Es war allen klar, dass etwas passiert
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1860 münchen

Es war allen klar, dass etwas passiert

Welche Folgen es haben kann, Spielball eines selbstgerechten Investors zu sein, zeigte sich in den Ausschreitungen der 1860-Fans. Ein Sechziger erklärt, warum er einen Hals auf Tom Bartels hat und der Umzug aus der Arena nun noch unwahrscheinlicher wird.

1860 München ist in die Dritte Liga abgestiegen. Im Relegationsrückspiel verloren zahnlose Löwen mit 0:2 gegen Jahn Regensburg. Diese "hässliche Fratze der 'neuen' deutschen Fankultur" – wie der Kicker schrieb – in Form von geworfenen Sitzschalen und Fahnenstangen aus der Löwenkurve wirft heute in den deutschen Medien einen großen Schatten über die eigentlichen Probleme des Klubs. Im Hintergrund bebt es: Präsident Peter Cassalette und Geschäftsführer Ian Ayre traten schon zurück. Laut Sky erwägt der TSV 1860 sogar die Einleitung eines Insolvenzverfahrens. Noch sind das alles Gerüchte, doch selbst für die Löwen ist das Chaos groß. Aber was sagt der friedlich-frustrierte Großteil der Löwen-Fans, der gestern auch in der mit über 62.000 Zuschauern gefüllten Arena den Abstieg miterleben musste?

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Wir fragten Michael "Mixen" Wiethaus, der als Vierjähriger noch in der Bayernliga seine ersten Stadionerlebnisse als Löwe sammelte, wie er den gestrigen Abstieg erlebte. Er erklärt, warum die aktive Fanszene ihre eigenen Ziele um das Grünwalder Stadion gefährdet und warum vor allem die alten Löwen-Anhänger noch Ismaik-Fans sind:

Schon in Heidenheim haben wir uns gefragt: Was wird wohl passieren, wenn wir absteigen? Böller? Ein Platzsturm? Es gab vor dem Spiel schon Gerüchte und Spekulationen. Aber gerade in der Arena ist ein Platzsturm schwer, da kann man nicht einfach so rüberhüpfen wie in Braunschweig. Es war uns allen klar, dass etwas passiert. Es war nur nicht klar, was. Trotzdem habe ich bis zuletzt gehofft, dass es nicht zu solchen Szenen kommt. Doch in so einer Ausnahmesituation brennen die Sicherungen irgendwann durch. Vor allem, wenn sich der Frust wie bei uns im Verein über Jahre hochschaukelt.

Ich war vor dem Spiel so angespannt wie jeder andere in München wohl auch. Damit sich die Anspannung legte, hab ich vorher mit meinen Jungs im Biergarten eine Maß getrunken. Schon dort gab es hitzige Diskussionen, was wohl bei einem Abstieg passieren könnte. Wir alle hatten die Bilder aus Braunschweig gesehen. Wenn der ganze Frust, die Leidenschaft und alle Emotionen einer Saison in nur einem Spiel hochkochen. In der ersten Halbzeit stand ich noch oben in der Kurve an meinem Stammplatz – direkt in der aktiven Szene bin ich ja nicht. Spätestens nach dem 2:0 war die Stimmung mau, drückend und wurde nur noch angespannter. Wir brauchten ein unmögliches Wunder.

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In der zweiten Hälfte stand ich dann weiter unten in der Kurve bei einigen Freunden. Je näher es Richtung Schlusspfiff ging, desto mehr schaukelte sich der ganze Frust dann hoch. Wegen der Mannschaft, wegen des Investors, wegen der ganzen letzten Jahre. In der 80. Minute schmiss dann der Erste aus der Kurve einen zusammengesteckten Doppelhalter wie einen Speer aufs Feld. Das war nicht so geil. Dennoch waren sich viele in der Kurve einig: Viele klatschten und es wurde gemeinsam "Nie mehr zweite Liga" gesungen. Viele Leute – vor allem die mit Kindern und Familie – verließen die Arena dann aber auch. Verständlich. Niemand wusste, was noch passiert. Und: Wir können auch froh sein, dass nicht noch mehr passiert ist. Eine Sitzschale rausreißen ist natürlich scheiße und Sachbeschädigung. Aber wenn Fahnenstangen (aus PVC, nicht aus Eisen) als Speere genutzt werden, dann geht das einfach zu weit.


Die Blue Suit Men haben das Beleidigen von Gegnern auf der Strafbank zur Kunstform erhoben. Wir haben die Fans der Eisbären Berlin bei der Vorbereitung ihrer Chirps begleitet.


