Warum ich nur gut angezogen in den sportlichen Faustkampf gehe
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Warum ich nur gut angezogen in den sportlichen Faustkampf gehe

Lebemann ist Casual. Das bedeutet: Er scheut die gewalttätige Auseinandersetzung nicht, dabei trägt er allerdings nur Jacken und Pullis von Marken wie Stone Island oder Lacoste. In seiner Kolumne erklärt er uns diesen Lebensstil.

Lebemann ist Casual. Das bedeutet: Er scheut die gewalttätige Auseinandersetzung nicht, dabei trägt er allerdings nur Jacken und Pullis von Designermarken wie Stone Island oder Lacoste. In seiner Kolumne erklärt er, wie er zu diesem Lebensstil gekommen ist.

Fußballfans—insbesondere diejenigen, die einem sportlichen Faustkampf nicht abgeneigt sind—gelten in den Augen der Öffentlichkeit gemeinhin als ungebildete, arbeitslose Alkoholiker. Vielen Dank für die Blumen an dieser Stelle. Ein Stück weit kann ich diese Ansicht verstehen, denn wenn ich mich so in diesem Mikrokosmos des Fußballs umschaue, dann ist diese Spezies immer noch zu präsent.

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Versteht mich nicht falsch, ich bin nicht gegen Asozialität—ganz im Gegenteil—ich fordere sie sogar ein! Aber für mich gibt es nichts Geileres, als total unentdeckt in eine fremde Stadt einzufallen und dabei die ungläubigen Gesichter der Leute zu sehen, die das ganze Treiben von ein paar adrett angezogenen, jedoch schwerstens alkoholisierten jungen Männern nicht einordnen können. Keiner dieser umherstehenden Passanten würde auch nur im Geringsten darauf kommen, dass dieser grölende Haufen unterwegs zu einem Fußballspiel ist. Denn darum geht es mir und meinen Freunden: Assi, aber immer mit Stil.

Diese Lebenseinstellung kommt sicherlich nicht von irgendwo: Als ich ein kleiner Junge war, schleppte mich mein Opa jedes Wochenende mit ins Stadion, ein stämmig gebauter Mann mit Händen wie Baggerschaufeln und stets gut gekleidet. Ein Mann aus der Arbeiterschicht, der die ganze Woche nur Blaumann trug. Für ihn waren diese zwei freien Tage am Wochenende der geeignete Anlass, um sich in Schale zu werfen. „Beim Fußball und in der Kirche sollte man stets tadellos gekleidet sein", höre ich ihn heute noch sagen. Da Fußball für viele Menschen eine Art Ersatzreligion ist, ergibt dieser Satz auch durchaus Sinn.

Schon damals in der Schule war ich der Erste, der ein Hemd unter dem Pullover trug. Ich hatte schon früh ein Gespür für Mode, auch wenn das erwähnte Outfit eher nach BWL-Justus aussah. So machte eine Jeans gepaart mit weißen Lacoste-Segelstoffschuhen, blauem Pulli und einem weißen Hemd (aus der Hose getragen!) darunter doch schon einiges her. Das war auch etwa in der Zeit, in der ich begann, regelmäßiger und vor allem ohne erwachsene Begleitung zum Fussball zu fahren. Statt darauf zu achten, was auf dem Rasen geboten wurde, war ich meist mehr mit dem Treiben auf den Rängen beschäftigt. Da gab es Kutten, Trikotträger, Skinheads und auch einen kleinen Haufen, der sich mit Ihrer Kleidung von den Anderen abhob. Seiden-Blousons von Best Company oder Chevignon waren bei den Kollegen angesagt, dazu Fred Perry- oder Lacoste-Polohemden. Die gezeigten Kombinationen waren meist sehr farbenfroh und hatten nichts zu tun mit dem Uniformzwang der heutigen Ultras.

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Lies mehr: Die Väter der Ultrà-Hipster—die Geschichte der Casuals

Ich erkannte schnell, was das für Kerle waren und war fasziniert von Ihrer Kultur, hatte aber mit diesen Leuten bis anhin keine Berührungspunkte. Mit 16 Jahren entschied ich mich für einen Sprachaufenthalt in London, was sich für mein späteres Tun als fragwürdig positiv erweisen sollte.

