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Schweden

Wie mich mein Faible für Fußballwetten zum schwedischen Gast-Ultra machte

Meine Liebe zum Wettschein hat mich bis nach Schweden verschlagen. Ich war beim Stockholmer Derby und habe gelernt, dass schwedische Ultras entscheiden, wann du das Stadion verlassen darfst.

Es ist eine unausweichliche Tatsache, dass Wetten und moderner Fußball eng miteinander verwoben sind. Viele Vereine tragen einen Buchmacher auf ihren Trikots. Und so manche Liga „schmückt" sich mit dem Namen eines Wettunternehmens. Doch gewettet wird nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen: soll heißen, bei Fußballfans wie du und ich. OK, ich kann nur für mich sprechen, aber für mich gehört ein Tippschein zu einem Spieltag einfach dazu. Und genau dieses Hobby hat mich vor Kurzem auf eine Pilgerreise nach Schweden geschickt, wo ich mir das Derby zweier Mannschaften angeschaut habe, zu denen ich keine wirkliche Verbindung habe. Doch eins nach dem anderen.

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Ich interessiere mich für ausländischen Fußball, seitdem ich zum ersten Mal Champions League geschaut habe. Als ich dann mit dem Wetten loslegte, setzte ich auf Mannschaften aus ganz Europa. Aber unter einer Bedingung: Es mussten Teams sein, über die ich eine Menge an Wissen—und ein gutes Bauchgefühl—angehäuft hatte.

Zusammen mit meinen Freunden habe ich dann eine Wettgemeinschaft ins Leben gerufen, bei der wir uns mithilfe von Statistik-Seiten wie Soccerway und Soccerstats einen Vorteil zu verschaffen versuchen. Diese Seiten decken nicht nur die großen Ligen aus Deutschland, England oder Spanien ab, sondern so ziemlich jede Liga auf der ganzen Welt. Die von euch, die sich gut mit dem europäischen Fußball auskennen, werden vielleicht wissen, dass die niederländische (nicht belgische!) Jupiler League regelmäßig für Torfestivals sorgt (im Schnitt fallen 3,5 Buden pro Spiel), während die erste russische Liga mit ihren 1,89 Toren pro Spiel nichts für Liebhaber von Offensivfußball ist.

Im Mai letzten Jahres—als die meisten europäischen Liga gerade die Bürgersteige hochklappten—waren unsere Blicke dann auf die schwedische Allsvenskan gerichtet. Denn dort fallen in 82% der Spiele zwei oder mehr Tore, während in 60% der Spiele beide Mannschaften treffen, was für uns Wettnasen natürlich sehr reizvoll klang.

Wenn eine Mannschaft für dich eine Wette gewinnt, ist es nur natürlich, dass du eine gewisse Sympathie für sie entwickelst. In meinem Fall erwies sich Djurgården als Glücksbringer. Ich habe weder zur Stadt Stockholm noch zum Verein irgendeine Verbindung, doch der DIF war wiederholt gut zu mir. Also begann ich allmählich, dem Verein die Daumen zu drücken. Auch wenn meine Beweggründe nicht gerade romantischer Natur waren, so wurde Djurgården zu meiner Mannschaft.

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Die schwedische Liga ist, wie so viele kleinere Ligen, in einem ständigen Wandel. Ihre größten Talente verlassen schon im jungen Alter die heimischen Gefilde, um im Ausland für namhafte Vereine spielen zu können. Beispiele dafür sind Zlatan Ibrahimovic oder Freddie Ljungberg. Andererseits kehren viele von ihnen auch wieder nach Sverige zurück, wenn sich ihre Karriere langsam dem Ende neigt. Markus Rosenberg sollte nicht nur Werder-Fans ein Begriff sein. Mittlerweile spielt der Stürmer schon längst wieder beim schwedischen Rekordmeister Malmö FF.

Doch zurück zu meinen Jungs von Djurgården. Nachdem ich sie schon so oft vor meinem Laptop angefeuert habe, war der Punkt gekommen, an dem ich sie live spielen sehen wollte. Ich wollte ihnen endlich in ihrem Tempel, der Tele2 Arena, huldigen. Ich entschied mich für ihr Heimspiel gegen den Stadtrivalen AIK—ein Spiel, das in Schweden „Tvillingderbyt" (das Zwillingsderby) genannt wird. Zusammen mit einem Kumpel aus unserer Wettgemeinschaft machte ich mich auf den Weg nach Schweden.

In Stockholm angekommen, legten wir schnell unsere Koffer im Hotel ab und trafen uns mit einem schwedischen Freund, der für den Tag zu unserem Tourguide umfunktioniert wurde, in einer Kneipe. Nach einem IPA für umgerechnet 15 Euro fuhren wir mit der U-Bahn bis zur Station Globen, wo wir von lärmenden Fans und noch mehr Rauchschwaden empfangen wurden.

Beide Vereine wurden in einem Abstand von gerade mal drei Wochen anno 1899 gegründet und können schon auf 167 Derbys zurückblicken. Davon hat AIK 62 und Djurgården 53 gewinnen können. Es war also an der Zeit für meinen Verein, die Statistik in die richtige Richtung zu biegen.

