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Korruption

Der Ja-Sager, der die Fifa retten soll

Gegen Sepp Blatter wird ermittelt, Michel Platini könnte es als nächstes treffen. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach gilt als der aussichtsreichste Kandidat auf den Fifa-Vorsitz. Er ist zwar kein großer Reformator, dafür aber ein Spitzenopportunist.
Imago/Contrast

Am Freitag nach 22 Uhr brannte in der Fifa-Zentrale in Zürich nur noch Licht in Joseph Blatters Büro. Der 79-Jährige war nervös. Der allmächtige und scheinbar unantastbare Herrscher über den Fußball scheint überführt worden zu sein. Endlich. Was war passiert?

Die Schweizer Bundesanwaltschaft teilte am Freitag mit, dass gegen Fifa-Präsident Joseph S. Blatter „ein Strafverfahren wegen des Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung sowie möglicher Veruntreuung eröffnet" worden sei. „Das ist ein historischer Tag. Über Jahre haben wir Beweise gesucht und uns gefragt, wann die Schweizer endlich was unternehmen würden gegen diesen korrupten Haufen. Jetzt haben sie es getan", erklärte der renommierte Investigativ-Journalist Andrew Jennings im ZDF-Sportstudio. Blatter hatte seinem ehemaligen Vizepräsidenten Jack Warner für schlappe 600.000 Dollar die TV-Rechte für die WM-Endrunden 2010 in Südafrika und 2014 in Brasilien weit unter Marktwert verkauft—Warner verkaufte sie weiter und machte Millionenprofite. Der zweite Vorwurf ist jedoch der pikantere.

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Es geht um einen Berater-Vertrag zwischen Blatter und dem heutigen Uefa-Präsidenten Michel Platini für die Zeit zwischen 1999 bis 2002, für den Platini umgerechnet 1,83 Millionen Euro erhielt. Das stinkende Detail: Platini wurde sein Honorar erst neun Jahre später von einem Fifa-Konto überwiesen. Insider behaupten, es sei lediglich ein finanzieller Ansporn gewesen, damit Platini nicht schon 2011 gegen Blatter bei der Präsidentschaftswahl des Weltverbandes antrat. Noch ist der Uefa-Präsident und wohlmöglicher Thronfolger auf den Blatter-Posten kein Tatverdächtiger, sondern gilt nur als „Auskunftsperson". Noch. „Es ist das Ende von Michel Platini. Er kann weder Uefa-Präsident bleiben, noch kann er ein Kandidat für die Fifa-Spitze werden", erklärte Journalist und Blatter-Jäger Jens Weinreich im ZDF-Sportstudio.

One family. Teacher and student. Sepp and Michel. Godfather and capo. #FIFAcrime #UEFAcrime (picture by @MarvySahay) pic.twitter.com/Txkc2zTpPa
— Jens Weinreich (@JensWeinreich) 26. September 2015

Der Fifa droht aufgrund des enormen Korruptionsskandals die absolute Handlungsunfähigkeit. Wer wird das Macht-Vakuum füllen? Wenn Blatter sofort zurücktritt oder suspendiert wird, würde sein erster Vizepräsident die Amtsgeschäfte weiterführen. Das wäre Issa Hayatou, Präsident des afrikanischen Verbandes, der unter anderem beschuldigt wird, seine Stimme für die WM 2022 an Katar für 1,5 Millionen Dollar verkauft zu haben. Diverse Stimmen werden hingegen lauter, dass Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), die Nachfolge auf Blatter antritt.

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Niersbachs Befürworter erklären, dass alles, was für den DFB-Präsidenten bei einer normalen FIFA-Präsidentschaftswahl eigentlich nicht sprechen würde, jetzt für ihn spricht: Er gilt noch nicht als richtiger Fifa-Mann. In Fifa-Kreisen außerhalb Europas ist er noch nicht bekannt und wurde erst Ende März in das Exekutivkomitee des Fußball-Weltverbandes gewählt. Anders als Platini könnte er noch nicht in den Sumpf aus Korruption mitdrinhängen und hat dennoch die Erfahrung und das diplomatische Geschick als Boss beim weltweit größten Nationalverband. Das war es dann aber auch.

