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Warum Fußball-Fans beim Thema RB Leipzig nicht zu Klatschvieh in der Kurve werden dürfen

Borussias aktive Szene wird aus Protest nicht zum Spiel bei RB Leipzig fahren, trotzdem war der Block in 20 Minuten ausverkauft. Wir sprachen mit Fanverteter Gruszecki über den Erfolg des Protests und welche Aufgabe die Sportjournaille beim Thema RBL...
Foto: Imago

Es half alles nichts, weder Beleidigungen noch konstruktive Kritik, noch abgetrennte Bullenköpfe. Rasenballsport Leipzig wird am Samstag sein erstes Bundesliga-Heimspiel austragen und eine ganze Region fiebert dem entgegen, genauso wie die Springer-Medien, die ihre Vorfreude kaum noch bändigen können, dass da jemand den Konsum im Osten ankurbelt. Gegner an diesem historischen Tag wird der BVB sein, der allseits beliebte Arbeiterverein, der laut Geschäftsführer Aki Watzke den Spagat zwischen Borsigplatz und Shanghai schaffen muss. Die aktiven Fans allerdings wollen nicht mal bis Leipzig mitfahren.

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Das Bündnis Südtribüne, bestehend aus mehreren Fanclubs, beschloss, nicht zum Spiel zu fahren. Trotzdem war der Gästeblock binnen 22 Minuten schon ausverkauft. RB-Befürworter sahen sich bestätigt, dass die RB-Kritiker in ihrem Protest gescheitert seien.

Einer der Hauptorganisatoren des Protests ist Jan-Henrik Gruszecki. In der Geschäftsstelle nannte man ihn mal „Frontschwein aus der zweiten Reihe", weil der Fanvertreter und Filmemacher eher im Hintergrund die Fäden zieht. Doch in seiner Kritik an Red Bull geht Gruszecki weit in die Offensive. Unter anderem lieferte er sich im Kicker Talk ein zünftiges Scharmützel mit Ralf Rangnick.

Wir sprachen mit ihm darüber, ob der Protest gescheitert ist, welche Aufgaben die Sport-Journaille in der RB-Frage hat und ob die Kritik an RB sich länger halten wird als gegen Hoffenheim.

VICE Sports: Pit Gottschalk, der Sportchef der Funke-Gruppe, schrieb ziemlich gehässig: „Selten endete ein Fanprotest so kläglich wie im Fall RB Leipzig." Seid ihr gescheitert?
Jan-Henrik Gruszecki: Ach, das ist Pit Gottschalk, ehemaliger Springer-Mann und Schwager von Florian Scholz, Kommunikationsdirektor von Red Bull. Das ist geistige und journalistische Armut, die aus seiner Feder hervorquillt. Von 80.000 BVB-Fans wussten 80.000, dass der Gästeblock ausverkauft sein wird—es gab auch nie einen Aufruf, keine Karten zu kaufen, lediglich den Hinweis, dass man für die, die nicht fahren wollen oder können, in Dortmund etwas auf die Beine stellen möchte. Es gibt so viele BVB-Fans in Ostdeutschland, die sich einen Ast abfreuen, mit der Straßenbahn zum Zentralstadion fahren zu können. Es ist vollkommen in Ordnung, dass die das machen.

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Was war dann das Ziel des Protests?
Zu zeigen, dass Red Bull Leipzig für uns kein Fußballverein ist. Die Fanclubs haben bei uns gesagt: Scheiße, wir kriegen die Busse nach Leipzig nicht voll. Viele wollten sich das nicht antun. Dann haben wir gesagt: Wenn keiner Bock auf das Spiel hat, wer würde denn das Spiel im Radio hören? So ist es dann gekommen, wir schauen die Amateure und hören in der Roten Erde gemeinsam das Spiel im Radio an. Das war überhaupt keine Ultras-Idee, das kam von den Fanclubs.

Jan-Henrik Gruszecki; Foto: Imago

Die Kritik war ja auch, dass euch der Protest wichtiger ist als die Unterstützung der neu zusammengewürfelten Mannschaft.
Das ist ein Totschlagargument, mit dem man letztendlich alles kritiklos hinnehmen müsste. Dann kannst du auch sagen, dass eine Ticketpreiserhöhung gut ist, weil sich dann der BVB noch teurere Spieler leisten kann. Fußballfans sollten immer eine kritische Masse bleiben und sich nicht zu dummem Klatschvieh in der Kurve degradieren lassen. Wir sind kritische Bürger und leider ist es häufig so, dass die Kurven den Fußball kritischer begleiten, als die Journaille es tut.

