„Rampenlicht ist ein gnadenloser Wichser"—mit Kontra K im Boxring
Alle Fotos: Samuel Smelty

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Rap

„Rampenlicht ist ein gnadenloser Wichser"—mit Kontra K im Boxring

Kontra K macht keinen Gangsta-Scheiß, er bezeichnet seine Musik als „Sport-Rap". Da passt es, dass er 20-25 Stunden die Woche mit dem Team Sauerland boxt. Ein Ortstermin im Boxring—im tiefsten Berliner Osten.

„Erfolg ist kein Glück", singt Rapper Kontra K, „sondern nur das Ergebnis von Blut, Schweiß und Tränen". Blut und Tränen vergießt heute zum Glück niemand. Dafür umso mehr Schweiß, der durch eine alte Schulsporthalle in Falkenberg wabert. Kontra K, der eigentlich Max heißt, hält sich hier fit. Er trainiert mit den Boxprofis Enrico Kölling, Vincent Feigenbutz, Stefan Härtel und Burak Sahin. Die vier Profis gehören zum Team Sauerland des deutschen Boxpromoters Wilfried Sauerland. Der brachte schon Graciano Rocchigiani, Henry Maske und Rene Weller raus.

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Dienstag, 10 Uhr, der Himmel grau, die Straße nass. Falkenberg ist jottwede—janz weit draußen, am nordöstlichen Stadtrand von Berlin. Von außen ist die Sporthalle mit bunten Graffitis besprüht: „Boxen statt Gewalt" prangt über der Eingangstür, darunter Bilder der Boxgrößen Mike Tyson, Muhammad Ali und Klitschko-Brüder. Der Hallenboden drinnen ist abgewetzt, der Putz an den blassgelben Wänden blättert ab, an der Decke flackert Neonlicht. Auf der einen Seite der Halle ist ein Boxring aufgebaut. Auf der anderen Seite hängen sechs Box-Säcke an Galgen.

Max läuft sich warm. Der 28-Jährige trippelt durch die Halle und boxt dabei in die Luft. Schweißperlen rinnen über seinen tätowierten Nacken. Max trägt ein schwarzes Shirt, auf dem „Loyal" steht. Er ist ein bisschen zu spät gekommen. Er wusste nicht, dass das Training heute schon eine halbe Stunde früher begonnen hatte: „Mir hat keiner Bescheid gesagt. Gestern war Baustelle, da konnte ich nicht trainieren." Neben seiner Musik betreibt er gemeinsam mit seinem Bruder eine Industriekletterfirma, Boxen ist seine „Lebenseinstellung".

Er war früher mal Amateurboxer, Halbschwergewicht. Bis er 16 war, hat er Kickboxen gemacht. „Dann habe ich jahrelang nur noch draußen rumgehangen und probiert, meine Fähigkeiten da zu nutzen. Ich hatte zu viel Zeit damals und dann gerät man halt öfter in solche Situationen", sagt er und meint Straßenschlägereien. „Ich bin aber nicht draußen rumgelaufen und habe wahllos Leute verprügelt", betont er. Doch die Zeiten seien ohnehin vorbei, seine Aggressionen lasse er seit er Anfang Zwanzig ist nur noch im Ring raus, Boxen sei sein Ventil. Der Spruch „Boxen statt Gewalt" über dem Turnhalleneingang passt wie die Faust aufs Auge. „Der Boxsport hat mein Leben verändert. Jede Niederlage gibt dir Demut, jedes Ziel, das du erreichst, gibt dir Motivation für neue Ziele."

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Geschätzte „20 bis 25 Stunden in der Woche" widme er dem Boxsport—„als Ausgleich". Klingt eher nach Halbtagsjob. Eingerechnet hat er dabei auch, dass er im Berliner Boxclub Olympia Jugendlichen „zwischen 12 und 26 Jahren" Training gibt: „Hier gucke ich mir Sachen bei den Profis ab und gebe die dann im Training an meine Jungs weiter", erklärt er.

Die Profis, Kölling & Co., trainieren schon. „Einzeltraining, individuelles Grundlagentraining, Lauftraining", erklärt Trainer Karsten Röwer kurz und bündig. Karsten Röwer bestritt in seiner Amateurboxerkarriere 100 Kämpfe und war 1982 DDR-Mannschaftsmeister. Seit 2008 trainiert der 53-Jährige im Team Sauerland Boxprofis. Für Max ist er „einer der besten der Welt."

