„Das Olympische Komitee behandelt uns wie Müll"
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„Das Olympische Komitee behandelt uns wie Müll"

Der Snowboarder Justin Reiter verklagt den IOC, weil es den Parallelslalom vom Olympiaplan gestrichen hat. Der IOC will mit dem waghalsigen Big-Air-Contest ein junges Publikum anlocken—und verstößt dabei gegen seine eigenen Regeln.

Als Justin Reiter 2014 zum ersten Mal bei Olympia an der Startlinie stand, ging sein Lebenstraum in Erfüllung. Ein Jahr später folgte das böse Erwachen: Das IOC strich den Parallelslalom wieder aus dem Programm, um mit dem Big-Air-Contest jüngere Zuschauer anzulocken. Das sei Blödsinn, sagt Justin Reiter, denn dafür sorge sein Sport auch. Noch nie hat sich ein Sportler getraut, das Olympische Komitee zu verklagen. Der US-amerikanische Snowboarder wagt sich vor ein Schweizer Zivilgericht, um seine Sportart wieder zu Olympia zu bringen. Üblicherweise regeln Sportgerichte solche Fälle, vor Zivilgerichten aber stehen die Chancen für Sportler besser. Der 34-jährige möchte damit die IOC-Entscheidung kippen und ein Vorkämpfer für Athletenrechte werden.

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VICE Sports: Du hast dir einen großen Gegner ausgesucht: Du verklagst das Internationale Olympische Komitee (IOC). Warum?
Justin Reiter: Weil das IOC seine eigene Regeln gebrochen hat. In der olympischen Charta, dem eigenen Regelbuch, steht, dass Sportarten spätestens drei Jahre vor Beginn der Spiele hinzugefügt oder entfernt werden dürfen. Meine Disziplin, der Snowboard-Parallelslalom, wurde aber diesen Juni, also nur knapp zweieinhalb Jahre vor Beginn von Olympia 2018, gestrichen. Ein klarer Verstoß.

Muss es der Gang vor ein Gericht sein, geht es nicht anders?
Gäbe es andere Wege, den Sport wieder olympisch werden zu lassen, würde ich die sofort nehmen. Einen Monat lang hat die komplette Rennszene zusammengearbeitet, wie ich es noch nie gesehen habe. Wir haben tausende Unterschriften gesammelt, im Namen der aktiven Sportler Gespräche mit dem IOC geführt und offene Briefe geschrieben. Wir wollten auch einen Brief an die Athletenkommission schreiben, aber die war nicht erreichbar. Null Transparenz.

Du bist nicht wie üblich vor ein Sportgericht gezogen, sondern verklagst das IOC vor einem Zivilgericht. Das hat noch nie jemand getan. Was erhoffst Du dir dadurch?
Ein Prozess vor dem internationalen Sportgericht (CAS) hätte einen gewissen Konflikt geborgen, denn das IOC steht ja voll hinter dem CAS. Das zivile Gericht wird einen fairen Prozess ermöglichen und hat einen unvoreingenommenen Blick. Es gibt für das IOC keine „Watchdogs", sie müssen sich für nichts rechtfertigen und sind als gemeinnütziger Verein eingetragen, obwohl sie Millionen verdienen. Ich möchte nicht sagen, dass das IOC eine schlechte Organisation ist, aber jemand muss darauf pochen, dass die Regeln eingehalten werden.

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Das IOC argumentiert, dass es wegen seiner Agenda 2020 flexiblere Spiele geben soll und hat ihre Disziplin, den Parallelslalom, deshalb gestrichen.
Das passt überhaupt nicht. Die Agenda will mehr Frauen als Teilnehmerinnen, weniger Infrastruktur, kleinere Schauplätze. All das, um die Spiele attraktiver zu machen. Wir hatten das, wir hatten viele Frauen, viele junge Boarder und unsere Rennstrecken waren relativ nachhaltig. Die Argumente, die das IOC für eine Abschaffung unseres Sports nutzt, sind alle falsch. Snowboarden ist außerdem noch ein reiner Sport: Er ist frei von Doping, Bestechung oder gekauften Wertungen wie beim Eiskunstlauf.

Statt Parallelslalom wird es künftig den Big-Air-Contest geben. Hohe Sprünge, hohes Risiko: Das soll mehr Jugendliche anziehen. Wie siehst Du das?
Ich glaube nicht, dass eine Disziplin mit einer anderen ersetzt werden sollte. Ginge es nach mir, sollte es bei Olympia so viel Snowboarden wie möglich geben. Wir Snowboarder und die Freeskier sorgen dafür, die Olympischen Winterspiele für junge Menschen attraktiv zu halten. 15-Jährige schalten nicht ein, um Curling zu sehen, sondern sie verlangen nach Geschwindigkeit und Dynamik. Das bekommen sie von uns. Ich will deshalb nicht weniger Snowboarden bei Olympia, sondern Big Air und Parallelslalom gemeinsam bei den Spielen.

