FYI.

This story is over 5 years old.

Sex

Mein Abend beim Londoner Fetisch-Speed-Dating

„Ich hoffe, hier eine Frau zu treffen, die mir die Scheiße aus dem Leib prügelt."

Titelbild: Dieses Foto wurde in einem Fetisch-Club und nicht bei der Speed-Dating-Veranstaltung aufgenommen. Die Anonymität der Teilnehmer muss schließlich gewahrt werden. (Foto: Jake Lewis)

Mary*, eine zierliche Frau in einem schwarzen Kleid, zieht den Ärmel von Ryans T-Shirt hoch, um dessen frisch vernarbte Haut freizulegen.

„Wow, richtig cool", meint sie und untersucht dabei Ryans neue Schnitte, die auf seinem Bizeps ein Gitter formen. Dann fängt sie plötzlich an, ihn zu schlagen. Anfangs ist sie noch zurückhaltend und berührt fast zärtlich flirtend seine Backen, aber das Ganze wird schließlich immer heftiger, bis Mary das Gesicht verzieht und Ryan richtig verdrischt. Sie versucht wirklich, ihm so viele Schmerzen wie nur möglich zuzufügen. Kurz darauf hören die Pärchen an den umliegenden Tische auf zu reden, um die beiden anzufeuern.

Anzeige

Wenn man bedenkt, dass wir uns in einem Londoner Gastropub mit schmiedeeisernen Treppen und Deckenbalken befinden, wo sich normalerweise neunmalkluge Erwachsene die Kante geben, dann mutet dieses Verhalten doch ziemlich komisch an. Allerdings findet hier eben auch einmal im Monat das Fetisch-Speed-Dating statt. Da ich bereits eine Freundin habe, bin ich nicht hier, um mir vor frenetischem Publikum von einer fremden Person den Frack vollhauen zu lassen. Ich dachte mir allerdings, dass ich mir hier wohl einen gutes Bild der lokalen Fetisch-Szene machen kann—bei einer Reihe von vierminütigen Gesprächen mit so vielen Subs, Doms, „Paypigs", Sneaker-Hassern und Jogginganzug-Fetischisten wie nur möglich (und das alles an einem Ort, wo man nicht von lauter Musik oder einem erregten, nackten Mann abgelenkt wird).

Ich habe noch nie an einem Fetisch-Speed-Dating teilgenommen und war mir deshalb am Anfang wegen meines Outfits noch unsicher. Würde ich in der Masse aus Latex und Keuschheitsgürteln womöglich wie ein Spitzel wirken? Auf der Website des Events stand jedoch, dass „smart-casual" vollkommen ausreichen würde—man sollte einfach so natürlich wie möglich auftreten.

Bei der Ankunft werde ich von der Organisatorin Miss Jo begrüßt, die schon seit 20 Jahren Fetisch-Clubs betreibt. Während sie Oliven mit einem Cocktailspieß verdrückt, heißt sie jeden Gast willkommen und sorgt dafür, dass sich jeder wohl fühlt. Sie reicht mir einen weißen Sticker, auf den ich meinen Namen schreiben soll, und wünscht mir viel Spaß.

Anzeige

Was mir am Konzept des Speed-Datings schon immer missfallen hat, ist diese einstudierte, wenig authentische und rabiate Natur des Ganzen. Egal ob es dir nun gefällt oder nicht, dort wird basierend auf dem körperlichen Zustand ständig dein Wert als potenzieller Sexpartner eingeschätzt. Falls niemandem die Vorstellung deines nackten Körpers zusagt, dann stehst du am Ende ohne eine einzige neue Telefonnummer da und bekommst während des einsamen Nachhausewegs aufgrund deines komischen Aussehens Komplexe. Beim Fetisch-Speed-Dating kommt jedoch noch eine weitere Komponente hinzu: Zusätzlich muss der dir gegenübersitzenden Person ja auch noch dein Fetisch gefallen. Und was, wenn dieser Fetisch für die ganzen anwesenden, biederen Nerds zu speziell ist?

Während ich mir dazu Gedanken mache, beginne ich ein Gespräch mit Jack, der draußen eine Zigarette raucht und an seinem Bier nippt. Aus irgendeinem Grund habe ich mir hier ganze Gruppen an Femme Fatales in PVC-Kleidern und High Heels vorgestellt, aber in Wirklichkeit sehen die Anwesenden eher aus wie Studenten, die sich zum wöchentlichen Improvisationskurs treffen. Jack trägt zum Beispiel eine Tartan-Hose, ein grünes, zerfranstes Satin-Hemd und dicke Silberringe.

Wie oft er wohl schon beim Fetisch-Speed-Dating dabei war?

„Zweimal." Für einen Moment scheint ihn das zu amüsieren. „Damals, als das Ganze noch unten in Farringdon stattfand."

