Die Boulevardisierung Paderborings? Die Effenbergs in Paderborn
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Fußball

Die Boulevardisierung Paderborings? Die Effenbergs in Paderborn

Paderborn steht für Billigbier und Bodenständigkeit. Damit ist es genau der falsche Ort für seinen neuen Trainer Stefan Effenberg, oder? Hat Paderboring den Tiger gezähmt, oder hat Effe die Stadt wachgeküsst? Ein Ortsbesuch.

Freitagvormittag, 11 Uhr. Die Benteler-Arena liegt mitten im Nichts. Die Heimstätte des SC Paderborn ist eine charakterlose, blassblau-graue Konservenbüchse aus Sichtbeton und Wellblech. Etwa 800 Kilometer weiter östlich steht das baugleiche Stadion im polnischen Gleiwitz. Es weht ein kalter Wind. Gegenüber der Arena steht ein Möbelhausklotz von Wilfried Finke, der seit 1997 mit kurzer Unterbrechung Präsident beim SC Paderborn ist.

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Wilfried Finke: Macher / Foto: Imago/pmk

Der Möbelunternehmer ist der klassische Provinzklubmäzen: Er raucht Reval ohne Filter und wenn er nicht gerade mit seinem Bentley durch die beschauliche Stadt braust, jettet er auf seine Finca nach Mallorca. Ohne Finkes Finanzspritze wäre der SC Paderborn immer noch in den Amateurligen unterwegs. In Paderborn steht der Unternehmer im Goldenen Buch der Stadt, für seine Revalstummel hat er sogar einen persönlichen Aschenbecher auf der Haupttribüne der Benteler Arena.

Zwischen Arena und Möbelhaus hat man einen großen Vorplatz planiert, auf dem dürre Bäumchen und eine riesige Fanstatue stehen: Der „Fanpoint Paderix" sieht aus wie ein Totempfahl, ist neuneinhalb Meter hoch und irgendwie gruselig. Im Hintergrund rauscht die Autobahn. Kaum vorstellbar, dass hier vor ein paar Monaten noch Bundesligafußball gespielt wurde.

Paderborn überzeugt… besonders in seiner Architektur!

In Paderborn ist nicht viel los. Die kleine Großstadt steht für Katholiken, das preisgünstige Bier „Paderborner Pilsener" und den SC Paderborn. Naja, und irgendwie auch für gähnende Langeweile: Nicht umsonst spricht man eher von „Paderboring" als von „Partyborn", sogar „Güterslow" hat mehr zu bieten—„Osnabrooklyn" sowieso.

Auch beim SC Paderborn lief nach dem Bundesliga-Ausflug in der vergangenen Saison nicht mehr viel: Die Mannschaft brach auseinander, Trainer André Breitenreiter brannte mit dem FC Schalke durch. Der SCP fand sich in der Abstiegszone der zweiten Liga wieder. Breitenreiters Nachfolger, Markus Gellhaus, musste gehen.

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Doch dann die Sensation: Stefan Effenberg wird als neuer Trainer vorgestellt. Sonnenkönig Finke hatte ihn auf Mallorca innerhalb von zwei Minuten davon überzeugt, sein Cheftrainer und Possenreißer in Personalunion zu werden. Ein paar Tage später, bei Effes erfolgreichem Trainerdebüt gegen Eintracht Braunschweig, fiel sogar Claudia Effenberg dem Mäzen bei beiden Paderborner Toren jubelnd um den Hals. Als ob sie sich jahrelang kennen. Die Effenbergs und Finke, das scheint zu passen.

Hallöchen Claudia, schön, dass du da bist! Kannst du den Schal noch etwas höher halten? / Foto: Imago/osnapix

Bedankt— POSITION EINNEHMEN, OBJEKTIVE AUSFAHREN, UUUUND: FEUER FREI! / Foto: Imago/pmk

Seit Effenberg da ist, so heißt es innerhalb der Fanszene, sei die Stimmung in Paderborn Bombe und jeder habe das Gefühl, dass sich etwas bewege. Sogar vom Wiederaufstieg ist unter eingefleischten Fans die Rede. Aber tanzen die Leute in Paderborn wirklich vor Freude? Und vor allem: Spürt man schon einen Hauch von Schickeria?

„Der Ostwestfale ist schwer hinterm Ofen hervorzuholen"

Auf dem Parkplatz vor der Benteler-Arena kramt Kevin Bublitz Kameraequipment aus dem Kofferraum seines Kleinwagens. Die Parklücke neben ihm, die mit der Nummer 10, ist für den Cheftrainer reserviert. Eine Reminiszenz an den großen Spielmacher Effenberg. In einer Stunde beginnt die Pressekonferenz zum kommenden Heimspiel gegen Heidenheim. Kevin hat eine Medienagentur, er berichtet für Pay TV, Fan TV und Lokalmedien über den SCP. Der 34-Jährige kennt die Paderborner Medienlandschaft, wenn man sie denn so nennen kann, wie seine Westentasche. Auch er ist im „Tiger"-Fieber, sein Whatsapp-Profil ist mit einem Effenberg-Meme beflaggt.