In Sotchi 2014 warst Du zum ersten Mal bei Olympia dabei. Wie hast Du diese Zeit erlebt?
Seit ich neun war, träumte ich von den Olympischen Spielen. Ich trage den olympischen Geist in mir. Bei der Eröffnungsfeier in das Stadion einzulaufen, um die Farben der USA zu vertreten, war ein großartiges Gefühl. Jeder Olympionike kennt das. Dabei zu sein, wie das olympische Feuer entzündet wird, das lässt mein Herz heute noch schneller schlagen.

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Kein Sportler hat sich bislang getraut, vor einem zivilen Gericht gegen das IOC vorzugehen. Bist Du ein Pionier?
Das IOC hat mich mit seiner Entscheidung dazu gedrängt, diese Person zu werden. Ich wollte das nicht werden, ich möchte Sportler sein, kein Anwalt. Ich möchte andere Sportler dazu ermutigen für ihre Rechte, für ihren Sport und für Gerechtigkeit aufzustehen. Ich möchte, dass die Leute sehen, was erreicht werden kann, wenn für das Gerechte gekämpft wird.

Du willst andere also inspirieren?
Gewissermaßen schon. Allerdings: Mir geht es nicht darum, dass Sportler das IOC angehen, weil sie wegen einer falschen Wettkampfrichter-Bewertung keine Medaille gewonnen haben. Es geht darum, seine Stimme zu erheben. Einige meinten, es ginge mir nur um Geld. Das ist falsch: Es geht mir um Gerechtigkeit, um die Bedeutung des Sports und wie er mit denjenigen umgeht, die ihm ihr Leben widmen. Das Verfahren ist größer als ich.

Justin Reiter bei den Olympischen Spielen in Sotschi; Foto: Imago

Wie kamst Du dazu?
Wir Athleten geben alles für unseren Sport, gehen hohe gesundheitliche Risiken ein, um das Land bei Olympia zu vertreten. Das IOC hingegen behandelt die Athleten wie Müll: Sobald sie durch sind, werden sie weggeworfen. Das ist nicht gerecht. Die Frage, die ich stelle: Existiert das IOC für die Athleten oder dienen die Sportler nur dem IOC? Ich glaube an das Erste.

Das IOC ist der bedeutendste Sportverband der Welt. Hast Du keine Angst?
Vor was? Sie können mir nicht wehtun. Olympia wird nicht durch einen Verband zu etwas besonderem, sondern durch die Athleten.

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Und wenn Du den Prozess verlierst?
Ich bin ein Athlet, deshalb denke ich nicht ans Verlieren. Vielleicht ist das naiv, aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich im Recht bin.

Was erhoffst Du dir von deinem Weg? Sensibilität innerhalb des IOC?
Ich habe gewonnen, wenn das IOC seine Athleten in Zukunft anders behandelt. Und auch wenn ich verliere, wäre es schon jetzt ein Erfolg, denn sie haben Angst, dass es Nachahmer geben könnte. Wenn die Sportler bemerken, dass sie eine Stimme haben. Bei Olympia haben wir das nicht.

Ist das auch ein Test, wie viel es kostet, sich zu Olympia zu klagen?
Nein. Ich war schon dort, ich weiß wie es war. Aber wenn mich jemand fragt, ob ich nochmal hin will: Hell Yeah! Nochmal: Es geht mir um die Athleten, die den Traum von Olympia haben. So sind wir US-Amerikaner eben, wir sind Träumer.

Scheinbar sind aber nicht alle deiner Kollegen so überzeugt wie Du. Momentan hast Du in deiner Spendenkampagne erst 10.971 Dollar gesammelt. Da fehlt noch einiges zu den 175 000, die Du für den Prozess brauchst.
Ja, das ist bislang leider die härteste Aufgabe. Ich frage mich, wenn nicht wir für unsere Rechte kämpfen, wer dann?

Was machst Du, wenn das Geld nicht reicht?
Ich habe nicht die Absicht, meinen Weg abzubrechen, nur weil ich das Geld nicht zusammenbekomme.

Mit dem IOC hatten die Snowboarder ohnehin schon öfter Streit, einige Boarder boykottieren die olympischen Spiele bis heute.
Wir werden innerhalb der olympischen Familie vom Skiverband (FIS) vertreten und sind nur das Stiefkind der Skifahrer. Die FIS will Snowboarden so gestalten, wie sie es gerne hätte. Das ist ein Missmanagement, es ist kein Miteinander, sondern ein ständiger Streit. Snowboarden kann man nicht kontrollieren. Für mich ist Snowboarden ein Gefühl, dieses „just riding and having fun". Und das dürfen die Skifahrer nicht zerstören.

Snowboarder meinen, dass auch das IOC und die FIS vor allem an spektakulären Bildern und an Einnahmen interessiert sind. Wie sehen Sie das?
Das stimmt, und es geht immer weiter: Die Spiele 2022 in Peking sollen an einem Ort stattfinden, an dem es nicht schneit. Auf so einem Boden werden Risiko-Events wie die Halfpipe oder auch unsere Vollgas-Rennen zu einer Entscheidung über Leben und Tod. Das klingt drastisch, ist aber wahr. Eine Tragödie, die zeigt, wie falsch solche Entscheidungen sind. Trotzdem wird das IOC auch daran wunderbar verdienen. Die einzigen, die dabei verlieren, sind wir Athleten.

Folgt Fabian auf Twitter: @Faiaann