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„Der Tag heute zerreißt jeden Einzelnen komplett”—warum die Cannstatter Kurve das Montagsspiel boykottiert

Auf die gestrige Demo folgt heute der Boykott. Die VfB-Ultras berichteten uns von ihrem Gespräch mit der Mannschaft und warum einige das Montagsspiel nicht mal im TV schauen wollen.
Foto: cannstatter-kurve.de

Wenn heute Abend Werder Bremen den VfB Stuttgart empfängt, wird einiges anders sein. Abgesehen davon, dass die beiden ehemals so glorreichen Traditionsvereine um den Klassenerhalt kämpfen, wird es zum ersten (geplanten) Montagsspiel der Bundesligageschichte und wohl zu einem größtenteils leeren Gästeblock kommen. Wegen der zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen am 1. Mai hatte die DFL auf Bitten der Sicherheitsorgane das Spiel von Sonntag auf Montag gelegt. Sehr zum Ärger der Fans.

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Die Cannstatter Kurve erklärte nach der Terminierung, dass sie das Spiel boykottieren werden. Auch das bundesweite Fanbündnis ProFans forderte aktive Fußballfans in Deutschland zu einem Boykott von Montagsspielen auf. Seit die Einführung von regulären Montagsspielen in der Bundesliga ab der Saison 2017/2018 beschlossene Sache ist, fürchten die meisten Fans, dass die Spieltage noch weiter zerstückelt werden und so Auswärtsfahrten immer schwerer zu organisieren sind. Auch die Stuttgarter Fanszene fühlt sich vor allem im hitzigen Abstiegskampf benachteiligt, da weitaus weniger Fans an einem Werktag die hunderten Kilometer bis nach Bremen auf sich nehmen können. Deshalb wollen sie dem Spiel in Bremen fernbleiben—stattdessen organisierten sie eine Demo durch die Stadt und besuchten ihr Team beim Abschlusstraining.

Über Tausend Fans nahmen an dem Protestmarsch gegen Montagsspiele teil. Der Marsch, der mit zahlreichen Protestbannern optisch untermalt wurde, zog vom Bahnhof Bad Cannstatt bis zum Trainingsgelände des VfB. „Nach dem Marsch mit der fanpolitischen Botschaft sind wir beim Training voll auf den Abstiegskampf eingegangen", erklärt Benjamin „Benno" Nagel, Mitglied der Ultragruppe „Commando Cannstatt 1997", im Gespräch mit VICE Sports. „Es ist heute nicht mehr so normal, die Profis emotional zu erreichen, doch wir haben den Spielern angesehen, dass sie wissen, worum es geht, wenn auf einmal 1.300 Fans um den Trainingsplatz herumstehen."

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Nach einigen Gesängen in der Schlussphase des Trainings bedankten sich die Stuttgarter Profis bei den Fans für den Andrang am Trainingsplatz und hörten sich die Ansprache beider Vorsänger an. „Wir haben unserer Mannschaft zunächst erklärt, warum wir nicht da sind und welches Problem wir mit der Spieltagsansetzung haben", erzählt Nagel. „Wir haben ihnen erklärt, dass wir wissen, dass es im Fußball ums Geld geht, aber eben auch um die Fankultur, die wir erhalten wollen." Der Fokus lag danach auf dem Bremen-Spiel. „Wir haben dem Team erklärt, wie wichtig der Verein für die Region ist und wer alles hinter ihnen steht. Wir haben gesagt, dass wir an sie glauben und haben das Team aufgefordert, Gras zu fressen."

Anschließend äußerten sich auch noch VfB-Sportvorstand Robin Dutt und Günther Schäfer, Mannschaftsbetreuer und VfB-Legende, vor Fans und Mannschaft. „Beide hatten Verständnis für die Aktion und Robin Dutt hat seine Kritik an der Spieltagsansetzung wiederholt", erklärt Nagel, der das „Commando Cannstatt" auch im Fan-Ausschuss des VfB Stuttgart vertritt. Die Reaktion der Spieler sei verständnisvoll gewesen. Mit einigen Spielern gibt es zudem einen Austausch: „Es gibt einen Teil der Mannschaft, der versteht, was für uns die Fankultur bedeutet. Und auch was Montagstermine für uns Fans heißen."

Laut Medienberichten werden bis zu Tausend Fans den VfB in Bremen unterstützen. „Wir hoffen, dass nur wenige Fans vor Ort sind, keine Zaunfahnen am Block hängen und es keinen organisierten Support gibt", fordert der VfB-Fan im Gespräch mit VICE Sports. Die Werder-Fans wollen das Spiel auch boykottieren. Beim Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg zeigte die Ultragruppierung „Infamous Youth" ein Spruchband mit der Aufschrift „Montagsspiel gegen Stuttgart boykottieren!". Zwar sei keine gemeinsame Aktion geplant, doch Kooperationen in der Zukunft bei einer weiteren Zerstückelung des Spieltags seien zumindest aus Stuttgarter Sicht denkbar. „Bei fanpolitischen Themen muss man immer mit anderen Ultras und Fangruppen sprechen", so Nagel.

Wo die Stuttgarter Fans das Spiel heute gucken, wissen sie noch nicht. Ein gemeinsames Public Viewing sei bewusst nicht geplant. „Einige können das Schauen am TV auch nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren", erzählt uns der „Commando Cannstatt"-Vertreter des Fan-Ausschusses. Grund für die zunehmende Zerstückelung des Spieltags seien nämlich vor allem die TV-Rechteinhaber und auch die Anzahl der TV-Zuschauer. Zudem vermuten einige Fans, dass der heutige Montag und seine Einschaltquoten ein Testlauf für die nächsten TV-Rechte-Verhandlungen sein könnten.

Doch das Fernbleiben im Abstiegskampf ist dennoch schwer. „Der Tag heute zerreißt jeden Einzelnen komplett. Es ist unglaublich schmerzhaft, dass wir in so einem Abstiegsendspiel unserem Team nicht helfen können. Trotzdem müssen wir eine rote Linie ziehen, denn so darf es nicht weitergehen. Und gestern haben wir unsere Jungs so gut es geht emotional aufgeladen."

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