, OK, aber was genau? Irgendwelche öffentlichen Gelder privat einstecken? Irgendeiner Lobby dienen? Freunden zu öffentlichen Jobs verhelfen? Das wären so die Klassiker. Weniger klassisch: Der Regierungschef deines Landes führt direkte Anweisungen von Leuten aus, die in keiner Weise demokratisch legitimiert sind. Willkommen in Südkorea.

Südkorea macht vielleicht bald die schlimmste Staatskrise durch, seit es Südkorea gibt. Präsidentin Park Geun-hye, die Tochter des früheren Militärdiktators Park Chung-hee, war die ganze Zeit eine Marionette einer "spirituellen Führerin" namens Choi Sun-Sil. Long story short: Ihre Väter waren befreundet und hatten dieselben Ämter inne, also warum nicht. Die Aufregung ist natürlich riesig.

Und das ist auch berechtigt. Stellt euch mal vor, in Österreich würde man sich nicht über Stillstand, sondern über verordnete Politik durch den Führer einer Sekte aus dem Waldviertel beschweren müssen. Ungefähr das. Laut einem Eingeweihten soll sich Choi regelmäßig mit Experten aus verschiedenen Gebieten getroffen haben, um zu "beschließen", was sie der Präsidentin vorlegt. "Das ganze System war darauf ausgelegt, dass Choi der Präsidentin sagt, was zu tun ist. Es gab praktisch keine Themen, bei denen die Präsidentin alleine entschieden hat", wird der Informant in der Deutschen Welle zitiert.

In Korea gibt es eine Verschwörungstheorie, die sich quasi als "inoffizielles Volkswissen" durchgesetzt hat und von den meisten als Tatsache hingenommen wird: Demnach soll eine Gruppe aus acht mächtigen Frauen nicht nur die Präsidentin, sondern so ziemlich jeden Mächtigen in Südkorea beeinflussen. "Acht himmlische Göttinnen" werden sie dort genannt. Beweisbar ist das natürlich nicht, aber auf Social Media fühlen sich viele Koreaner in ihrem Glauben bestätigt. Das zeigt, wie schlimm es um eines der westlich orientierten Länder Asiens steht.

Das alles kann man jetzt natürlich für wurscht halten und es ist sogar schön dass ihr diesen Artikel bis hierher gelesen habt. Aber eigentlich sollte es selbstverständlich sein.

Quasi nirgendwo wird darüber gesprochen, was gerade in Südkorea passiert. Wäre ein Skandal dieser Größe irgendwo in Europa oder in den USA passiert, dann hätte man eine große mediale Diskussion über Korruptionsanfälligkeit geführt und darüber diskutiert, wie wir unsere Demokratie vor solchen Einflussnahmen schützen können. Wir wüssten plötzlich aus der Zeitung, wer dort wer ist und warum das alles passieren konnte. Und wir wüssten vielleicht sogar zu schätzen, dass es solche Zustände bei uns nicht gibt und dass nicht alles ganz so schlimm ist, wie wir denken.

Dieses "Das ist ja irgendwo" ist zu einfach und ignorant. Auch, wenn es uns nicht direkt betrifft, sollte uns nicht egal sein, wenn am anderen Ende der Welt die Demokratie untergraben wird. Das sollte auch für uns ein Wert sein. Ich verlange keine großen Solidaritätsdemos für Korea—aber mehr als ein Schulterzucken wäre nett.

Stefan auf Twitter: @derSchett