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Mode

Trachten aus Europa—Modernisierung tötet Tradition

Wer immer mit der neusten Mode geht, verliert seine Vergangenheit. Doch so sehr wir diese leicht verstaubten Trachten bewundern, sind 24 Unterröcke einfach furchtbar unpraktisch.

Eine Tracht aus Zagreb

Ich habe das allererste Mal als Kind eine Tracht wahrgenommen, als ich mit meiner Mutter in ihrer Heimat Kroatien Urlaub gemacht habe. Ich sah dort Leute, die in besonderen Kostümen tanzten und sangen. Es war irgendein Festtag, welcher, weiß ich nicht mehr, und wie alt ich war, weiß ich auch nicht mehr. Ich kann mich allerdings daran erinnern, wie ich an diesem Tag in Kroatien mit der Tracht aus Zagreb konfrontiert worden bin. Die weißen Leinenröcke und die rot bestickten Westen habe ich immer noch vor meinem inneren Auge.

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Die Familienurlaube in Italien, der Heimat meines Vaters, haben in mir nie diese Erinnerungen ausgelöst, wahrscheinlich weil Norditalien die Tracht, bzw. die Tradition, sich zu Festtagen besonders anzuziehen, schon längst verloren hatte. Ich glaube, irgendwann war die Sehnsucht nach Modernität in der Italienischen Nachkriegszeit einfach stärker und die Traditionen gingen des Fortschritts wegen einfach drauf.

In Kroatien aber wurde eine Differenzierung der verschiedenen ethnischen Gruppen angekurbelt, und Trachten bekamen einen symbolischen Wert: Sie hoben die Unterschiede zwischen den verschiedenen Republiken hervor, um die Länder nach dem Krieg zu individualisieren, bzw. den Drang, ihre Folklore und Traditionen, die sie durch die Vereinigung unter Tito verloren hatten, wiederherzustellen. Tito hatte die sechs Republiken Jugoslawiens unter der Ideologie des Sozialismus politisch und traditionell einheitlicher gestaltet. Nach seinem Tod wurden dann diese Unterschiedlichkeiten und die regionalen Traditionen wieder aufgenommen und Sprachen bzw. Redensarten wiederbelebt.

Trachten sind also vor allem in den neuen europäischen Ländern eher präsent—wenn sie nicht aus praktischen Gründen abgeschafft worden sind. Der Fall der Sowjetunion hat bestimmt auch dazu beigetragen—weil unter dem Kommunismus andere Werte vermittelt wurden, und man unbedingt vermeiden wollte, dass in den einzelnen Ländern zu viel revolutionäre Individualität aufkeimt.

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Fortschritt und Modernisierung unserer westlichen Gesellschaften haben dann zum Verdrängen solcher Traditionen, die viel Zeit und Hingabe beanspruchen, geführt.

Nachdem wir uns in der aktuellen Ausgabe mit deutschen Trachten beschäftig haben, haben wir uns diesmal in Europa umgesehen und diese drei Prachttrachten gefunden.

Die Ghonnella

Die Ghonnella ist ein Kapuzenmantel und anders als alle anderen Trachten, die nur zu Festtagen getragen wurde, gehörte diese Tracht zum Alltag der maltesischen Frauen. Die Ghonnella hatte angeblich auch einen praktischen Nutzen. An warmen Tagen soll sie eine frische Meerbrise einfangen können und an kühleren Tagen vor kalter Luft schützen.

Woher die Ghonnella stammt, ist ein Rätsel. Manche behaupten, dass diese untypische Kopfbedeckung aus Sizilien stammt und im 13. Jahrhundert in Malta eingeführt worden ist. Da Sizilien nicht weit entfernt ist, kann es durchaus sein, dass sich sizilianische und maltesische Traditionen gegenseitig beeinflussten.

Der Schal bedeckte den Kopf, aber nicht das Gesicht. Der obere Teil des Schals war steif und gerundet und erinnert ein bisschen an eine Fischgräte. Diese seltsame Form gab der Ghonnella eine mysteriöse, einem Segelschiff gleichende Gestalt. Wenn man ging, hielt man das Ende der Ghonnella in einer oder beiden Händen.

Für Jahrzehnte war die Ghonnella in Malta allgegenwärtig und wurde von jeder erwachsenen Frau getragen. Die Ghonnella war so populär, dass es viele Schneiderinnen gab, die nur den Job hatten, solche Kapuzenmäntel anzufertigen. Jedoch verschwand die Ghonnella im maltesischen Alltag in den 1940ern und 1950ern ganz plötzlich und in den 1970ern wurde der Mantel nur noch von den maltesischen Nonnen getragen. Zum Ende des 20. Jahrhunderts verschwand die Ghonnella dann ganz, sogar die Nonnen fanden den Mantel nicht mehr attraktiv.

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Tracht von der Insel Susak

Tracht Nr. 2, die heute noch getragen wird, kommt von der Insel Susak in Kroatien und unterscheidet sich von allen anderen Trachten durch die Kürze des sehr hellen, fast neonfarbenen Rockes. Vermutlich die einzige Tracht mit einem sexy Minirock.

Die Trachten von Susak sind für festliche Angelegenheiten wie Hochzeiten oder Feiertage gedacht. Wenn die Frauen ihre Tracht anhaben, lassen sie sich meistens mit den Händen in den Hüften ablichten, um noch mehr die Einzigartigkeit des Kleides hervorzuheben.

Werden sie älter, bevorzugen die Frauen generell dunklere Farben, und der Spitzenrüschenrock fällt weg. Sie tragen weiße oder dunkle langärmelige Hemden und einen kurzen Schleier, um ihr Haar zu verdecken. Die Strümpfe sind auch aus dunklerer Wolle.

Pilsener Tracht

Tracht Nr. 3 kommt aus Tschechien, genauer aus Pilsen, wird jedoch seit dem späten 19. Jahrhundert nicht mehr getragen.

Wenn jetzt all die anderen Trachten dachten, sie seien besonders, dann haben sie sich geirrt. Denn wo andere meistens mit fünf Unterröcken protzen, kann die Pilsner an normalen Festtagen mit 12 bis 15 trumpfen, und an ganz besonderen Tagen sogar 24!

Stellt euch vor, ihr tragt 24 Unterröcke und müsst den Weg vom Dorf bis zur Kirche laufen. Pilsen gewinnt hiermit definitiv den Preis als anstrengendste Tracht, 24 Unterröcke sind einfach zu viel.

Die Trachten waren ansonsten eher dezent, nicht übermäßig bestickt, nur das Häubchen war äußerst extravagant. Das Hemd hatte große Puffärmel, auf der Brust trug man ein Seidentuch.

Diese Tracht gibt es mit den 24 Unterröcken nicht mehr, getragen wird sie noch von älteren Frauen. Den jungen ist sie verständlicherweise wohl einfach zu anstrengend.