MMA-Kämpfer Nick Hein kennt den Street Hustle
Foto: Jermain Raffington

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takedowns am hauptbahnhof

MMA-Kämpfer Nick Hein kennt den Street Hustle

Als Polizist war er mit dem Milieu des Kölner Hauptbahnhof konfrontiert. Jetzt steht Nick Hein im Octagon und möchte das Image von MMA in Deutschland verändern.

MMA ist eine der am schnellsten wachsenden Sportarten weltweit. Seit 2014 ist mit „Sergeant" Nick Hein ein weiterer Deutscher Teil der UFC, die am 20. Juni in Berlin zur UFC Fightnight in der O2 Arena einlädt. Außerhalb des Octagons ist der ehemalige Judoka nicht der typische MMA-Fighter. Für die Polizei ging er noch bis vor Kurzem im Kölner Bahnhofsviertel auf Streife und spielt als einer der Hauptcharaktere in der ZDF Neo-Produktion Diese Kaminskis einen von drei Brüdern, die ein Bestattungsunternehmen leiten. Wir haben uns im Vorfeld mit dem „Sergeant" getroffen und mit ihm über seine Zeit als Polizist, gebrochene Nasen und dem Potenzial von MMA in Deutschland unterhalten.

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VICE Sports: Was war dein erster Berührungspunkt mit dem MMA?
Nick Hein: Mein erster Kontakt mit Mixed Martial Arts war eine Videokassette von UFC 1, die ich in die Hand gedrückt bekommen habe. UFC 1 war die erste Veranstaltung des MMA und wenn ich ehrlich bin, war ich einfach nur geschockt. Damals kämpften reine Judoka gegen reine Boxer und es gab noch keine Mischform der Stile. Da kämpfte dann ein „B.J." Jaylor gegen einen Sumoringer. Leider stellen sich viele den Sport auch heute noch vor. Ich war absolut geflasht und habe mir aber gleich gedacht, dass ich das auch könnte. Ich habe aber neun Jahre gebraucht, bis ich mit dem MMA angefangen habe. In dieser Zeit hat sich der Sport aber sehr weiterentwickelt. Es gibt Verbandsstrukturen und ein festes, international gültiges Regelwerk. 2009 bin ich dann in einen MMA Verein gegangen.

Der Weg vom Judoka zum Vollkontakt-Kampfsport scheint zwar naheliegend, aber ist dann doch noch mal ein großer Unterschied oder?
Judo ist Teil des MMA. Doch ich musste am Anfang meiner Karriere schon so einige Umstellungen machen, um mich im MMA als Judoka bewähren zu können. Normalerweise sind Judoka sehr plattfüßig und haben einen tiefen Schwerpunkt, Boxer hingegen tänzeln um ihren Gegner herum. Dies auszugleichen kostete schon einiges an Zeit und Training.

Wie würdest du deinen Kampfstil beschreiben?
Ich bin jemand, der sehr stark von seiner Physis lebt. Ich habe durch meinen Judo-Background nicht so viel Zeit gehabt ein großer Philigrantechniker zu werden, lebe jedoch von meiner Explosivität. Ich werfe die Leute gerne und schlage viel. Wenn ich treffe, dann richte ich Schaden an.

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Alle Fotos: Jermain Raffington

Hattest du schon ernste Verletzungen? Was war das Schlimmste?
Ich habe deutlich mehr Verletzungen in meiner Judo-Karriere gehabt. Das einseitige Kämpfen ist etwas, das bei mir stark auf die Knie gegangen ist. Jetzt, im MMA, hat man durch die verschiedenen Stile auch unterschiedliche Belastungen. Dadurch können aber auch die ganze Bandbreite an Verletzungen auftreten. Ich hatte eine gebrochene Nase oder hatte nach dem einen oder anderen Kampf mal einen Cut über dem Auge. Das sieht von außen immer schlimm aus, da man blutet wie ein Schwein, doch sonst bin ich von Schlimmerem verschont geblieben.

Wie siehst du das Potenzial für MMA in Deutschland?
Das Potenzial ist riesig. In Amerika hat MMA dem Boxen schon längst den Rang abgelaufen. MMA ist der am schnellsten wachsende Sport der Welt! Deutschland ist sehr Sport- und Kampfsportbegeistert, das sieht man schon an der langen Boxtradition, die es in diesem Land gibt. Eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch die Deutschen MMA akzeptieren und täglich in ihrem Fernsehprogramm zu sehen bekommen.

Was ist das Problem was die Deutschen mit MMA haben?
MMA wurde in den Anfängen falsch beworben. In Amerika musste MMA erst einmal eine Daseinsberechtigung finden. Man hat mit dem Schock-Faktor versucht, Werbung zu machen. Dieses Image hat sich leider bis heute gehalten. Wenn ich mir die Boxkämpfe von vor 60 Jahre angucke, dann war das genauso brutal. Ich meine, die haben sich ohne Polsterung mit ein bisschen Leder um die Fäuste voll auf die Fresse gehauen. Auch die medizinischen Standards waren ganz andere wie heute. Doch auch das Boxen hat sich weiterentwickelt. Genauso ist es mit MMA. Mixed Martial Arts ist eine hochprofessionelle Sportart, in der alles geregelt ist. Von der Octagon Größe bis hin zur medizinischen Versorgung bei den Events. Es ist eine richtige Sportart und das sollten die Leute akzeptieren. Aber ich weiß, dass es ein Prozess ist, der sich erst entwickeln muss.

