Warum ich beim glorreichen SV Meppen geblieben bin
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Fußball

Warum ich beim glorreichen SV Meppen geblieben bin

Der sagenumwobene SV Meppen spielte elf Jahre in der zweiten Liga—mit Halbtagspolizisten und Bauamtsbeamten aus dem Emsland im Kader. Von der erfolgreichen Gummistiefeltruppe blieb nichts. Unser Autor schon.

„Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden", sagt Nick Hornby in seinem Klassiker „Fever Pitch". Bei mir war es auch so. In Meppen. Seitdem viel Schmerz und wenig Liebe.

Seltsamerweise war es, wie auch bei Hornby, mein Vater, der mich im Frühjahr 1997 zum ersten Mal ins heimische Stadion mitnahm. 5.500 Zuschauer waren an dem Tag gekommen, für einen „Lütten" wie mich, wie man im Emsland so sagt, eine wahre Menschenmasse. Ausgerüstet mit Schal („Die Besten im Nordwesten") und Fahne war ich bereit „meinen Verein" zu unterstützen. Nach elf Jahren der Zweitliga-Zugehörigkeit kämpften unten auf dem Platz des Emslandstadions die alten Recken Bernd Deters, Marko Myyry und Stefan Brasas gegen den unvermeidbaren Abstieg. Es roch nach Bratwurst und Zigarettenrauch. Auf der Gegentribüne spielte eine Blaskapelle zur Einlaufmusik. Es war wunderbar.

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Der SV Meppen zu seinen glorreichen Zeiten, Foto: Imago/Rust

Nach einem 0:2 am 27. Spieltag gegen den FC Carl-Zeiss Jena, der mit dem späteren Vize-Weltmeister Bernd Schneider auflief, war der SV Meppen quasi abgestiegen. Welches Ausmaß diese Niederlage für den Verein und die Region hatte, begriff ich erst einige Jahre später. Viel zu sehr war ich an diesem Tag damit beschäftigt im Sand unterhalb der Stehtribüne Burgen zu bauen, dort zu versuchen über der Bandenwerbung einen Blick auf das Spielfeld zu erhaschen (erfolglos) und nach dem Abpfiff durch schmale Schlitze im Spielertunnel einen ersten Handshake mit wem auch immer zu gewinnen (ziemlich erfolgreich).

Ich war fünf Jahre alt und in diesem Moment wohl einer der größten Eventfans des Landes.

Wie in einer ländlichen Region üblich, zieht es viele der jungen Leute irgendwann in die Großstädte. „Woher kommst du?"—„Meppen."—(kurze Stille des peinlichen Überlegens)—„Sagt dir der SV Meppen vielleicht was?"—„Der SV Meppen? Na klar, unglaublich." So laufen die meisten Gespräche dann ab, denn fast jeder Mensch, der sich ein wenig auf seine Fußballkenntnisse einbildet, kennt den SV Meppen. Die Legenden von der Gummitstiefeltruppe voller Halbtagspolizisten und Bauamtsbeamten, die in den Neunzigern plötzlich in der zweiten Liga spielten—und elf Jahre blieben. Toni Schumachers Zitat vor dem drohenden Abstieg: „Ich spiel doch nicht in Meppen." Und mancher erinnert sich auch an einen ausgesprochen hässlichen Plastikstuhl von Trainergrantler Horst Ehrmanntraut. „Stimmt alles. Aber eigentlich ist das etwas anders", sagt man dann und nimmt noch ein Cola-Korn.

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Horst Ehrmanntraut auf seinem Thron; Foto: Imago/Rust

In der vergangenen Woche lief ich wieder an der Stehtribüne der Hänsch-Arena, wie das Emslandstadion mittlerweile heißt, vorbei. Heimatbesuch. Und ausgerechnet an diesem Sonntag war der VfB Oldenburg zu Gast. Das große Derby der Regionalliga Nord, immerhin kamen noch 3.500 Zuschauer. Mein Freundeskreis saß dort, wo er immer sitzt. Block H, alte Tribüne, gleich hinter der Gästebank. Der SV Meppen verlor mit 1:5 in einer derart desolaten Vorstellung, dass mein Bekannter kurz vor der Halbzeit zu mir sagte: „Ich glaube, ich fahre nach Hause. Chelsea spielt gleich gegen United." Ich hätte es ihm nicht verdenken können.

