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Für den mexikanischen Fußballverband ist „Schwuchtel" kein homophobes Schimpfwort

Seit Jahren brüllen mexikanische Fußballfans „Puto", um den Torwart zu irritieren. Blöd nur, dass das „Schwuchtel" bedeutet. Warum aber hat die FIFA so lange zugeschaut?
EPA

Seit mehr als zehn Jahren brüllen mexikanische Fußballfans „Ehhh puto!", wenn der gegnerische Keeper im Begriff ist, den Ball zu klären. Puto ist ein Slang-Ausdruck und bedeutet so viel wie „Schwuchtel" oder „männliche Prostituierte". Diese Praxis wird in Mexiko weitestgehend als harmloser Versuch, den Torwart des Gegners zu verunsichern, abgetan. Doch mittlerweile sieht sich der mexikanische Fußballverband massiver Kritik an seiner Verteidigung eines Fangesangs ausgesetzt, der für viele Leute klar homophob ist.

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Nachdem man jahrelang weggeschaut hat, fühlt sich die FIFA endlich berufen, das Treiben zu beenden, und hat letzte Woche disziplinarische Schritte eingeleitet. So wurden Mexiko und vier weitere Länder mit Geldstrafen belegt, weil sich ihre Anhänger bei jüngsten WM-Quali-Begegnungen „beleidigender und diskriminierender Gesänge" schuldig gemacht haben.

Der mexikanische Verband hat gegen die Strafe in Höhe von 20.000 Dollar Einspruch eingelegt. Zuvor hatten „El Tri"-Fans beim 3:0-Erfolg ihrer Nationalmannschaft gegen El Salvador im November wiederholt Puto gebrüllt. Guillermo Cantu, der Verbandsvorsitzende Mexikos, ist über den FIFA-Beschluss enttäuscht und gab letzte Woche gegenüber ESPN zu Protokoll, dass man „gewisse Worte kulturell verstehen muss" und dass die Rufe „nicht diskriminierend" seien.

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Auch viele Fans betrachten den Gesang als harmlosen Teil mexikanischer Fußballkultur und fühlen sich mit dem Verbot in ihrer Meinungsfreiheit beschnitten. Ricardo Olvera—ein Fan vom mexikanischen Erstligisten Club América, der in den USA aufgewachsen ist—hat VICE Sports erzählt, dass der Begriff auch einfach nur „Idiot" bedeuten kann und von Fans bloß zum Ablenken des gegnerischen Keepers verwendet wird. Ihm zufolge seien viele Kritiker des Ausdrucks „Personen, die nicht in Mexiko geboren wurden und daher unsere Kultur nicht wirklich verstehen".

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„Es ist ein Fangesang, der auf verrückte Weise die Anhänger einer Mannschaft zusammenschweißt. Dahinter steckt keine homophobe Beleidigung. Ehrlich gesagt bringt es alle zum Lachen und heizt so richtig an", ergänzte Tomás Salinas, ein Mexiko-Fan aus San Antonio in Texas.

Andere hingegen geben zu, dass das Wort nicht politisch korrekt ist, aber sich gleichzeitig auch nicht gegen Schwule wendet. Mauro Álvarez, ebenfalls Mexiko-Fan aus den USA, meinte dazu: „Ich will es nicht verteidigen, aber ich hasse die Tatsache, wie sie uns als homophob abstempeln. Nur weil wir das Wort benutzen, heißt das noch lange nicht, dass wir was gegen Schwule haben. Andererseits ist es schon ein starkes Schimpfwort und sollte im Fußball vielleicht doch nichts zu suchen haben."

Juan Jacobo Hernández, Präsident der mexikanischen Schwulenrechtsorganisation Colectivo Sol, hat VICE Sports berichtet, dass der Ausdruck zweifelsohne eine Beleidigung für die LGBT-Community darstellt. „Ja, es ist ein kulturelles Ding, aber wir reden von einer kulturellen Diskriminierung und Homophobie", sagte er. „Indem man Richtung Torwart puto brüllt, versucht man nicht nur, ihn abzulenken, sondern schmälert gleichzeitig auch seine männlichen Fähigkeiten. Man impliziert nämlich, dass er kein richtiger Mann ist."

Dr. Rainer Enrique Hamel, Professor für Sprachwissenschaft an der UAM in Mexico City, hat erklärt, dass der Begriff in der Umgangssprache in weiten Teilen Mexikos Anwendung findet. Gleichzeitig ist er aber in den letzten Jahren mehr und mehr zu einem Taboo in der Öffentlichkeit geworden. Unabhängig vom jeweiligen Kontext bleibt es Hamel zufolge stets ein „beleidigender und homophober" Begriff, auch wenn es gar nicht so gemeint sein sollte: „Das Wort puto bezieht sich auf einen schwulen Mann, mit der weiteren Bedeutung Stricher, was wiederum bedeutet, dass dem Begriff zufolge alle Schwule Stricher sind. Und das ist natürlich eine klare Beleidigung."

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The chant is not homophobic at all, says this man. Photo via EPA.

Die polemische Äußerung war zum ersten Mal im Fußballstadion von Guadalajara im Jahr 2003 zu hören, als Atlas-Fans ihre Wut über ihren Ex-Keeper Oswaldo Sánchez rausgeschrien haben. Der hatte sich die Frechheit erlaubt, zum verhassten Lokalrivalen Chivas zu wechseln. Die Unsitte wurde während der WM 2014 in Brasilien über die mexikanischen Landesgrenzen hinaus bekannt, als Mexiko-Fans den brasilianischen Torwart Júlio César unermüdlich als puto beschimpften. Um gegen Kamerun gleich weiterzumachen.

Wie ernst Mexikos Fußballverantwortliche den Vorfall nahmen, ließ sich gut an der Reaktion des damaligen Cheftrainers Miguel Herrera ablesen. Der meinte scherzhaft, puto leite sich vom Wort „putotzin" aus der Indigenensprache Nahuatl ab, wo es so viel wie „den Keeper zu einer schlechten Abwehr zwingen" bedeuten würde. Der FIFA war der Spruch augenscheinlich nicht blöd genug, denn alle Vorwürfe der Schwulenfeindlichkeit wurden fallengelassen, weil die Fan-Rufe „in diesem speziellen Kontext als nicht beleidigend" angesehen wurden.

Fast schon gerechterweise hat jetzt die FIFA den Salat. Denn der Fangesang hat mittlerweile Schule gemacht und sich in Lateinamerika ausgebreitet. So wurden letzte Woche neben Mexiko auch Argentinien, Peru und Uruguay zur Kasse gebeten (jeweils 20.000 Dollar Strafe). Chile hingegen muss als Wiederholungstäter gleich mal 70.000 Dollar berappen.

Enrique Toussaint, ein Chivas-Fan aus Guadalajara, hat VICE Sports erzählt, dass er den Fangesang nicht gutheißen kann, aber nicht glaubt, dass Geldstrafen der richtige Weg sind. Eine bessere Lösung würde laut Toussaint darin bestehen, „das Bewusstsein zu erhöhen und den Fans Infomaterial an die Hand zu geben. So könnten sie besser verstehen, warum hinter dem Begriff puto Homophobie steckt."

Doch allein die Tatsache, dass sich der mexikanische Verband so vehement gegen die Bestrafung wehrt und sich mitnichten einsichtig zeigt, verheißt nichts Gutes für die Zukunft. Homophobie und Fußball scheinen in Mexiko noch eine ganze Weile Hand in Hand zu gehen.