Max ist zwar kein Profi, trotzdem darf er hier als Gast mittrainieren: „Die Jungs sind meine Freunde. Es macht total Spaß", sagt er, man merkt das, die Stimmung ist ausgelassen. Kennengelernt hat Max, alias Kontra K, die Profiboxer über Enrico Kölling. Enrico, 26, 79 Kilogramm auf 1,80 Meter, Halbschwergewicht, war beim Videodreh zu Kontra Ks Motivationstrack „Kampfgeist 2" dabei.

Max' Musik ist der Soundtrack vom Kämpfen, Fallen und immer wieder Aufstehen. Vom Angreifen und Standhalten. Die Schlagwörter in seinen Raps sind „Durchbeißen", „Willenskraft", „Blut, Schweiß und Tränen". Kontra Ks Tracks seien „halt kein Gangsta-Scheiß, sondern thematisch eher auf Sport fokussiert", findet Enrico. Er pumpt Kontra K regelmäßig vor Kämpfen als Einlaufmusik.

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Doch vor dem Kampf kommt das Training. Das wusste schon Box-Legende Muhammad Ali: „Der Kampf wird weit entfernt von allen Zeugen gewonnen—im Verborgenen, im Gym, lange bevor ich im Rampenlicht tanze", sagte er einst. Und so gibt es in der alten Sporthalle erst mal Neonlicht anstelle von Rampenlicht: Enrico verausgabt sich an einem der sechs Box-Säcke. Die Ketten, an denen der Sack hängt, klirren bei jedem Schlag. Enricos Shirt ist klitschnass und klebt an seiner Haut. Das Piepen einer Stoppuhr ertönt, Verschnaufpause.

Enrico Köllig

Enrico ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Seit 2012 ist er Profiboxer im Team Sauerland, von 22 Profikämpfen hat er 21 gewonnen, sechs davon durch KO. Zuvor war er vier Jahre lang in der Bundeswehr Sportfördergruppe. Die Spitzensportförderung der Bundeswehr soll Sportlern „optimale Rahmenbedingungen für ihre leistungssportliche und berufliche Laufbahn sichern".

Sein nasses, schwarzes Shirt hat er mittlerweile gegen ein trockenes, weißes getauscht: „Loyal" steht darauf, so wie auch auf Max' T-Shirt. „Max und ich haben gleich beim ersten Date gemerkt, dass es passt und wir auf einer Wellenlänge sind", erinnert er sich und lacht. Er beschreibt Max, der gerade—„Pamm, pamm, pamm!"—einen Box-Sack vermöbelt, als einen Menschen, der „weiß, was er will, ein Ziel hat und dem alles unterordnet. Er will etwas erreichen, mit seiner Musik erfolgreich sein. Die Musik ist sein Ding, da blüht er voll auf. Wenn er so davon erzählt, gerät er immer ins Schwärmen."

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Was für Max die Musik ist, das ist für Enrico das Boxen. Enricos Karrierehighlight bisher waren die Olympischen Spiele 2012. „Da bin ich aber leider schon in der zweiten Runde rausgeflogen", sagt er. Dafür ist er bereits WBO-Juniorenweltmeister und WBA-Intercontinental-Champion. Sein Ziel sei es „natürlich Weltmeister zu werden. Dafür trainieren wir hier jeden Tag." Außerdem seien „die großen Kämpfe" erstrebenswert, die „die im Fernsehen laufen, wa—um die Leute zu begeistern", sagt er mit Berliner Schnauze und hält kurz inne. Doch was sind die Voraussetzungen dafür, ein erfolgreicher Boxer zu werden?

Um das große Ziel zu erreichen müsse man „diszipliniert sein und den unbedingten Willen mitbringen". Und das über mehrere Jahre. „Man wird nicht einfach so an einem Wochenende Weltmeister." Weltmeistertitel gibt es aufgrund der zahllosen Verbände und Gewichtsklassen im Boxsport viele. Blickt man da als Profiboxer eigentlich durch? „Ja, schon", aber Enrico könne auch nachvollziehen, dass „jemand, der sich mit Boxsport nicht so sehr auseinandersetzt, Probleme hat, da durchzusteigen" und klärt auf: „Ich sag mal so, es gibt vier große Verbände. IBF, WBC, WBA, WBO. Und alles andere ist Geldmacherei. Das sind die vier wichtigen mit Rang und Namen. Der Rest ist irrelevant."