Niersbach zählte in der Vergangenheit vor allem als enger Vertrauter von Platini zu jenen Funktionären, die Aufklärung und Reformen aktiv behinderten. Immer mit dabei: Eine gekonnte Darstellung als ruhiger Reformator. Erst lehnte er zentrale Integritätsprüfungen für Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees und deren Wahl durch den Fifa-Kongress ab, um später auf medialen Druck ein Programm gegen diesen Schritt hervorzuzaubern. Als Vorstand bei Uefa und Fifa soll er zudem laut eigener Aussage von dem dreckigen Spektakel bei beiden Verbänden nichts mitbekommen haben. Am Freitag ließ er mitteilen, dass er überrascht und „fassungslos" sei.

Der DFB teilte einen Tag später mit, dass man wegen der Eröffnung des Strafverfahrens gegen Blatter „mit großer Bestürzung" auf die Entwicklung reagiere. „Der gesamte deutsche Fußball" fordere eine geschlossen Aufklärung „durch die zuständigen Ermittlungsbehörden". Der Name Platini fiel ebenso wie der der Uefa nicht. Stattdessen werden „Reformen" und „eine umfassende Kooperation" mit den Ermittlungsbehörden gefordert. Jene Reformen und Kooperationen die DFB und vor allem Niersbach seit Jahren verweigern oder behindern.

Muss man bei der #FIFA eigentlich seine Eier an der Garderobe abgeben oder warum haut da niemand mal auf den Tisch?#Niersbach #DFB
— Thorsten Kuelper (@wortwuerfler) 27. September 2015

Blatter stolpert wohl über einen dummen Fehler, weil er schon lange nicht mehr auf dieser Welt lebt. Hofiert von Obama oder Merkel und angebetet von anderen Staatsoberhäuptern, die sich über Blatter auf den Schultern des Fußballs als WM-Austragungsort ein bisschen positiv in Szene setzen wollen, war er in seiner Welt Gott. Ein Gott mit Bundesverdienstkreuz. Der Boss der mafiösen durfte auch mit dem Papst über die Möglichkeiten des Fußballs für Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Frieden auf der Welt reden—wie widerlich widersprüchlich. Jetzt scheint der Unantastbare endlich angetastet zu werden.

Niersbach könnte mit seiner diplomatisch cleveren Art sicherlich wie eine interessante Personalie für den Chefposten beim Weltverband wirken. Doch die bisherige Zeit als DFB-Präsident zeigt, dass er vor allem durch Ja-Sagen und Opportunismus diese vielen Sympathien erntete. Anders als Vorgänger Theo Zwanziger, der mit seiner Modernisierung des konservativen DFB mit gesellschaftspolitischen Initiativen gegen Homophobie, Diskriminierung oder dem Eisatz für den Frauenfußball für viel Ärger sorgte, ist Niersbach kein Typ, der aneckt. Er nutzte den großen DFB nie, um sich gegen Blatter und Co auszusprechen, sondern unterstützte Schein-Reformen und stach mit gekonntem Vermitteln hervor. Es braucht aber keinen harmoniebedürftigen Vermittler, sondern eher einen konsequenten Reiniger.

Wenn die Fifa einen Neuanfang wagt, kann der eigentlich fast nur scheitern. Die jahrzehntelange Korruption ist über fast alle Verbände bis in die Politik verstrickt. Nach der Anhörung Michel Platinis durch die Schweizer Bundesanwaltschaft erklärte Frankreichs Premierminister Manuel Valls, dass er „volles Vertrauen" habe und sie glücklich seien, dass sie Michel Platini haben. Auch der DFB oder die selbsternannten Gerechtigkeitskämpfer wie die europäische oder deutsche Politik arbeiten immer noch eng mit der korrupten FIFA zusammen und haben sich nie wirklich aktiv mit Reformen beschäftigt. Ein tadelloser potenzieller Nachfolger wie Niersbach fordert nun: „Trotz der neuen Turbulenzen muss es beim eingeschlagenen Weg bleiben". Welch Ironie.