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lord flaco

Mea Culpa, Flaco, ich habe dich all die Jahre unterschätzt

Zu klein, zu schmächtig, zu fummelig, als dass er über den Talentstatus hinauskommen könnte. Ich habe mich geirrt. Genauso wie der Bundestrainer.
Fotos: imago

Ich habe oft geflucht. Habe mir immer gedacht, was dieser Spieler bei Borussia Mönchengladbach noch zu suchen hat. Für den Verein geht es steil nach oben. Doch dieses Kind spielt immer noch. Er ist nicht Marco Reus. Auch nicht der neue Marco Reus. Er ist ein Talentspieler, der den wirklichen Sprung nie schaffen wird. Ersetzbar. Doch ich habe mich all die Jahre geirrt. Patrick Herrmann muss nicht Marco Reus sein. Er ist Patrick Herrmann. Mit 10 Treffern ist er Gladbachs bester Torjäger. Ich traue meinen Augen nicht.

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Patrick Herrmann war von Anfang an dabei. Auf der wilden Gladbacher Wildwasserbahnfahrt der Gefühle saß er vorne in der ersten Reihe und bekam das ganze Nass ins Gesicht. Der Junge aus der Nähe von Saarbrücken wechselte in der Jugend zu Borussia Mönchengladbach. Noch unter Michael Frontzeck feierte er am 16. Januar 2010 sein Debüt in der Bundesliga. In der 79. Minute wurde der damals 18-Jährige gegen Bochum eingewechselt. Sein erster Ballkontakt war eine Flanke. Die Flanke landete beim ein Jahr älteren Fabian Bäcker, der ein Tor schoss. Das ist ewig her. Bäcker spielt jetzt in Offenbach. Regionalliga Südwest.

Fast anderthalb Jahre später rettete Lucien Favre Gladbach vor dem Abstieg. Mit Hängen, Würgen und einer Aufholjagd wurde der Relegationsplatz erreicht und die Borussia setze sich in zwei Spielen gegen den Zweitligisten Bochum durch. Hermann saß auf der Bank. Im Jahr darauf spielte sich die Borussia auf den vierten Platz vor. Herrmann ließ aufhorchen. Garanten in dieser Spielzeit waren vor allem vier Offensivspieler. Marco Reus, Mike Hanke, Juan Arango und eben Patrick Herrmann. Sie waren Sinnbild für schnellen Offensivfußball und bildeten damals die beste Gladbach-Offensive des letzten Jahrzehnts.

Wie flinke Gazellen schossen Reus und Herrmann in der Saison 2011/2012 über die gegnerischen Spielhälften. Oft nur mit einem Foul zu stoppen. In Gladbach sah man eine goldene Zukunft voraus. Es kam anders. Also irgendwie. Reus stieg zum Megastar auf—doch bei der anderen Borussia aus Dortmund. Die älteren Hanke und Arango waren auf ihrem Karrierehöhepunkt. Sie spielen heute nicht mehr in Gladbach. Herrmann ist noch da. Sie rufen ihn „Flaco", was im Spanischen der „Dürre", der „Schmächtige" heißt. Viele Medien feierten ihn, die FAZ nannte ihn Anfang 2012 „das Juwel". Doch richtig begeistert hat mich Herrmann nie.

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In den letzten drei Bundesligaspielzeiten schoss er jeweils nur 6 Tore. Zu wenig für sein Talent. Zu wenig für Borussia Mönchengladbach, die sich nach und nach zum Topteam in der Bundesliga etablieren wollte. Hermann hatte vielleicht irgendwie einen Anteil daran, doch die Topspieler waren immer andere. Max Kruse, Raffael oder selbst der viel zu langsame Zauberfuß Juan Arango schoss letzte Saison noch mehr Tore als Herrmann.

Den einzigen Rekord, den Patrick Herrmann letztes Jahr knackte, möchte er sich vielleicht nicht einrahmen. Er wurde 29-mal ausgewechselt.

Ich sah ihn immer so, wie er auch auftrat. Großchancen vergab er zahlreich. In Zweikämpfen wirkte er oft wie ein leichtgewichtiger Jüngling, den jeder Gegenspieler mit einem Köpereinsatz abkochen konnte. Zu klein, zu leicht, zu schwächlich—Flaco eben. Eines dieser vielen Talente, die groß eingeschlagen sind und dann doch für immer hinter ihren Erwartungen bleiben. Ich hatte vielleicht zu schnell und zu viel erwartet. Hatte vielleicht oft nicht richtig hingeschaut. Hatte oft noch die flinke Gazelle im Kopf. Ich hatte ihn abgeschrieben—ein Fehler.

Dieses Jahr trumpft Flaco richtig auf! Scheiterte Gladbach nach der Wahnsinnssaison vor drei Jahren noch in den Qualifikationsspielen für die Champions-League an Kiew, sieht es dieses Jahr besser aus. Die Borussen sind Dritter in der Liga und könnten nächstes Jahr Champions League spielen. Herrmann ist ein erfahrener Bundesligaspieler geworden. Über 150 Bundesliga-Spiele machte der 24-Jährige schon. Der Flügelspieler spielt trotz Rotationsprinzip von Favre in den wichtigsten Spielen von Anfang an. Hazard, Traoré und Hahn können ihm nicht das Wasser reichen. So unwirklich wie sich das für mich anhört: Herrmann ist effektiver und torgefährlicher. Dieses Jahr knackte er endlich seine 6-Tore-Marke.

Die vielen Bundesligaspiele fruchten endlich in seiner neuen Reife. Bisher schoss er 10 Treffer—so viele wie kein anderer Gladbacher. Bemerkenswert ist, dass seine Treffer meistens die entscheidenden waren. Zieht man sie ab, hätte Gladbach zehn Punkte weniger auf dem Konto. Zum Vergleich: Ohne die acht Tore von Max Kruse wären es nur drei Punkte weniger. Hermann beweist bei vielen Toren den richtigen Riecher. Das fehlte ihm lange. Oft ist es nur die entscheidende Fußspitze oder ein gutes Stellungsspiel bei einem Abstauber. Deswegen kann er diese Saison Spiele entscheiden.

In Mönchengladbach ist man zufrieden mit seiner Entwicklung. Gerade erst verlängerte der Verein seinen Vertrag bis 2019. Herrmann, der in sämtlichen Junioren-Nationalteams des DFB von U16 bis zur U21 spielte, muss sich bei der A-Nationalmannschaft wegen starker Konkurrenz auf seiner Position noch gedulden. Doch spätestens mit der ersten Champions-League-Erfahrung wird auch der erste Einsatz bei Löw folgen. Wie bei vielen Gladbach-Spielern scheint Jogi Löw aber von einer Berufung noch nicht überzeugt. Ich bin es.

Patrick Herrmann hat all die Jahre beharrlich ohne Starallüren und waghalsige Interview-Ansagen an sich gearbeitet. Langsam bekommt er jetzt etwas zurück. Und ich habe die Erkenntnis, dass ich mich geirrt habe. Der kleine Flaco ist erst 24 Jahre alt. Im selben Jahr geboren wie ich. Ein Zentimeter größer als ich. So klein ist er gar nicht. Und wie Max Eberl vor einigen Wochen schon sagte: „Er wird immer mehr ein Mann!"

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