Für Max ist gerade alles andere als der Speedball irrelevant: Vier links, vier rechts, vier links, vier rechts. Er ist fokussiert. Danach macht er noch ein paar Klimmzüge. Boxen, Musik machen, Arbeiten gehen—Max kennt keinen Stillstand, wirkt rastlos: „Mich jagt das Leben, ich bin in ein Meer von Arbeit gestürzt und jetzt muss ich schwimmen, um nicht unterzugehen. Ich muss ackern, damit die Firma läuft, dass die Mucke läuft. Boxen mache ich aus Liebe, aus Leidenschaft und Muße." Würde es sich reimen, könnte das eine Liedzeile von Kontra K sein.

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„Zwischen gestern halb zwölf und heute Morgen um sechs habe ich kurz die Augen zugehabt, dann waren sie wieder offen und ich musste wieder was machen." Während er erzählt, schnallt er sich ein 16 Kilogramm schweres Gewicht mit einer Gurtvorrichtung auf den Kopf, um seine Nackenmuskulatur zu trainieren. Während andere Rapper diese Muskeln nur zum Tragen einer fetten Kette brauchen, geht es für Max um Fitness und Stabilität: „Das ist wichtig, damit man nicht sofort KO geht", erklärt er.

Die Kunstfigur Kontra K ist fast kongruent zum Menschen Max. Sein Straßenimage hat sich kein Manager ausgedacht: „Ich bin ja mehr oder weniger von der Straße—das klingt immer so dumm, aber umschreibt es leicht. Ich komme eben aus einer Ecke, die andere Leute nicht verstehen." Kontra K ist, zumindest in der Hinsicht, dass er das, was er rappt auch wirklich tut, eine der wenigen unpeinlichen Figuren im Deutschrap-Game. Dass er kein „Zuhälter" ist und kein „Tijara" macht. Eben all die Dinge, die auch Enrico an Max' Musik schätzt: Kein „Gangsta-Scheiß", sondern straighter Sport-Rap.

„Ich bin jetzt kein Sportmessias oder so", sagt Max, „du kannst von mir aus auch kiffen und Party machen. Aber es funktioniert nicht, wenn man so Money Boy-mäßig durch die Welt geht. Man muss diszipliniert sein. Boxtraining kannst du komplett aufs Leben projizieren: Wenn du nichts machst, dann verlierst du. Ich habe beim Boxen vieles gelernt, viele Werte, die ich draußen vermisse. Im Boxsport ist es egal, woher du kommst. Hier ist es egal, wie viele Freunde du hast, ob du eine Riesenfamilie, einen Clan oder eine Rocker-Gang hast."

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Loyalität ist nicht nur eine T-Shirt-Spruch

Die Faszination im Ring sei für ihn der „Überlebenskampfmodus—Da kommen die Urinstinkte hoch, wenn du im Ring bist, komplett auf dich gestellt, Mann gegen Mann. Es zählt, was du kannst und wer du bist. Und danach gibt man sich die Hand." Max ist ein Sportsmann und Loyalität ist für ihn nicht nur ein Spruch auf seinem T-Shirt. Sie bedeutet ihm alles: „Du brauchst Leute, die zu dir halten, die die Kackzeiten und die guten Zeiten mitmachen." Im Boxgeschäft und auch in der Rapwelt vermisse er sie aber oft, dabei sei es dort besonders wichtig, loyal zu sein: „Leute, die nicht für den Erfolg schwitzen, wollen mitverdienen. Aber, wenn du am Arsch bist, dann ist meistens keiner mehr da. Jedes Geschäft ist doch gleich—Rampenlicht ist ein gnadenloser Wichser, der blendet alle."

Es ist 11:30 Uhr. Enrico kommt frisch geduscht zurück in die Halle: „So, jetzt erst mal nach Hause, 'ne Runde Mittagsschlaf!" Was nach Entspannung klingt, ist aber nicht so angenehm, wie es sich anhört. Um 16 Uhr geht es weiter mit dem Training – „Manchmal sehne ich mich schon nach einem geregelteren Leben", bekennt er. Aber er lebt vom Boxsport und so lange heißt es: „Wenn du fällst, wieder aufsteh'n und angreifen/ Niemals deine Angst zeigen/ Deckung wieder zu, standhalten/ Topmotiviert, auch bei Niederlagen Mann bleiben/ Fairness gewinnt, immer dem Gegner die Hand reichen". (https://www.youtube.com/watch?v=XKt-6sgRaGc) Denn Enrico will hinaus, aus dem Falkenberger Neonlicht ins Rampenlicht, auch wenn das ein „gnadenloser Wichser" ist.

Kontra Ks neues Album „Labyrinth" erscheint am 20. Mai über Four Music. Ab Juni geht er auf Tour. Vorverkaufskarten und Tour-Termine gibt's hier.

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Die Bilder schoss Samuel Smelty. Folgt ihm auf Instagram