Was meinst du damit?
Uns wird ja vorgeworfen, dass wir Wolfsburg oder Leverkusen ja früher auch nicht kritisiert hätten. Doch, genau das haben wir getan, das hat nur kaum jemand aufgegriffen. Es gab Choreos für den Erhalt der 50+1-Regel. Eigentlich sollen die Journalisten die Gesellschaft kritisch hinterfragen und erklären. Im Fußball ist das leider genau andersrum. Da müssen die Fans den Journalisten die Kritik beibringen. Das ist ein komplettes Paradoxum in der Gesellschaft, das es fast nur im Fußball gibt.

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Die Grenzen zwischen Presse und Pressestelle sind im Fußball tatsächlich häufig fließend.
Genau, ich finde es unfassbar, was im Fußball derzeit passiert. Es ist total krank, dass—bis auf wenige Ausnahmen—die einzigen, die sich zu den Champions-League-Reformen äußern, die Fußballfans sind. Wenn Karl-Heinz Rummenigge nach einer Verhandlung sagt, dass er „extrem zufrieden" ist, dann muss man doch wissen, dass irgendetwas nicht stimmt. Das ist peinlich für den Berufsstand.

Viele sagen, dass der Protest gegen RB Leipzig lediglich von den aktiven Fußballfans kommt. Hoffenheim-Leipzig hatte die höchste Zuschauer-Quote am ersten Spieltag.
Am Sonntag ohne Konkurrenz. Völlig irrelevant die Zahl. Das hätte auch Beitar Jerusalem gegen Ajax Cape Town gepackt. Unser Kritikpunkt ist ja auch gar nicht, dass Red Bull keinen interessiert und die Auswärtsfahrer wie bei Wolfsburg, Leverkusen oder Hoffenheim mit einer Draisine anreisen können. Leipzig ist eine Stadt, die Fußball atmet. Der erste deutsche Fußballmeister kommt aus Leipzig, der DFB wurde dort nicht ohne Grund gegründet. Natürlich ist das Stadion da voll, wenn ein Marketingunternehmen wie RedBull da mit vollem Budget ein „cooles Event und Produkt" in die Stadt katapultiert. Unsere Kritik ist, dass Red Bull Leipzig ein Konstrukt ist, dass alles auf den Kopf stellt. Ja, alle Vereine verdienen Geld, um Fußball zu spielen. Nur, in der Salzburger Konzernzentrale von RedBull wurde ein Verein in Leipzig gegründet, um mehr Dosen zu verkaufen.

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Es gibt genug Fußballfans, denen die Romantik egal ist, wenn in zehn Jahren Leipzig im Champions-League-Finale steht. Die sind nochmal kritischer gegenüber Ultras und der aktiven Fanszene.
Ja, das mag sein. Das darf in der Konsequenz aber nicht heißen, dass wir unsere Kritik zurückfahren, nur weil sie vielleicht nicht mehrheitsfähig ist. Natürlich gibt es Leute, die nicht so „politisiert" sind wie wir. Das berührt uns in dem Fall kaum, weil wir auch wissen, dass wir aus einer Minderheiten-Position argumentieren. Ich habe vor der Aufnahme bei Kicker Talk mit Leuten aus dem Publikum gesprochen. Die Leute haben ausschließlich, wirklich ausschließlich, gesagt, dass das klasse ist mit Red Bull, weil die ja richtig Kohle geben in den Fußball. Darmstadt mit dem kleinen Etat bringe den Fußball ja nicht nach vorne. Ich dachte nur, hä, wie kann man so denken? Das ist doch Wahnsinn. Wie kann man es nicht gut finden, dass ein Verein es schafft, mit einem Transfervolumen von 5.000 Euro in die Bundesliga aufzusteigen?

Wenn in China gerade Fußball zum Pflichtfach erklärt wird, dann kann man sich ausmalen, wo die Kapitalisierung den Fußball hintragen wird. Wie lange wollt ihr protestieren? Hoffenheim hat sich recht unbeschadet etabliert, genauso wie Wolfsburg und Leverkusen.
Als Mitte der Neunziger Bayer sein Geld aus Uerdingen abzog und nach Leverkusen schickte und ganz viele Brasilianer und Daum geholt wurden, gab es die Kritik auch schon. Nur war man damals nicht so vernetzt. Bei Hoffenheim ist es eine andere Geschichte als bei Red Bull. Da wird man einen wesentlich längeren Atem haben.