ARD-Kommentator Tom Bartels war – wie ich später erfuhr – während der Liveübertragung enttäuscht, dass es keine "Zivilcourage von den anderen Fans" gegeben hätte. Da macht es sich Herr Bartels ziemlich einfach. Ich weiß nicht, wann Bartels das letzte Mal in einer Kurve stand – oder ob er je dort war. Ich will ihn mal sehen, wie er in so einer Ausnahmesituation zu einem Mob von mehreren Hundert Leuten geht und mit Zivilcourage anfängt. So schlimm es sich anhört, aber da schaut man eher, dass man Land gewinnt. Schade, dass diese Journalisten auch nur das wiedergeben, was in der Zeitung steht…

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Wenn man ehrlich ist, war das schon ziemlich überraschend mit dem Abstieg. Da kann man jetzt sagen, dass wir Sechzger naiv seien, aber niemand wollte wahrhaben, dass wir absteigen. Andererseits ist alles, was uns zum Ausstieg vom Investor näher bringt, mir und dem Großteil der Löwen recht. Die ältere Generation der Löwen-Fans sieht das übrigens ganz anders. Sie haben immer vor so einem Abstieg gewarnt. Die kennen noch die Zeit in der Bayernliga und wollten auf keinen Fall wieder runter. Deren Argument: Lieber mit Investor höher spielen, als ohne ganz unten.

Die Kurve zeigte, was sie von den Löwen hält; Foto: Imago

Die Kurve zeigte, was sie von den Löwen hält; Foto: Imago

Dieser Disput kam immer wieder auf: Während beim letzten Heimspiel der Amateure die ganze Kurve den "Anti-Ismaik-Scheiß auf sein Geld"-Song gesungen hat, wäre so etwas bei der ersten Mannschaft nicht möglich in manchen Arena-Bereichen. Wenn man so etwas anstimmte, kamen schnell Rufe von älteren Löwen-Fans: "Hört auf mit dem Scheiß". Sie erzählten uns dann von dem zähen Kampf zurück in den bezahlten Fußball. Und: Sie schüttelten auch bei den Träumereien über das Grünwalder Stadion mit dem Kopf und erzählten dir von der bitterkalten Romantik bei -20 Grad und keinem Dach über dem Kopf. Ich war damals zu jung, um meine ersten Spiele in den Niederungen des Fußballs wahrzunehmen, aber so richtig Bock hat man darauf natürlich nicht.

Die Randale am Ende des Spiels gestern war schon scheiße. Ich stecke natürlich nicht in den Leuten drin. Ich weiß nicht, ob das nur Frust, einfach stumpfes Machotum oder ein Beweisen vor anderen Szenen in ganz Deutschland ist. Für mich wurde da die Grenze überschritten. Rufe wie "Außer Biero könnt ihr alle gehn" und "Wir sind Löwen und ihr nicht" sind absolut in Ordnung und bei der Leistung auch richtig, aber diese Krawalle haben vielleicht weitreichende Folgen. Ganz Deutschland spricht über diese Vorfälle und daran wird 1860 erstmal in Zukunft gemessen. Wenn der Investor den Verein verlässt, waren diese Aktionen keine gute Werbung für den Klub und seine Fans.

Die Vorkommnisse werden auch mit Sicherheit mit reinspielen, wenn es darum geht, welchen Spielort wir nächste Saison haben werden. Eine Rückkehr ins Grünwalder Stadion wurde durch die Krawalle unwahrscheinlicher. Die Politik nimmt so etwas gerne an, springt auf den Skandalzug und argumentiert, dass der innerstädtische Bereich zu unübersichtlich und gefährlich bei Krawallen ist. Das ist natürlich Schwachsinn, weil es auch beim Ama-Derby friedlich zugehen konnte.

Mehr lesen: Wie kann man immer noch Fan von 1860 München sein?

Ismaik, die Randale und die frühe Aufgabe der Mannschaft. All das enttäuscht mich nur. Vor zwei Jahren war der Wille zu spüren, diesmal nicht. Einen Tag nach so einem Abstieg fühlt man sich ziemlich leer. Es ist eine allgemeine Enttäuschung bei mir und meinen Freunden. Aber was soll man machen? 1860 ist ein wichtiger Teil meines Lebens, aber zum Glück bestimmt das alles nicht meinen kompletten Alltag. Doch es ist nicht schön, dass heute die ganze Republik über deinen Verein herzieht. Heute lese ich mir das nicht durch und lasse alles ein bisschen sacken.

Nach dem Abstieg gibt es bei 1860 wieder mal (noch) mehr Fragen als Antworten. Leider haben wir Fans gar keinen Einfluss darauf, was jetzt geschieht. Das ist das Schlimmste. Ich hoffe, dass der Investor keine Lust mehr hat. Und wenn er bleibt, dann werde ich die Dauerkarten auch nicht abgeben. Hoffentlich dann nicht mehr in der Arena. Ich sehne mich nach einer eigenen Heimat – für den zähen Kampf zurück.