Dann hat er ja anscheinend noch kein Glück gehabt.

Anzeige

„Ich habe hier zwar schon echt nette Leute kennengelernt, aber richtig gefunkt hat es leider noch nicht."

Er lacht reuevoll und fummelt sich mit seinen vom Nikotin vergilbten Fingern an der Unterlippe herum.

„Ich hoffe, hier eine Frau zu treffen, die mir die Scheiße aus dem Leib prügelt."

Sein freundlicher Begleiter Danny ist nur gut 1,50 Meter groß, trägt einen grauen Anzug und redet gerne. Er ist Baustellenleiter und direkt nach Dienstschluss hergekommen, um neue Leute kennenzulernen. Anscheinend ist das Ganze für ihn ziemliches Neuland.

„Ich war jetzt noch nicht bei wirklich vielen Veranstaltungen dabei. Ich muss mich erstmal zurechtfinden", meint er.

Ich frage ihn, auf welche Fetisch-Partnerin er es heute abgesehen hat.

„Ich hoffe, hier eine Frau zu treffen, die mir die Scheiße aus dem Leib prügelt", antwortet er.

Eine Glocke erklingt und das bedeutet, dass sich die Männer an die Tische setzen sollen, die in einem privaten Bereich der Bar aufgestellt wurden. Mit meinem Namensschild fühle ich mich dabei eher wie bei einem Massen-Casting als bei einem zeitlich begrenzten Fetischisten-Plausch.

Miss Jo erklärt uns noch einmal die Regeln. Die Männer warten darauf, dass die Frauen das Zimmer betreten und sich dann für vier Minuten zu einem der Kandidaten setzen. Falls die Chemie stimmen sollte, dann kann man Nummern austauschen. Falls nicht, dann geht es einfach weiter zum nächsten Kandidaten. Das mag jetzt zwar einfach klingen, aber ich habe das Gefühl, dass ihre Anweisungen nicht alle Fragen klären. Wann spricht man an, dass man sich gerne auszieht und dann in mit Chilisoße beschichtete Klarsichtfolie einwickeln lässt? Fällt man gleich mit der Tür ins Haus oder macht man zuerst etwas Smalltalk? Das ist jetzt keine Übertreibung. Wenn der Sinn dieser ganzen Veranstaltung darin besteht, einen potenziellen Partner bzw. eine potenzielle Partnerin zu finden, dann sollte man meiner Meinung nach auch genau klären, wann man über seine Vorlieben spricht.

Anzeige

Anfangs ist es mir auch noch etwas unangenehm, dass sich mein Tisch direkt neben dem Tisch von Ryan befindet—denn das bedeutet, dass er mein peinliches Geschwätz die ganze Zeit mitkriegen wird. Zum Glück stellt sich Ryan dann als freundlicher Typ heraus und meine Angst scheint unbegründet. Er erzählt mir, dass er sich selbst als „Switch" ansieht, also eine Person, die sowohl den dominanten als auch den unterwürfigen Part übernehmen kann. Die meisten Anwesenden lassen sich nur in eine der beiden Kategorien einordnen.

Ed Sheerans Lied „Bloodstream" erklingt leise im Hintergrund und ich mache mich für das erste meiner Vier-Minuten-Dates bereit.

Den Anfang macht Miranda. Sie ist Ende 20 und trägt ein Blumenkleid, das man so auch an einem lauen Sommerabend im Park anziehen könnte. Ihr züchtiges Äußeres passt jedoch nicht so ganz zu ihren doch etwas komplizierten intimen Vorlieben. „Ich bin eine Service-Domina. Das bedeutet, dass ich andere Leute schlage—aber nur, weil sie drauf stehen", erzählt sie mir.

Also eine selbstlose Domina?

„Tief in mir drin bin ich sehr verdorben, aber darüber kann ich nicht wirklich reden. Für so etwas sind vier Minuten sowieso viel zu kurz", stellt sie fest und lehnt dabei die Knabbereien ab, die ich ihr anbiete.

Als nächstes sitzt mir Hannah, eine Lehrerin, gegenüber. Sie ist eine Sub und begründet diese Tatsache damit, dass sie während der Arbeit den ganzen Tag lang Kinder herumkommandiert und es deshalb nach Feierabend vorzieht, wenn jemand anderes die Zügel in die Hand nimmt. Sie erzählt mir von den Schwierigkeiten des Datens innerhalb der Fetisch-Szene.

Anzeige

„In den Clubs sprechen mich immer andere Subs an", meint sie. „Und sie reden dann nicht lange um den heißen Brei herum: ‚Darf ich dich lecken?' Ähm, nein? Wir haben uns gerade erst kennengelernt?"

