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der professor

Der ungeliebte Professor Ralf Rangnick

Überall, wo Ralf Rangnick Trainer war, hatte er Erfolg. Er war mit seinen Visionen verantwortlich für die Renaissance des deutschen Fußballs. Trotzdem bekommt er kaum Respekt, wohl auch weil er nicht viel auf Fußballtradition gibt.
Fotos: Imago

Ralf Rangnick will als Trainer und Sportdirektor mit den Brause-Millionen von Red Bull in die Bundesliga aufsteigen und am besten so schnell wie möglich bis in die Champions League vordringen. Eine Horrorvorstellung für den gemeinen Fußballfan. Doch Sympathien waren einem der größten Vordenker im deutschen Fußball schon immer egal, für ihn zählt nur die Erfüllung seiner Vision.

Ralf Rangnick ist einer der größten Vordenker im deutschen Fußball und will nach Aufstiegen mit Hannover und Hoffenheim auch mit RB Leipzig in die Bundesliga ziehen. Als Trainer von fast ausschließlich grauen Mäusen und Retorten-Klubs blieb Rangnick der ganz große Respekt bisher verwehrt—auch weil er sich wegen seiner Vision immer mit seinen Bossen überwarf.

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Rangnicks Vita liest sich wie ein spannendes Buch voller Wendungen, dramatischen Zerwürfnissen und einem Traum. Es handelt von der Liebe zum Fußball und dem Streben nach Perfektionismus. In der Hauptrolle findet sich der Antiheld Ralf Rangnick wieder. Der dickköpfige Visionär, vor den Toren Stuttgarts geboren, hatte schon früh ein spezielles Herangehensweise an den Fußball. Der Fokus lag aber nicht auf dem Fußball. Während seines Lehramtsstudiums für Sport und Englisch spielte der 19-Jährige eher nebenbei für die Amateure des VfB Stuttgarts. Nach einem Auslandssemester und einem Engagement in der Oberliga stieg er als Stammspieler mit dem SSV Ulm 1846 in die zweite Bundesliga auf. Doch aus dem Traum Profifußball wurde nichts–er wurde beim Verein aussortiert.

Rangnick aber hatte eine Vision—er wollte den Fußball prägen. Er bewunderte keine Spieler, sondern Trainer, wie es sie in Deutschland nicht gab. Trainer wie Arrigo Sacchi vom AC Mailand oder Valeri Lobanowski von Dynamo Kiew, die nicht nur darauf aus waren, gegnerische Spieler mit einer Manndeckung auszuschalten. Rangnick wollte gestalten. Nach erfolgreichen Stationen bei unterklassigen Vereinen als Spielertrainer, schloss er mit 26 Jahren an der Sporthochschule Köln als Jahrgangsbester mit einem Notendurchschnitt von 1,2 die Fußballlehrer-Lizenz ab. An der Universität in Stuttgart legte Rangnick das Erste Staatsexamen ab und arbeitete bei einer Stuttgarter Firma, die Sprachreisen anbot. Sein Kontakt zum VfB Stuttgart riss aber nie ab. Im Jahr 1992 gab er seinen Job auf und wurde beim schwäbischen Bundesligisten als Sportkoordinator für die Jugendabteilung angestellt.

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Es folgte ein Aufstieg vom Amateurfußball bis in die Champions League. Als der VfB ihm zwei Jahre nach seiner Anstellung nicht die Assistenzstelle von Jürgen Röber bei den Profis geben wollte, verließ Rangnick den Verein. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass er eine andere Idee als seine Vorgesetzten hatte. Doch egal welchen Verein Rangnick übernahm, er verwandelte ihn. Aus dem Abstiegskandidaten der Regionalliga SSV Reutlingen machte er einen Aufstiegskandidaten, doch Rangnick überwarf sich mit der sportlichen Leitung und wechselte zum Ligarivalen SSV Ulm. In Ulm führte er die in Deutschland noch unbekannte ballorientierte Raumdeckung ein. Im ZDF-Sportstudio musste Rangnick die Viererkette und seine Spielidee an einer Taktiktafel erklären. Fußball-Deutschland hatte endlich verstanden und der Fußballlehrer-Nobody wurde zum „Professor". Ulm stieg in die zweite Liga auf und wurde mit Rangnick überraschend Herbstmeister. Die Vereine rissen sich um den gefragten Fachmann und Ulm verlor den Faden, diverse Spiele und Rangnick trat zurück.

Als Trainer beim VfB Stuttgart warfen ihm die Verantwortlichen immer wieder vor, übereifrig seine Ideen und Vorstellungen im Verein durchsetzen zu wollen und sie ersetzten ihn durch Magath. Beim Zweitligisten Hannover 96 schlug der Aufstiegs-Experte mit seinem unwiderstehlichen Offensivfußball wieder zu und die Niedersachen zogen mit 10 Punkten Vorsprung und 93 geschossenen Toren in die Bundesliga. Doch in der darauffolgenden Saison hatte Kontrollfreak und Alleinherrscher Rangnick wieder Probleme. Zu viele Entscheidungsträger sind ihm bis heute ein Dorn im Auge. Rangnick will schnelle Entscheidungsabläufe und gibt deshalb nur ungern Dinge aus der Hand. Er geriet sowohl mit 96-Präsidenten Martin Kind als auch Sportdirektor Ricardo Moar aneinander. Wieder wurde Rangnick entlassen.

