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Popkultur

Michael Moore ist um die Welt gereist und mit großen Ideen zurückgekehrt

Können deutsche, skandinavische und tunesische Ideen die USA retten?
Porträt von Katie Mccurdy

Aus der Up in Flames Issue

Michael Moore muss man nicht wirklich vorstellen. Er ist der linke US-Dokumentarfilmer, dessen Filme in Multiplex-Kinos laufen. Nach sechs Jahren Pause ist er mit seinem neuen Werk Where to Invade Next zurück, in dem er fremde Länder „erobert", um ihre guten Ideen zu stehlen—seien es ein Drei-Stunden-Schultag und Gourmetessen für Schüler, die Entkriminalisierung von Drogen, anständige Behausung und Wahlrecht für Hochsicherheitshäftlinge, Banker im Gefängnis oder Frauen in Machtpositionen.

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Moores letzter Film, Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte, erschien 2009 und war seiner Zeit voraus—wie er und ich besprachen, sind viele seiner Kritikpunkte an unserem Wirtschaftssystem inzwischen im Mainstream angekommen. Bleibt zu hoffen, dass sein neuer Film ebenso zukunftsweisend ist und all die guten Ideen auch Gehör finden.

VICE: Bevor ich den Film sah, glaubte ich zu wissen, worum es geht, doch dann hat er mich sehr überrascht.
Michael Moore: Ja, es macht einen Unterschied, ob jemand sagt: „In Deutschland gibt es umfassende Gesundheitsversorgung" oder ob einem jemand erklärt, dass alle in Deutschland auf Rezept drei Wochen lang auf Kur gehen können, wenn sie zu gestresst sind.

Ich habe mich gefragt, wo die Angestellten des Kurbads drei Wochen lang hingehen.
Das ist eine gute Frage, denn am Arbeitsplatz bleiben will ja niemand.

Faszinierend war auch der Abschnitt über Tunesien—vor allem die Tatsache, dass tunesische Frauen Zugang zu Abtreibungen haben.
Nicht nur das, der Zugang ist auch frei. Es ist gratis und nicht stigmatisiert.

Am Anfang des Films sagst du, dass du nur die Blumen und nicht das Unkraut mitnehmen wirst. In anderen Worten, du zeigst nicht die Nachteile der Gesellschaftspolitik, die im Film vorgestellt wird.
Es gibt eigentlich auch keine. Es gab sie mal. In den 70ern fingen sie in Deutschland an, das Gesundheitssystem in Ordnung zu bringen, und dabei machten sie viele Fehler, die es dann zu reparieren galt. Wir können daraus lernen.

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Gewerkschaften sind dir ja sehr wichtig, und in den USA geht es mit ihnen anscheinend immer nur bergab. Fallen dir andere Mächte ein, die Druck ausüben könnten, um die Veränderungen herbeizuführen, die du im Film nahelegst?
[Am Ende des Films] sind die ganzen Logos der Gewerkschaften zu sehen. Ich habe nicht darauf gewartet, dass die Leute, die für mich arbeiteten, sich einer Gewerkschaft anschließen, sondern ich habe ihnen gesagt, sie sollten es machen und ich würde sie unterstützen.

Gut gemacht.
Aber wie bei den Norwegern, die auch nicht nur eine maximale Haftstrafe von 21 Jahren haben, weil sie so nett sind, ist das auch Eigennutz. Sie wollen ihr System mit nur 20 Prozent erneuter Straffälligkeit natürlich erhalten, denn sie wissen, dass zu strenge Strafen mehr Verbrechen verursachen. Mit meinem Vorgehen bin ich also einerseits ein guter Mensch, aber andererseits wird meine Crew auch besser drauf sein und dementsprechend arbeiten.

Das ist das alte Eigennutz-Argument.
Ich habe sogar schon darüber nachgedacht, ein Business-Buch zu schreiben. Im Vorwort wird es heißen: „Ich werde dich kein einziges Mal bitten, [die Dinge in dem Buch] aus meinen liberalen Weltverbesserergründen zu tun. Du sollst es tun, weil es für dich gut ist." Ich verstehe, wie Amerikaner denken.

Aber vielleicht ist diese Einstellung bald Schnee von gestern. Sozialismus ist heute in aller Munde—fühlt sich das nicht an wie eine riesige Veränderung?
Riesig! Es gab vor zwei oder drei Jahren eine Umfrage, die zu dem Ergebnis kam, dass junge Leute Sozialismus mögen. Er gilt als cool. Sieh dir mal die Umfrage vom Oktober an. Sie haben Demokraten befragt: positive oder negative Sicht auf Sozialismus und Kapitalismus? 46 Prozent sahen den Sozialismus positiv; beim Kapitalismus waren es nur 37 Prozent.

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Um dieses Thema geht es bei Debatten zur Präsidentenwahl immer wieder.
[Sieh dir an,] was Hillary in der Debatte im Oktober gesagt hat. Sie haben sie direkt gefragt: „Wenn 2008 noch einmal passieren würde, würden Sie dann die Banken retten?" Und sie sagte: „Auf keinen Fall." „Sie würden sie untergehen lassen?" Als sie das noch einmal bestätigte, dachte ich nur: „Wow."

Sie ist ein bisschen ein Fähnchen im Wind, und jetzt, da der Wind liberaler weht, muss sie sich mitdrehen.
Das stimmt. Sie sagt also, dass die Banken wissen sollten, dass Leute wie du und ich beim nächsten Mal nicht am Kindertisch sitzen werden. Wir werden nicht im Zuccotti Park campieren, sondern der Wall Street wirklich einen Riegel vorschieben.

Ich denke, die Herausforderung für die Linke ist es, politische Organisationen aufzubauen, um auf eine solche Situation vorbereitet zu sein.
Das ist so wichtig. Wir müssen bereit sein, wenn es passiert.

Dein Film ist in gewisser Weise so optimistisch.
Fandst du meine anderen Filme nicht optimistisch?

Schon—in dem Sinne, dass dir diese Dinge wichtig sein müssen, wenn du schon Filme darüber drehst.
Ja, ich glaube, dieser Film wird Veränderungen herbeiführen!

Entertainment scheint für dich ein Werkzeug zu sein, um damit einer Sache zu dienen.
Natürlich unterhalte ich, immerhin drehe ich Filme. Ich werde nicht ins Priesterseminar zurückkehren, um zu predigen. Ich kandidiere nicht für ein politisches Amt. Ich organisiere keine politischen Kundgebungen. Ich habe mich fürs Filmemachen entschieden, und das bedeutet, dass ich in erster Linie versuchen muss, einen guten Film zu drehen. Wenn ich einen miserablen Film drehe, dann habe ich meiner Politik sehr geschadet.