Ich frage sie, ob sie schon mal mit einem richtig schrägen Typen ausgegangen ist.

„Ich habe mal einen Quasi-Vergewaltiger getroffen. Er hat mich immer gefragt, ob es OK wäre, was er da macht, und hat dann meine Antworten trotzdem komplett ignoriert. ‚Nein, wir sind hier in der Öffentlichkeit!' Ich hatte echt Glück, dass ich wusste, wie man sich selbst verteidigt."

Lynne, eine Kandidatin, deren Ehemann es total geil findet, wenn sie vor seinen Augen fremdgeht, erzählt mir davon, dass das Alter ebenfalls zum Problem werden kann.

„Ich bin 43 und werde auch schon mal von 21-Jährigen angesprochen—ich meine, die sind nicht mal halb so alt wie ich!"

Macht ihr das was aus?

„Im Bezug auf die Erfahrung schon. Einmal haben wir uns auf einen jungen Kerl eingelassen und der ist dann schon nach sechs Minuten gekommen."

Munchies: Dieser BDSM-Food Blog verbindet Fetisch mit Kochen

Eine Sache, die mich verwirrt, ist folgende: Einige der Frauen, die ich hier kennenlerne, haben Vorlieben, die sie selbst gar nicht mal so erotisch finden. Kathryn, eine Steuerberaterin Mitte 40, erklärt mir zum Beispiel, dass sie die unglaublich komplexe Kunst der japanischen Fesselspiele nicht wirklich sexy, sondern eher „ziemlich witzig" findet. Und Andrea erzählt mir davon, dass sie öfters in einen Club geht, wo sich Sub-Männer den Frauen unterwerfen. Aber findet sie es wirklich antörnend, wenn sie einen Typen als Tisch zum Füßehochlegen benutzt?

Anzeige

„Nein. Beim Sex geht es mir eher um die Psychospielchen."

Ich frage sie daraufhin, warum sie dann überhaupt zu solchen Veranstaltungen geht.

„Ich finde das einfach interessant. Außerdem ist das mal etwas Anderes als ein normaler Club, wo sich die Frauen den Männern unterwerfen müssen."

„Ich stehe auf extreme Schwanz- und Sackfolter. Da kommt auch schon mal ein Tacker zum Einsatz."

Laura, die scheinbar ordentlich einen über den Durst getrunken hat, macht keinen großen Hehl um ihre Vorlieben.

„Ich liebe Kerker", lallt sie. „Und Blut."

Blut?

„Blut ist richtig sexy und macht mich geil. Meine Haut vernarbt auch nicht so schnell. Ich stehe total drauf, wenn das Blut richtig herumspritzt."

Eine weitere junge Frau, die sich im Bezug auf ihren Fetisch nicht zurückhält, ist Samantha.

„Ich stehe auf extreme Schwanz- und Sackfolter", erzählt sie. „Und damit meine ich richtig extrem!"

Mein Inneres zieht sich zusammen und ich frage, ob das Ganze denn nicht gefährlich ist.

„Doch."

Aber wie gefährlich genau?

„Da kommt auch schon mal ein Tacker zum Einsatz."

Alles klar.

„Wenn du willst, dann kastriere ich dich auch."

Ernsthaft?

„Nun, wenn du darauf bestehst, dann lasse ich das Gesetz auch mal links liegen."

Ich erkundige mich, was sie so macht, wenn sie nicht gerade die Eier von irgendeinem Typen bearbeitet.

„Ich bin Chirurgin", antwortet Samantha. Sie atmet tief ein und sieht sich um. „Weißt du, was das Problem an diesen Veranstaltungen ist? Hier gibt es einfach keine richtigen Fetischisten."

Gegen Ende des Abends habe ich das Gefühl, mir einen guten Überblick über die Fetisch-Interessen der Hauptstadt Englands verschafft zu haben (zumindest was die weibliche Seite betrifft). Diese Interessen sind zwar nicht gerade gewöhnlich, aber jetzt auch nicht so durchgepeitscht, wie ich es mir vorgestellt hätte: Fast alle Teilnehmer lassen sich entweder in die Dom- oder in die Sub-Kategorie einordnen. Und mit diesen Fetischen ist die breite Öffentlichkeit dank Filmen wie Nymphomaniac oder Fifty Shades of Grey schon weitestgehend vertraut. Aber natürlich lernte ich auch ein paar Vertreterinnen aus dem Feld der etwas extremeren Sex-Vorlieben kennen.

Beim Gehen treffe ich noch einmal auf Danny und frage ihn, wie der Abend für ihn gelaufen ist.

„Gut", antwortet er und hält inne. „Aber da waren auch ein paar Frauen dabei, bei denen ich mir dachte, dass sie schon etwas zu weit gehen."

*Alle Namen wurden geändert.