Das Austauschjahr bei Millwall FC

Da war ich nun, in einer fremden Stadt und ohne soziale Kontakte, außer meiner Gastfamilie. Wie sich herausstellte, war mein Gastvater Millwall-Fan und wohl auch sonst eher zwielichtig unterwegs. Ich sah ihn zum Beispiel nie einer geregelten Arbeit nachgehen, Geldsorgen waren jedoch nie ein Thema in dieser Familie. Da er wusste, dass ich Fußball mochte, nahm er mich jeweils zu ein paar Heimspielen der Lions mit. Als ich dieses berüchtigte Stadion „The Den" (engl. „der Käfig") das erste Mal betrat, war ich wie elektrisiert. Die Atmosphäre war feindlich für jeden, der kein Fan der Lions war. Es stank nach abgestandenem Bier und die Schuhe klebten am Boden von dem ganzen Moder. Insgesamt also der Himmel auf Erden.

Die Wochen und Monate plätscherten vor sich hin, ich lernte an meinen Besuchen im Den immer mehr Jugendliche in meinem Alter kennen und so fing ich an mit den „Lads" zum Fußball zu fahren.

Ich habe schnell bemerkt, dass in England die Uhren in Sachen Mode etwas anders tickten. Der Stil war typisch britisch, Jacken und Mäntel der Marke Stone Island dominierten die Kurve und waren allgegenwärtig, beinahe inflationär auszumachen.

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Gut angezogen und hasserfüllt—die Millwall-Fans im „Käfig"; Foto: Imago/BPI

Am darauffolgenden Montag schwänzte ich also die Schule, um etwas durch die Läden zu streunen. Damals gab es noch keine Smartphones und man musste wirklich noch nach den Schätzen suchen. In einer Metropole wie London nicht gerade ein leichtes Unterfangen. Ich habe es irgendwie dennoch geschafft, mir ein Outfit, bestehend aus einer schwarzen Stone-Island-Kapuzenjacke, einem navyblau-weiß-gestreiften Lacoste-Pullover, dunkelblauen Levi's 501 Jeans und einem paar guten alten Reebok-Classics in Weiß zusammen zu stellen. Ich sah somit aus wie alle anderen Jungs neben mir im Stadion. Dead hard!

Bonjour Tristesse

Alle guten Dinge finden irgendwann mal ein Ende, sei es die Affäre mit der Kleinen aus dem Büro, die so herrlich gut blasen konnte oder eben ein Austauschjahr in London. Die Geschichten, die ich dort erlebt habe, könnten ein Buch füllen und werden vielleicht eines Tages an dieser Stelle weitererzählt.

Von allen Eindrücken, die ich auf und neben dem Platz sammeln konnte, war dieser typisch britische Casual-Stil das, was mich am meisten geflasht hat, und so wanderte von nun an ein beachtlicher Teil meines monatlichen Einkommens in den feinen Zwirn bekannter Labels. Ich stellte damals jedoch umgehend fest, dass sich die Faszination für ein gepflegtes Erscheinungsbild beim Fußball in unseren Breitengraden noch nicht wirklich durchgesetzt hat. Die Ultras trugen Ihre Black-Block-Uniform, bestehend aus Windbreaker, Jogginghose und Bauchtasche. Die Situation, die ich vorfand, war also zum Kotzen. Aber herzlich Willkommen zuhause.

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Ich zog also mein eigenes Ding durch. Erst wurde ich belächelt. Der Pöbel konnte mit dieser Art von gepflegter Freizeitkleidung zu diesem Zeitpunkt nur bedingt etwas anfangen.

Die Frage nach dem Warum

Diese ganze Casual-Sache macht natürlich auch auf das weibliche Geschlecht ordentlich Eindruck. Ich spreche da aus Erfahrung. Man kann sich also im bestem Fall am Samstagnachmittag gepflegt auf die Fresse hauen und schon einige Stunden später nach ein paar Lines Koks, um wieder fit zu werden, in einer Weinbar Möchtegern-Mittelklasse-Mädels einen vom Pferd erzählen.

Doch überall wo Licht ist, ist leider auch Schatten und so sind mir im Laufe der Jahre doch schon so einige Jacken zerrupft worden, Sonnenbrillen in italienischen Taxis abhandengekommen oder Hemden im Mülleimer gelandet, weil das Blut nicht rausgegangen ist. Aber wer hat, der kann.

Doch es sind nicht nur die Klamotten. Es sind die Konzerte, die man besucht, die Jagd nach Jacken und Schuhen durch die Städte oder das Internet. Die ganze Kultur dahinter. Die Treffen mit Gleichgesinnten, bei denen die Fäuste auch mal schweigen und man einfach eine gute Zeit hat, ganz abseits von Fußballgewalt. Wenn zum Beispiel bei einer Hochzeit in Genua Leute an einem Tisch miteinander sitzen, trinken und lachen, die sich an einem Spieltag gegenseitig die Köpfe einschlagen würden, dann frage ich mich, wer hier die wirklich Asozialen in dieser verlogenen Gesellschaft sind.