FYI.

This story is over 5 years old.

fankultur

Der Ultra, der eine Halbzeit mit seinen West-Ham-Idolen mitkicken durfte

Der Engländer Steve Davies ist glühender West-Ham-Fan. Bei einem Testspiel pöbelte er solange, bis Trainer Harry Redknapp ihn aufs Spielfeld schickte. Das Märchen nahm seinen Lauf.
Foto: Steve Bacon/Youtube

Welcher Fußballfan träumt nicht davon, mal für ein Spiel—oder auch nur ein paar Minuten—mit seinen gefeierten Helden auf dem Platz zu stehen? Und damit meinen wir nicht Typen wie Ronaldos Selfie-Flitzer, sondern solche, die auch tatsächlich mitspielen dürfen. Einer, der schon seit Kindheitstagen genau diesen Traum hatte, ist der Engländer Steve Davies, Hardcore-Fan von West Ham United, der für jedes Heimspiel aus dem über 100 Kilometer entfernten Rushden anreist.

Anzeige

Und manchmal werden selbst die kühnsten Träume wahr. So wie 1994. In diesem Jahr trainierte ein gewisser Harry Redknapp die Hammers aus London. Der englische Fußball hatte sich mal wieder bis auf die Knochen blamiert—die Three Lions durften bei der WM in den USA nur zuschauen—und jetzt stand die Vorbereitung für die neue Saison an. Es war die Zeit unzähliger Testspiele. Eines davon sollte West Ham und ihren Ultra Davies in die schöne Universitätsstadt Oxford führen.

Steve Davies betritt das Feld im Spiel seiner Lieblingsmannschaft gegen Oxford City. Foto: Steve Bacon/Youtube

West Ham hatte ein Testspiel gegen Oxford City, eine Mannschaft aus einer unterklassigen englischen Liga. Es war gleichzeitig ein Wiedersehen für Harry Redknapp, der in den 80er-Jahren unter Bobby Moore Assistenztrainer bei Oxford war. Das Spiel sollte den Londonern dazu dienen, sich für die neue Premier-League-Saison warmzuschießen. Das kleine Stadion war bis auf den letzten Platz ausverkauft. 2.000 Menschen waren gekommen, um sich im beschaulichen Oxford Spielergrößen wie Mike Marsh, Joey Beauchamp und vor allem Lee Chapman live in Aktion anzuschauen. In der ersten Reihe stand auch Steve Davies, beide Arme voll mit West-Ham-Tattoos.

Die Partie war, was das Fußballerische betrifft, keinen Eintrag in die Geschichtsbücher wert. Doch für Davies sollte das Match unvergesslich werden. Kurz vor der Halbzeit lag West Ham mit 2:0 in Führung. Dafür hatten sich aber auch schon mehrere Hammers-Spieler verletzt. Als dann auch noch der in die Jahre gekommene Kultstürmer Chapman signalisierte, dass er raus muss, stand Trainer Redknapp vor einem echten Problem. Er hatte keine Ersatzspieler mehr.

Anzeige

An dieser Stelle muss ein kleiner Einschub her, was die Person Redknapp betrifft. Redknapp ist bekannt dafür, ein ziemlich exzentrischer Typ zu sein, der den Kontakt zu den eigenen Fans mitnichten scheut. Schon vor dem Spiel hatte er mit einigen mitgereisten Hammers-Fans geplaudert. Was macht also ein exzentrischer Typ, wenn sein Stürmer Chapman in einer Tour von einem Fan hinter der Trainerbank angepöbelt wird? Er knöpft sich genau diesen Fan vor.

Chapman ging also nach dem Halbzeitpfiff zu Davies und wollte von ihm wissen, ob er genauso gut spielen kann, wie er redet. Der nickte, was das Zeug hielt. Daraufhin meinte Redknapp, dass er in die Kabine mitkommen soll.

Als die zweite Halbzeit angepfiffen wurde, stand Davies mit auf dem Platz. Im Trikot mit der Rückennummer 3.

Davies nahm Chapmans Position ein. „Ich habe immer in der Abwehr gespielt, aber als mich der Trainer fragte, was meine Position ist, habe ich ihm ‚Stürmer' gesagt. Ich konnte nicht für West Ham spielen und dann nicht vor dem Tor stehen".

Der Stadionsprecher von Oxford City konnte nicht glauben, dass er—jetzt, wo endlich mal ein großes Team zu Gast war—glatt den Namen des eines West-Ham-Spielers vergessen haben sollte. Zögerlich fragte er Redknapp, wer der Neue auf dem Platz sei… und der Trainer antwortete mit gespielter Entrüstung:

Hast du die WM nicht gesehen? Dieser Typ ist Tittyshev, der Bulgare!

Davies durfte fast 40 Minuten Seite an Seite mit seinen Idolen spielen … und das Fußballmärchen wurde noch besser: Nach einem starken Pass von Matty Holmes schoss Davies sogar ein Tor.

Es schien fast so, als habe sich der Fußballgott vor der Partie gesagt: Heute mache ich genau eine Person zum glücklichsten Menschen der Welt, Steve Davies. Aber ganz nach Nietzsche musste Davies feststellen, dass Gott tot ist. Der Linienrichter hob die Fahne und entschied auf abseits. Das Tor zählte leider nicht.

Davies ging mit einem breiten Lächeln im Gesicht zum Schiri und raunzte ihn aus Spaß an: „Du bist ein Wichser. Du hast meinen Traum zerstört!" Beide mussten laut loslachen. Denn auch ohne Tor konnte Davies—der im wahren Leben Postbote war—sein Glück noch immer nicht fassen. Chapmans Verletzung hatte Davies einen Wunsch erfüllt, von dem dieser nicht einmal zu träumen wagte. Und den Fußball um eine wunderschöne Anekdote reicher gemacht.