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Wieso das?
Bei Hoffenheim ist da jemand, der unglaublich viel Kohle hat, und nicht weiß, wohin damit. Der hat da früher gespielt und gesagt: Ich fände es unglaublich geil, wenn Hoffenheim irgendwann in der Bundesliga spielt. Das kann man doch irgendwo nachvollziehen, wenngleich das natürlich zurecht von uns kritisiert wird und dieses Beispiel nicht Schule machen sollte. Es ist aber nicht so verwerflich wie das, was in Salzburg geplant und in Leipzig aufgeführt wird. Da überlegen sich Leute: Fußball ist ein geiles Produkt, da möchten wir als Getränke-Lifestyle-Konzern partizipieren. Da ist Leipzig die perfekte Stadt für. Das ist eine komplett andere Dimension.

Der BVB hat auch seine Anteilseigner und der HSV Kühne.
Das ist alles richtig. Aber Franz Jacobi hat 1909 nicht den BVB gegründet, damit Puma mehr Schuhe oder die Signal-Iduna mehr Versicherungen verkauft. Dortmund hat Sponsoren, damit er Fußball spielen kann, Red Bull spielt Fußball, damit mehr Dosen verkauft werden. Es ist eben eine völlige Umkehr vom bisherigen. Bisher musstest du erfolgreich spielen, um Sponsoren zu gewinnen. Bei Leipzig ist es umgekehrt. Sponsoren gibt es, solange es Sport gibt, und natürlich hat das Dimensionen angenommen, die kaum noch zu ertragen sind, wenn ein verletzter Spieler von einer Apothekenkette an der Anzeigetafel abgefeiert wird.

Macht der BVB in China Freundschaftsspiele, weil er sonst nicht Fußball spielen könnte?
Zunächst: Diese Dinge sind unterschiedlich gelagert und für mich nicht zu vergleichen. Und das Asien-Engagement des BVB lässt die Sektkorken am Borsigplatz jetzt nicht wirklich knallen, weil der Focus weiter verschoben wird. Aber: Der BVB sucht überall neue Einnahmequellen, weil er erfolgreich Fußball spielen will. Weil er Spieler kaufen und halten will. Das ist ja das Problem, dass durch Vereine wie Red Bull ein Druck im System entsteht, dass man noch viel mehr gezwungen ist, das Rad der Kommerzialisierung weiter zu drehen. Und natürlich ist Dortmund genötigt, mehr Geld zu generieren, damit er mit Red Bull etc. mittelfristig mithalten kann.

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Der Unmut darüber macht sich teilweise bei euch in der Szene deutlich.
Aki Watzke hat neulich auf der letzten Bilanz-Pressekonferenz gesagt, dass man den Spagat zwischen Borsigplatz und Shanghai schaffen müsste. Das kann beim Aufstehen eine Zerrung geben, oder, wenn man nicht geübt ist, sogar einen Muskelbündelriss. Die Entwicklung geht leider dahin. Wir in Dortmund an der Basis müssen aufpassen, dass wir immer sagen: Wir sind wichtig, weil ohne uns die Borussia ein deutliches Stück ärmer wäre. Du kannst den BVB in China nicht ohne Südtribüne verkaufen.

Was heißt das in der Konsequenz, wird man dem Fußball irgendwann den Rücken kehren? Zumindest scheint eine gewisse Müdigkeit eingesetzt zu haben.
Wenn ich mich in meinem fußballverrückten Freundeskreis umhöre, dann bin ich erschrocken, wie wenig Leute sich das Eröffnungsspiel zwischen Bayern und Werder anschauen wollten. Die EM wurde auch nur als Nebenbei-Medium verfolgt. Ob jetzt noch die Splittung der Champions-League-Anstoßzeiten Sinn macht? Ganz kapitalistisch gefragt: Gibt es da überhaupt den Markt für? Sind wir vielleicht schon an der Wachstumsgrenze angelangt?

Vielleicht hat die Sättigung in Europa eingesetzt, aber nicht in China und den USA.
Das mag sein, der Fußball wird kapitalistischer und internationaler. Das wird immer weiter gehen.

Die Frage ist, ob man ewig protestieren wird oder ob man einfach wieder mitmacht.
Wir machen schon nicht mit, indem wir nicht nach Leipzig fahren. Und ich glaube, wenn Guanghzou Evergrande irgendwann mit WildCard in die Champions League aufgenommen wird, müssen zum Kartenvorverkauf keine Campingplätze vor der Dortmunder Geschäftsstelle reserviert werden.

Das Interview führte Toni Lukic: @sopranovic