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URBAN MYTH

Was Katar die Fußball-WM überhaupt bringt

Die Frage, warum Katar überhaupt der Gastgeber einer Fußball-WM sein will, ist definitiv berechtigt. Eine Analyse zeigt, dass es dabei vor allem um Macht geht.
Foto: USA TODAY

Seitdem feststeht, dass die Fußball-WM 2022 in Katar stattfinden wird, haben sich die globalen Medien immer und immer wieder mit denselben Fragen beschäftigt: Hat sich Katar Stimmen erkauft? Ist die gesamte FIFA-Organisation korrupt? Ist es in Katar nicht viel zu heiß, um dort eine Fußball-Weltmeisterschaft abzuhalten? Ist Katar ein moderner Sklavenstaat?

Es gibt allerdings auch eine Frage, die man nicht so oft liest: Warum in Gottes Namen will Katar überhaupt der Gastgeber einer Fußball-WM sein? Genau um diese Frage dreht sich auch die Abhandlung von Danyel Reiche, die im International Journal of Sport Policy and Politics veröffentlich wurde. Reiche ist ein Politikwissenschaftler an der American University of Beirut im Libanon (derzeit ist er jedoch Gastprofessor in Harvard). Für ihn geht diese Frage über den Tellerrand des Fußballs hinaus: Warum gibt Katar—ein Land mit 2 Millionen Einwohnern, von denen nur 11 Prozent katarische Staatsbürger sind—Milliarden Euro aus, und zwar nicht nur für Fußball, sondern für Sport allgemein?

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Die Fragen des ersten Absatzes kann man schon ziemlich eindeutig mit Ja beantworten. Es gibt einen Haufen Beweise dafür, dass die FIFA in der Tat durch und durch korrupt ist und der Wahlvorgang, bei dem Katar als Sieger hervorgegangen ist, sehr undurchsichtig war. Katars Hitze ist kein Geheimnis, genauso wie die schrecklichen Arbeitsbedingungen, unter denen die dortigen Gastarbeiter schuften müssen. Beim Bau der WM-Stadien in der Wüste sind schon hunderte von ihnen gestorben. Die Antwort auf die Frage des zweiten Absatzes ist dagegen schon etwas komplizierter und dementsprechend wurde sich auch noch nicht so viel darüber ausgelassen.

Die Frage nach dem Warum ist vor allem dann interessant, wenn man bedenkt, wie das Leben der Katarer in ihrer Heimat aussieht. Katar ist eines der Länder mit den weltweit höchsten Pro-Kopf-Einkommen und es gibt fast gar keine Einwanderer. Gastarbeiter sind für die körperlichen Arbeiten zuständig und verlassen Katar letztendlich wieder. Politische, religiöse oder kulturelle Vielfalt ist bei den Katarern quasi nicht vorhanden.

„„Wenn alle Einwohner Katars der gleichen Gesellschaftsschicht angehören, sie mit ihrem Leben zufrieden sind und keine Anstrengungen angestellt werden, Fremde in die Gesellschaft einzugliedern, dann gibt es auch keinen Grund, in Sport als Werkzeug zu investieren, mit dem die Bevölkerung vereint, integriert und stolz gemacht werden soll", schreibt Reiche.

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Stattdessen ist Katars Wunsch nach der Ausrichtung der Fußball-WM eher Teil der Bemühungen, etwas zu vergrößern, das Sozialwissenschaftler als „„Soft Power" bezeichnen.

Nimm dir kurz Zeit und gib bei Google Maps „„Katar" ein. Im Norden liegt auf der anderen Seite des persischen Golfs der Iran. Im Westen haben wir Saudi-Arabien. Keines dieser Länder ist jetzt eine direkte oder existenzielle Gefahr für Katar, aber die beiden sind in allen Belangen einfach viel größer—auch in Sachen Militär. Da kann Katar nicht viel machen, außer besorgt zu sein. Immerhin ist es noch gar nicht so lange her, dass mit dem Irak ein großer Golfstaat in einen winzigen Petro-Golfstaat (Kuwait) einmarschiert ist. Den Katarern ist bewusst, dass kein Geld der Welt dieses militärische Ungleichgewicht irgendwie ausgleichen könnte.

Stattdessen versucht Katar, Sicherheit zu erlangen, indem sich das Land unentbehrlich macht. Zwar wird die Nation niemals die größte sein, aber was, wenn sie die lauteste, beliebteste oder schlaueste ist? Die Leute mögen Sport und genau damit will sich Katar vom Rest abheben. Die Verwandlung in ein Sportlerparadies ist eine Strategie, die das Land schon länger verfolgt, als manch einer glauben will: Wenn Reiches Zählung stimmt, dann ist Katar seit der Fußball-Asienmeisterschaft 1988 Gastgeber für 85 große Sportereignisse gewesen.

Solche Veranstaltungen bringen Katar jedoch auch inländisch einige Vorteile. Zum Beispiel wird so durch den Bau der Stadien auch viel Geld in die Infrastruktur investiert. Die Stadien werden vielleicht nur einmal benutzt, die Infrastruktur bleibt jedoch auch weiterhin wichtig. Aber auch die Gesundheit ist ein Thema: „„Die Weltgesundheitsorganisation WHO listet Katar bei den Ländern mit den höchsten Fettleibigkeitsraten auf Platz 17", schreibt Reiche. Es kann also auf keinen Fall schaden, wenn die Athletik von zum Beispiel Cristiano Ronaldo die Leute dazu anregt, von der Couch aufzustehen und Sport zu machen.

Aber der wahre Beweggrund für Katars Investitionen sind immer noch die Image-Verbesserung und die Erhöhung der Soft Power—und zwar um jeden Preis. Reiche betont auch, dass diese Strategie weit über Sport hinausgeht. Der Nachrichtensender Al Jazeera, die Fluggesellschaft Qatar Airways und die Vielzahl der in Katar abgehaltenen Konferenzen und Kongresse tragen alle dazu bei, dass sich das winzige Land immer mehr Gehör verschafft.

Natürlich hat die schlechte Presse im Bezug auf die Menschenrechtsdebatte und den FIFA-Skandal dieser Strategie erheblich zugesetzt. Katars immer größer werdende Relevanz ist jedoch kaum zu ignorieren—und letztendlich ist es genau das, worauf es ankommt.