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Während wir uns für die extragründlichen Kontrollen an einem der Eingänge anstellten, übersetzte unser schwedischer Freund einen der lauthals gebrüllten Fangesänge mit „den Abschaum abstechen". Wir schauten uns erschrocken an. Nur unser Local wirkte noch erschrockener, weil er—wie er uns zuflüsterte—eigentlich AIK-Fan ist. Angesichts der Sicherheitsmaßnahmen vor dem Stadion ging ich davon aus, dass ich drinnen keine Rauchbomben oder Bengalos sehen würde. Weit gefehlt.

Als wir den Stadioninnenbereich betraten, wurden wir sofort von einem ohrenbetäubenden Lärm willkommen geheißen. Die Ultras waren schon mitten in ihren Fangesängen. Die Tribüne war fast vollständig in den Farben der Heimmannschaft gekleidet. Für mich als gebürtigen Engländer ist es ungewohnt, so viele erwachsene Menschen in Trikots insStadion gehen zu sehen. Hier schmückten aber bestimmt drei Viertel der Zuschauer Gelb, Rot und Blau, was ich ziemlich beeindruckend fand.

Der Lärmpegel stieg und stieg und wurde nur von der feindseligen Stimmung, die in der Luft lag, übertroffen. Als die Teams den Rasen betraten, begannen die Ultras mit ihrer Choreo.

Die Fans um uns herum schwenkten mit blauen Fahnen, als die ersten Rauchbomben gezündet wurden. Was von Weitem verdammt spektakulär aussah, war für uns, die mittendrin standen, eher ein Gefühl des Chaos. Die Rauchschwaden waren so dicht, dass der Anstoß verschoben werden musste. Das hielt die Ultras natürlich nicht davon ab, gesangstechnisch weiter voll Gas zu geben. Auch ich sang wie ein Irrer mit, obwohl ich kein Wort Schwedisch spreche.

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Auf einmal zogen sich einige Fans neben mir Sturmhauben über und bevor ich verstand warum, waren die ersten Bengalos angezündet. Die Kontrollen vor dem Stadion waren der akribischen Planung der Ultras offenbar nicht gewachsen.

Als das Spiel endlich angepfiffen wurde, war die Atmosphäre im Stadion so gut, wie ich es wohl noch nie zuvor erlebt habe. Leider konnte die Elf auf dem Platz bei Weitem nicht dieselbe Qualität abrufen wie ihre Fans auf der Tribüne. Schon nach 15 Minuten stand es 1:0 für AIK. Das Tor schoss ein Geburtstagskind, Alexander Isak, der gerade erst 17 geworden war. Der hochtalentierte Teenager, der schon jetzt als kommender Zlatan gehandelt wird, zeigte sich ähnlich selbstbewusst wie der United-Star, indem er sein Tor direkt vor einer der Heimtribünen feierte. Fliegende Flaggen und Bierbecher waren die Folge, die aber am Sicherheitsnetz zerschellten.

Nachdem sich auch der Anpfiff zur zweiten Halbzeit verzögerte, wurde die Leistung von Djurgården schlechter und schlechter. Ein so blutleeres Spiel hatte der tolle Anhang nicht verdient. Isak schoss auch das zweite Tor, bevor Chinedu Obasi die Heimklatsche perfekt machte. Obwohl die eigene Mannschaft mit 0:3 zurücklag, blieb der Lärmpegel vonseiten der Djurgården-Ultras konstant hoch.

Als die Nachspielzeit angezeigt wurde, beschlossen wir, dass es an der Zeit war aufzubrechen und ins Zentrum von Stockholm zurückzukehren. Doch auf halbem Weg wurde ich von einem Mann mit Ultra-T-Shirt aufgehalten. Er begann, mir auf Schwedisch ins Gesicht zu schreien. Das Einzige, das ich dabei aufschnappte, war seine Spucke. Als er verstand, dass ich nur Englisch verstehen würde, schnauzte er mich an: „You don't leave early". Ich bin fast zwei Meter groß und mir stellen sich nur äußerst selten Leute in den Weg. Doch in den Augen dieses Fans wurde deutlich, dass er keinen Spaß verstand. Seine absolute Hingabe und der Wille, selbst angesichts einer peinlichen Niederlage sicherzustellen, dass die Atmosphäre an keiner Ecke im Ultra-Block nachlässt, hat mich echt beeindruckt. Also warteten wir bis zum Schlusspfiff und machten uns dann aus dem Staub.

Auch wenn ich extra aus dem Ausland angereist kam, um sie mal live spielen zu sehen, so lautet mein Fazit nach dem Trip, dass ich mich eher nicht als echten Djurgården-Fan bezeichnen würde. Klar, ich habe eine Schwäche für den Klub, seitdem er mich mehrfach eine nette Summe Geld gewinnen ließ. Doch angesichts der Atmosphäre im Stadion wurde mir klar, dass ihr leidenschaftlicher Support von ihrer speziellen Verbindung zu dem Verein herrührte. Soll heißen: Die Verbindung zwischen einer Person und einem Ort ist etwas, das nur dadurch entstehen kann, dass man in der Gegend geboren wurde oder gelebt hat. Es ist eine Art von Bindung, die kein Wettschein auf der Welt entstehen lassen kann.

Ich liebe noch immer die Allsvenskan und behalte weiterhin Djurgårdens Ergebnisse im Auge. Aber vor allem hat mich meine Pilgerreise nach Schweden gelehrt, dass kein Team so geil ist wie das, das zu Hause auf dich wartet.