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Spürt man die Schläge oder wird alles überdeckt vom Adrenalin?
Es ist mehr ein Funktionieren als ein aktives Erleben. Man spürt die Schläge eigentlich genauso viel, wie in den anderen Kampfsportarten. Beim Judo bin ich damals teilweise auch durch die Luft geflogen und das Erste, was ich mir gedacht habe, war nicht „Aua", sondern „Scheiße, jetzt habe ich den Kampf verloren." Das liegt an der Schutzfunktion des Körpers. „Nebensächlichkeiten" wie Schmerz empfindet man am Anfang erstmal nicht. Man funktioniert einfach weiter. Ich merke zwar, dass ich hart getroffen wurde, aber richtig realisieren tut man das erst, wenn man vom Schiedsrichter zum Ringarzt geführt wird. Dann wird einem klar, dass man wirklich was abbekommen hat.

Was hast du für Gefühle im Ring? Denkst du manchmal, ich hau dem jetzt auf die Fresse?
Wenn ich mir das denke, dann war meine Vorbereitung schlecht. Es ist wie, wenn man auf eine heiße Herdplatte fasst. Da zieht man reflexartig seine Hand zurück. So ist das auch im Ring. Es sind einprogrammierte Reaktionen und Reflexverhalten. Genau das mache ich auch in meiner Vorbereitung. Damit ich später im Octagon funktioniere und nicht mehr darüber nachdenken muss, ob ich meinen Gegner mindestens zwei Mal mehr treffen muss als er mich, um ihn zu besiegen. Ich reagiere auf Reize, das kann die Art sein wie mein Gegner seine Schulter bewegt oder die Position, die wir 1000 Mal an der Octagon-Wand geübt haben.

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Wenn mein Gegner mich zum Beispiel in einem Clinch gegen das Gitter zu drücken versucht, weiß ich genau, was zu tun ist. In meiner Vorbereitung schreibe ich eine Art Programm und Trainiere meinen Kopf dazu, es später im Octagon auszuführen.

Hast du Angst?
Jeden Tag! Ich bin ja auch nur ein Mensch. Da kann es um meine Frau gehen oder um meinen Sohn, der sich beim Spielen im Kindergarten verletzen könnte. Und klar, auch vor dem Kampf habe ich Angst, denn ich weiß, da kommt jemand, der genauso hungrig ist wie ich und der eine sportliche Bedrohung darstellt. Eigentlich sehe ich das Gesicht meines nächsten Gegners jeden Tag vor mir. Aber genau diese Angst, ist die Motivation für mein Training. Wenn du dann in der Kabine sitzt und du weißt, gleich geht es los, wenn du das Beben der Fans hörst, die alle nur da sind, um diesen MMA Kampf zu sehen, dann weißt du, dass alles was du getan hast, jetzt auf den Prüfstand gestellt wird. Auch da ist man ängstlich. Doch sobald meine Musik ertönt, ich diesen Boden unter meinen Füßen spüre und ich aus der Kabine zum Octagon laufe, ab dann funktioniere ich.

Was sind die größten Vorurteile die Menschen gegenüber MMA haben?
Viele denken, wir wären nur Schläger und würden ohne Regeln kämpfen. Sie sprechen MMA den Status eines Sportes ab. Das ist etwas, was ich sehr schade finde, weil es einfach nicht so ist. Es motiviert mich aber auch, in den nächsten Jahren Überzeugungsarbeit zu leisten. Ein Kampf, wie er am 20. Juni stattfindet, ist eine Aufmerksamkeit, die der Sport braucht.

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Bis vor Kurzem warst du bei der Polizei, musstest du dich in manchen Situationen manchmal kontrollieren? Du bist ja in 98% der Fälle deinem Gegenüber überlegen oder nicht?
Das Bild gegenüber der Polizei wird bei manchen nicht mehr mit Respekt verbunden. Da muss man sich manchmal schon zusammenreißen. Das geht aber nicht nur mir als MMA-Kämpfer so, sondern auch meinen Kollegen. Gerade wenn ich mit Personen zu tun hatte, die Alkohol getrunken hatten, sah man, wie sie dazu neigten, sich selbst zu überschätzen. Aber ich hatte dann nie das Gefühl, das ich sie alle umnieten hätte müssen. Es gibt eben immer diese Leute, die ne große Klappe haben.

Bist du in eine Situation gekommen, in der du kämpfen musstest?
In eine?! Ich habe am Kölner Hauptbahnhof gearbeitet. Das ist das Epizentrum aller Sachen, die in Köln schief gehen. Das sammelt sich ein ganz besonderes Klientel. Natürlich musste ich da manchmal körperlich tätig werden. Mein Kampfsporthintergrund hat mir da auf jeden Fall sehr geholfen, doch ich habe nie jemandem über das Maß hinaus Schaden oder Schmerzen zugefügt.

Erzähl mir eine Geschichte aus dem Polizeialltag
Es gab da so ein Typ, den wir festnehmen wollten. Als er festgestellt hatte, dass für ihn die Party nun zu Ende war, hat er sich geweigert und uns angegriffen. Er hat nach uns geschlagen und ich bin schön unter dem Schlag abgetaucht, habe ihn gepackt, und wie man so schön sagt, einen Takedown gemacht. Er ist also in einem Bogen durch die Luft geflogen und lag dann erst mal sehr erschrocken auf dem Boden. Als er später dann ein bisschen nüchterner war, meinte er nur zu mir: Das war nicht schlecht! Er war ein fairer Verlierer. (lacht)

Folgt Jermain auf Twitter: @jayraff