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Nach seiner Zeit in Hannover gab es für den rastlosen Rangnick diverse Anfragen. Der Markt lechzte nach neuen Ideen und einem strukturellen Wandel. Die deutschen Vereine schienen international hinterherzuhinken und die Nationalmannschaft verabschiedete sich als Vizeweltmeister mit nur einem Tor und einem Punkt schon in der Gruppenphase der Europameisterschaft. Das triste Fußball-Deutschland brauchte Vordenker wie Ralf Rangnick. Jürgen Klinsmann, ein anderer Visionär und damals neuer Teamchef der Nationalmannschaft, suchte einen Co-Trainer und Rangnick stand ganz oben auf der Liste. Rangnick sagte ab, Klinsmann holte Jogi Löw—der Rest ist Geschichte. Rangnick verpasste es, sich in die große Fußballwelt und die Herzen der deutschen Fußballfans zu hiefen.

Rangnick ging stattdessen das erste und bis heute einzige Mal zu einem großen Traditionsverein. Und gleich in der ersten Saison machte er den FC Schalke zum Vizemeister. Als die Schalker in der nächsten Saison in Pokal und Champions League ausschieden, drohten Schalkes Vereinsbosse Rangnick im Winter zu entlassen–Rangnick kündigte eine Trennung im Sommer an. Nachdem die Schalker Fans beim Heimspiel gegen Mainz 05 Anfang Dezember den Vorstand und die Mannschaft lautstark kritisierten und sich mit Rangnick solidarisierten, drehte der vor dem Spiel eine spontane Ehrenrunde durch das Stadion.

Rangnick sprach später von einer „emotionalen Ausnahmesituation" und einem Fehler. Die Menge stand hinter ihm und füllte wohl seinen Endorphin-Haushalt. Endlich bekam er den Respekt für seine Arbeit lauthals in der Arena serviert. Doch es kam, wie kommen musste: Wie immer in Rangnicks Karriere gefiel den Bossen um Rudi Assauer das Spektakel nicht und er wurde nur zwei Tage später, nach nur einer Niederlage in 16 Spielen und einem Sieg gegen Mainz, entlassen.

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Der Schwabe suchte weiter nach seinem Platz in der Fußballwelt. Er wusste, dass er seine Ideen nur verwirklichen kann, wenn er einen Verein findet, wo die Strukturen nicht durchsetzt sind von ehemaligen Spielern und alteingesessenen Funktionären, die sich alle bei den kleinsten Veränderungen querstellen. Mit diesem Gedanken unterschrieb er einen Vertrag bei der von Mäzen Dietmar Hopp regierten drittklassigen TSG Hoffenheim. Mit einer Mischung aus teuren Investitionen auf dem Transfermarkt und seinem Trainergeschick marschierte er in nur zwei Jahren bis in die Bundesliga und wurde überraschend Herbstmeister. Die Sensation war perfekt und Rangnick konnte erstmals einen Verein so gestalten und umlkrempeln, wie er es sich vorstellte. Nach zwei guten Bundesliga-Spielzeiten und einem nicht immer spannungsfreien Verhältnis mit Klub-Boss Hopp folgte im Dezember 2011 das Zerwürfnis mit dem Mäzen. Rangnick trat zurück. Er wollte sich eine längere Auszeit gönnen.

Es kam anders. Nur drei Monate später unterschrieb er wieder auf Schalke. Die abstiegsbedrohten Königsblauen waren mit seinem Vorgänger Felix Magath noch ins Viertelfinale der Champions League und ins Endspiel des DFB-Pokals gekommen. Rangnick verhinderte den Abstieg, zog mit seiner Mannschaft mit einem Sieg über Vorjahressieger Inter Mailand bis ins Halbfinale der Königsklasse, wo sie an Manchester United scheiterten, und gewann den DFB-Pokal im Finale gegen den MSV Duisburg. Es sollte der erste und bis heute einzige große Titel des Professors sein, doch der Einsatz war zu hoch.

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Die Höchstleistungen, die akribische Perfektion und die ständigen Machtkämpfe mit den Vorstandsetagen waren über die Jahre zu viel für Rangnick. Ende September 2011 hatte er keine Energie mehr und informierte den FC Schalke, dass er nicht mehr weitermachen könne. Ein Burnout zwang ihn in die Knie. In der Zeit danach folgten fast jede Woche Gerüchte über Rangnicks Trainer-Comeback. Diesmal blieb der Fußballfanatiker standhaft. Er lehnte Angebote von Hertha BSC, Besiktas Istanbul , RSC Anderlecht, West Bromwich, Tottenham Hotspur ab.