Die Zweitliga-Zeiten sind lange vorbei. Auf meinen ersten Besuch folgten Jahre des Niedergangs. Ein weiteres Mal stiegen wir 2000 ab, als die Regionalliga reformiert wurde. Einen zweiten Abstieg aus der Oberliga 2004 konnte noch Lokalheld Cüneyt Özkan verhindern, der im letzten Spiel der Saison in Oberneuland mit drei Toren zum Sieg schoss und nebenher eine famose Dönerbude in der Innenstadt errichtet hatte. Zwei Jahre später ging es durch die Einführung der 3. Liga trotzdem runter. Nicht einmal originale Landwirte standen noch im Kader, sodass der SVM sogar zeitweise jegliche Credibility in den umliegenden Dörfern verlor.

Es folgten Jahre der sportlichen Irrfahrt. Mal kam der SV Bad Rothenfelde zu Besuch, dann standen Auswärtsreisen zu Kickers Emden an. Auf Siege in Pewsum, folgten Niederlagen gegen Schwarz-Weiß Rheden. Welchen Jugendlichen lässt das kalt?

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Ernsthaft, in einer 35.000-Seelenstadt, die ihr letztes Highlight mit der Neueröffnung eines Schnellrestaurants hatte, brauchen die Menschen etwas, das sie aus dem Alltag zwischen Torf und A31 reißt. Natürlich, als der SV Meppen noch jemand war in Fußball-Deutschland und sogar Eintracht Frankfurt und Schalke 04 vor Spielen im Emsland zitterten, war das alles etwas einfacher. Uns war es egal, wir sahen uns weiterhin Niederlage um Niederlage an und klatschten glücklich, wenn „Danz op de Deel" nach einem Tor über die Lautsprecher zu uns dröhnte. Wir fühlten uns als Teil einer verschworenen Gemeinschaft, dessen Jeder-kennt-jeden-Dorf-Mentalität im Stadion wie unter dem Brennglas zu beobachten war.

So gingen wir auch in die Saison 2010/11. Der Kader versprach für die fünfte Liga einiges. In der Verteidigung spielte Francis Banecki (zwei Minuten Champions-League für Werder Bremen), im Mittelfeld dirigierte Hüseyin Dogan (früher Hamburger SV II) und vorne lauerte noch immer Cüneyt Özkan (dem die Dönerbude mittlerweile anzusehen war). Es sollte ein erfolgreiches Jahr werden. Doch anstatt dass wir als Lohn für das jahrelange Leiden zumindest eine gute Aufstiegsparty zu sehen bekam, entschied sich der Aufstieg genau eine Woche zu früh—in Stade. Wir saßen allesamt in einer tristen Hotellobby in Bulgarien. Ein lang gebuchter Urlaub in einem Land, deren Einwohner weder Meppen kannten, noch darüber lachten. Und ein Freund fasste es ganz richtig zusammen: „Dieser Verein ist wirklich zu nichts zu gebrauchen."

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Aber nun gut, „das Leben ist nicht, und war nie, ein 2:0-Heimsieg nach einem Fish'n'Chips-Lunch", um es mit Hornby zu sagen.

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In dieser Saison, im Sommer 2015, spielte der SV Meppen zum ersten Mal seit 16 Jahren im DFB-Pokal, bekam nach 46 Sekunden das erste Gegentor und ging mit 0:4 gegen den 1. FC Köln unter. Auf der Tribüne rieb sich Kölns Präsident Toni Schumacher die Hände. Wir hatten auf das Pokalwunder gehofft, doch es kam erneut zu einer einzigen, emsländischen Enttäuschung.

Zugleich war es die Einleitung dieser Saison, die in einer 1:5-Niederlage gegen Oldenburg ihren Tiefpunkt fand. In der Pause ging ich mit meinem Bekannten an die Bratwurstbude. Eine hervorragende Krakauer wird dort zubereitet. Und wir sahen meinen ehemaligen Jugendtrainer, der sich noch immer als Platzwart um den heiligen Rasen sorgt. Er erzählte uns von den alten Zeiten, für die wir viel zu spät geboren wurden, um sie zu erleben. Er erzählte uns von Aufstiegsfeiern in Oer-Erkenschwick, wie Diego Maradona sein Europadebüt in Meppen gab und wir fragten ihn, was denn die Gesundheit mache.

Anschließend gingen wir zurück in Block H und schauten zwei weiteren Gegentoren entgegen, die an diesem Nachmittag noch auf uns warteten. Während mein Bekannter gequält lächelnd zu mir sagte: „Scheiß auf Chelsea. Das hier gucken wir uns auch noch an."