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Kevins Profilbild: „Herr Effenberg, Mourinho ist ‚The Special One', Klopp ‚The Normal One'. Wer sind sie?"—„I am The New One".

„Die Verpflichtung von Effenberg war schon der Knaller. Bei seinem ersten Training war mehr los als beim Bundesligaaufstieg! Knapp 600 Leute waren da, sonst sind es eher so zwei bis zehn", erzählt Kevin. „Eigentlich ist der Ostwestfale an sich schwer hinterm Ofen hervorzuholen. Und für den Paderborner gilt zusätzlich: Solange der Papst nicht kommt, ist Ruhe."

Kevin Bublitz in der Benteler-Arena. So hässlich das Stadion auch ist, die Sitze sind sehr bequem.

Effe ist zwar nicht der Papst, aber so etwas hat Paderborn noch nicht gesehen: Das Bezahlfernsehen war da, das Privatfernsehen war da, die Boulevardpresse war da: Der „Tiger", einer der letzten seiner Art, der so lange frei durch die Wildnis des Trainermarkts gestreift ist, landet in der ostwestfälischen Provinz und bringt auch Ehefrau Claudia mit. Ein Promipaar in Paderborn, zwei Siegertypen: Sie Promi-Koch-Arena, er Champions-League. Selbst die seriösesten Lokalreporter waren anfangs infiziert. „Er hat dadurch eindeutig den Fokus von der Mannschaft genommen. So einen Typen brauchst du im Abstiegskampf. Und im Notfall zeigt ein Stefan Effenberg halt auch mal den Mittelfinger und steht dann dazu", sagt Kevin. Bisher war Effe aber ganz zahm und gab sich bescheiden: Nicht er sei das Besondere, das Besondere sei die Chance, hier arbeiten zu dürfen.

Ein Presseraum ist kein Naherholungsgebiet

Der Raum in der Benteler-Arena, in dem gleich die Pressekonferenz beginnt, sieht aus wie eine etwas zu groß geratene Garage. Auf einer Küchenarbeitsplatte steht eine Thermoskanne mit Kaffee. Der Kühlschrank surrt. Ein Milchbubi mit blondem Haar bringt zwei Teller mit Plätzchen. „Seit Jahren immer die gleichen", kommentiert Kevin die Gebäcklieferung. Aber ein Presseraum sei nun mal kein Naherholungsgebiet, soll der Pressesprecher des Klubs mal gesagt haben.

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Paderborn gegen Heidenheim—da kann auch Effe keinen Sex reinbringen.

Stefan Effenberg betritt den Raum durch den Seiteneingang. Er trägt keinen Pelzmantel und keine Cowboystiefel, sondern einen SCP-Hoodie. Er wirkt konzentriert. Kein Blitzlichtgewitter, nur eine Handvoll Reporter ist da. Alles ist ganz normal. Effes Co-Trainer Sören Osterland lümmelt sich auf die Arbeitsplatte und nascht Kekse. Es geht los. Die Journalisten scheinen ein wenig ehrfürchtig, Auge in Auge mit dem „Tiger". In der Tat spürt man eine leichte Boss-Aura im Presseraum. Keiner traut sich, die erste Frage zu stellen. Dann erbarmt sich einer und das übliche Pressekonferenz-Blabla startet: Es geht um verletzte Spieler, Saisonziele und das Unentschieden gegen Frankfurt. Stefan Effenberg beantwortet die Fragen der Journalisten präzise und bestimmt, wie ein alter Hase. Zwischendurch betont er immer wieder mit besonnener Stimme seinen Status als Trainernovize und dass das alles neu für ihn sei.

Ein bisschen persönlich wird es auch: „Wie haben sie sich hier in Paderborn eingelebt und zurechtgefunden, Herr Effenberg?" – „Total gut. Paderborn ist eine überschaubare Stadt mit vielen schönen Dingen." – „Also alles okay?" – „Haben sie sich Sorgen gemacht, dass ich vielleicht nach drei Wochen doch wieder abhaue? Definitiv nicht", feixt Effe. Alle lachen. Ach, Effe, was haben wir deine Sprüche vermisst. Aber früher war irgendwie mehr Lametta. Vielleicht weckt SC Paderborn gegen FC Heidenheim einfach nicht den „Tiger" in ihm.

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Nach zehn Minuten ist die Pressekonferenz vorbei, kurz und schmerzlos. Kevin packt sein Equipment wieder zusammen und verabschiedet sich. Effe tigert unauffällig aus der Seitentür und verschwindet. Kein großer Auftritt, zumindest hier kein Hauch von Schickeria. „Paderboring" prägt Effenberg anscheinend mehr, als das umgekehrt der Fall ist. Ist der Hype schon verflogen? Hat Paderborn den „Tiger" gezähmt?