Seit 2012 ist Rangnick wieder im Fußball zurück und hat ehrgeizigere Träume und Ziele denn je. Red Bull-Boss Dietrich Mateschitz machte ihn zum Sportdirektor bei den beiden Red Bull-Vereinen in Salzburg und Leipzig. Ziel für den größenwahnsinnigen Leipziger Brause-Klub ist es, so schnell wie möglich die Meisterschaft zu holen. Alles andere wäre wohl eine Enttäuschung für das hochambitionierte Millionenprojekt. Mateschitz ist wie Rangnick ein Mann mit Visionen, auch er will absolute Kontrolle. Rangnick hat für seine Ideen freie Hand bekommen und hat die beiden Vereine mächtig durchgewirbelt. All die Umwälzungen, die in der Vergangheit auf Schalke, in Stuttgart oder sogar in Hoffenheim verhindert worden sind, kann er in Leipzig durchsetzen.

Nachdem der Durchmarsch mit dem Verbleib in der zweiten Liga in der letzten Saison unter Alexander Zorniger fehlschlug und Trainer-Kaniddaten wie Thomas Tuchel dem Verein absagten, nahm Ralf Rangnick den Trainerposten nun selbst in die Hand. Das Arbeitspensum, das er als Sportdirektor von zwei Vereinen und jetzt als Trainer und Sportdirektor eines einzelnen Klubs erfüllt, ist fast schon wieder grenzwertig. Er mischt sich überall ein und überwacht jedes einzelne Detail. Rangnick aber fühlt sich wohl. Er hat laut eigener Aussage durch seine Krankheit gelernt auch zu delegieren. Er versucht den selber eingestellten und seiner Meinung nach „besten" Mitarbeitern zu vertrauen. Er hat seine Ernährung umgestellt und gelernt auch mal Handy oder Laptop auszuschalten.

Für die kommende Saison sind die Leipziger gewappnet. Spielart: aggressiv, kombinationsstark und zielstrebig zum Tor. Dafür wurde ordentlich investiert. Schon neun Spieler für insgesamt über 15 Millionen Euro hat RB Leipzig in diesem Sommer verpflichtet. Unter anderem kamen die deutschen U-Nationalspieler und Toptalente Davie Selke und Willi Orban. Außerdem kehren einige Leihgaben wie Massimo Bruno, vor einem Jahr für fünf Millionen Euro vom RSC Anderlecht geholt, vom internen „Ausbildungsverein" aus Salzburg zurück. Und Rangnick weiß, wie man aus überteuerten Transfers eine starke Aufstiegsmannschaft bastelt. Die Top-8 der teuersten Zweitliga-Neuzugänge aller Zeiten mit Spielern wie Carlos Eduardo, Demba Ba oder Davie Selke sind alle von Ralf Rangnick in Hoffenheim oder Leipzig gekauft worden. Der Hass der gegnerischen Fans für die zusammengekaufte Truppe ist riesig. Der Respekt der Konkurrenz ist noch größer. Gleich zwölf der 18 Trainer tippen in einer SID-Umfrage auf die Sachsen als heißesten Aufstiegskandidaten.

Durch seinen Doppelposten als Sportdirektor und Trainer ist Rangnick der Vordenker und Stratege des ganzen Vereins. Der 57-Jährige ist hinsichtlich Spielanalyse, Statistik, Fitness und Psychologie ein Vorreiter in der ganzen deutschen Trainerszene und Vorbild für ehemalige Wegbegleiter wie Thomas Tuchel. Auch aus eigener Krankenerfahrung machte er Leipzig zum Vorreiter-Verein in Sachen Ernährung, das Nachwuchsleistungszentrum hat diverse Jugendtrainer-Stars der Branche abgeworben und kauft aggressiv die besten Talente des Landes. Der Trainerstab der Profis wurde komplett ausgetauscht. Seine Macht ist so groß wie nie. Rangnick kann seine Vision leben. Nur Mateschitz muss er Rechnung leisten. Dieser unterstützt ihn fast ungefragt mit allen finanziellen Ressourcen. Unterm Strich zählt nur der Erfolg.

Mittelfristig will Rangnick nur Sportdirektor sein. Doch auch eine längere Zeit als Leipzigs Bundesligatrainer kann er sich vorstellen. Trotz der Millionen-Ausgaben kann Rangnick in den nächsten Jahren endgültig beweisen, dass er einer der besten Trainer Deutschlands ist. Das verhasste Produkt RB Leipzig kann nur mit seinem attraktiven und fortschrittlichen Spielstil irgendwie zu Sympathien und Erfolgen kommen und Rangnick kann mit der Erfüllung seiner Vision endlich den Respekt bekommen, für den er all die Jahre gekämpft hat. Das klappt aber nur, wenn sich Rangnick und Mateschitz nicht überwerfen.

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