In Paderborn-City ist von „Tiger-Aura" nur wenig zu spüren

Höchste Zeit, die Lage in der Paderborner City zu checken. Doch das ist gar nicht so einfach, denn wo sonst entgegnen einem Leute am helllichten Tag solche Sätze: „Wir haben keine Zeit, wir müssen in die Kirche!" Vor Freude tanzt hier niemand, die Straßen sind wie leergefegt. Von „Tiger-Aura" bisher nichts zu spüren. Nur sehr wenige Leute wollen Effenberg bisher auf den Flaniermeilen gesichtet haben. Er wohne ohnehin etwas außerhalb in Paderborn-Elsen, einem stinknormalen Wohngebiet. Die Benteler-Arena könne man von dort bequem per Fahrrad erreichen. Autofahren darf Effe derzeit eh nicht, da er nach einer Oktoberfestsause seinen Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer abgeben musste, so blieb die Parklücke mit der Nummer 10 während der gesamten Pressekonferenz frei.

Mehr als Andrew kann ein Mensch kaum werden!

Apropos Parklücke: Auf der Begrenzungsmauer eines Parkplatzes in der Innenstadt thront Andrew in voller SCP-Montur mit einer Flasche „Paderborner". Wenn Paderborn eine Wüste der Langeweile ist, dann ist Andrew die Oase des Enthusiasmus. Andrew, Mutter Paderbornerin, Vater Schotte, ist der hingebungsvollste und treueste SCP-Fan der Welt. Viele kennen ihn sicher aus diesem Video, in dem er bekannte, dass er seine Playstation für ein Stadion-Ticket verkaufen würde:

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Auf seinem T-Shirt steht: „Mehr als ein Paderborner kann der Mensch kaum werden". Andrews Blick sagt: „Mehr als ein ‚Paderborner' kann der Mensch locker trinken". Er jedenfalls kann Effenberg das mit dem Alkohol nicht verübeln: „Der Effenberg trinkt halt gerne mal einen, so wie ich", erläutert er mit voller Überzeugung. Er habe auch schon ein Autogramm von Effenberg auf seinem Trikot und freut sich wie Bolle. „Und die Claudia, die wohnt ja auch hier!" Endlich mal ein Paderborner, der auch nach drei Wochen Effenberg noch ein wenig aus sich herausgeht. Vielleicht ist der „Tiger-Hype" doch noch nicht zu Ende.

„Ich liebe meinen Verein": Andrew ist stolzer Paderborner.

Der Typ mit dem gewissen Etwas in der Stadt ohne das gewisse Etwas

Gerne einen trinken, zumindest nach Siegen, tun natürlich auch die Profis des SC Paderborn 07. Und zwar im „Hemingways", der ersten Cocktailbar am Platz: Glasfassade, dunkle Holztische, auf edel gemacht. „Innerhalb der Mannschaft hat sich die Stimmung seit Effenberg schon zum Positiven verändert", sagt Ibo, der Geschäftsführer des Hemingways. Ibo ist 25, trägt eine Yankees-Cap und ein knallgelbes Fußballtrikot von Fatih Spor 90, dem Kreisligateam, in dem er spielt. Seine Kollegen Pablo und Tayfun wuseln durch den Thekenbereich, bereiten den Abend vor. „Nach dem ersten Sieg unter dem neuen Trainer waren die Spieler wieder locker und ausgelassen drauf, so wie zu Zeiten des Aufstiegs in die erste Liga. Effenberg packt die Spieler", plaudert Ibo aus dem Nähkästchen. Effe selbst war noch nicht im Hemingways, aber Ibo ist sich sicher: „Der wird kommen, der kann das nicht umgehen. Wenn die Mannschaft mal wieder grandios gewinnt, muss er mitkommen. ‚Tiger' halt!"

Repräsentanten des Hemingways: Ibo im gelben Trikot, Pablo (links) und Tayfun.

Wenn es nach Ibo geht, dann ist Effenberg „der Typ mit dem gewissen Etwas in der Stadt ohne das gewisse Etwas". Es besteht also eine kleine Hoffnung, dass Effe „mehr als ein Paderborner werden" und „Paderboring" irgendwann doch noch zu „Partyborn" machen kann.

Es ist Abend geworden. Ibo ist nochmal schnell nach Hause, um sein gelbes Trikot gegen ein Hemd zu tauschen. In der Ferne leuchtet das Neonlicht der Benteler-Arena. Von den Effenbergs keine Spur. Kein Stefan, keine Claudia, keine Schickeria. Auch Andrew sitzt nicht mehr auf der Mauer. Vielleicht verkauft er ja gerade seine Playstation, um am Sonntag in der Benteler-Arena gegen Heidenheim dabei sein zu können.

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