Sex

Warum es noch keine Pille für den Mann gibt

Die Technologie ist längst vorhanden. Aber wieso will kein Pharma-Konzern die Mittel herstellen?
Adam und Eva halten eine Kondomspritze hoch
Grafik: Der Genter Altar, angereichert mit Kondom-Spritzen von imago | viennaslide

Das hier ist der Begleitartikel zu unserem Video "Warum es noch keine Pille für den Mann gibt". Alle Quellen und Belege sind verlinkt.

Wie kann es sein, dass ich 2020 immer noch mit meinen Freundinnen am Tisch sitze und darüber diskutiere, welches Verhütungsmittel am wenigsten nervt, während sich die Männer entspannt zurücklehnen?

Das erklären wir euch in der neuen Folge von So So Fucked: Verhütung.

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Das meistgenutzte Verhütungsmittel überhaupt bleibt immer noch die Anti-Baby-Pille. 47 Prozent aller Erwachsenen, die verhüten, benutzen sie, danach kommen Kondome mit ungefähr 46 Prozent, danach die Spirale mit rund 5 Prozent.

Und klar, die Pille ist eine großartige Erfindung, die Frauen zu enorm viel Freiheit, Wohlstand und Sicherheit verholfen hat. 

Aber gleichzeitig scheint man sich damals darauf geeinigt zu haben, dass wir für diese Freiheit zahlen, indem wir praktisch die komplette Verantwortung für die Verhütung übernehmen – mit allen negativen Konsequenzen. 

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Die Pille ist nämlich alles andere als ein Wundermittel, das einfach ein bisschen bessere Haut und Haare macht, sondern sie ist ein massiver Eingriff in den Hormonhaushalt der Frau – und das geht nicht ganz ohne Nebenwirkungen.

Als da wären: Stimmungsschwankungen, Migräne, Gelenkschmerzen, Übelkeit und Libidoverlust.

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Also: Falls die Pille dir nicht die Libido killt, hast du spätestens mit grummelndem Magen, schlechter Laune und Kopfschmerzen sicher keine Lust mehr auf Sex. 

Aber es gibt auch noch schlimmere Nebenwirkungen: Es ist schon lange bekannt, dass die Pille Blutgerinsel und Thrombose fördert. Und komischerweise wird das nicht besser, sondern schlechter: Pillen der neuen Generation erhöhen das Risiko sogar noch mehr. Der Pharma-Konzern Bayer musste deshalb in den USA schon mehrere Milliarden Euro Entschädigung zahlen.

Und als ob das noch nicht reicht, kann die Pille auch die Psyche belasten. Eine Studie fand heraus, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Depression zu entwickeln und Suizid zu begehen, mit Einnahme der Pille steigt. Seitdem müssen die Pharma-Konzerne eine Warnung vor erhöhtem Suizidrisiko auf die Beipackzettel drucken. 

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Das alles erzähle ich euch nicht, um euch Angst vor der Pille zu machen – was für euch richtig ist, solltet ihr am besten in einer richtigen Verhütungsberatung klären.

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Aber wichtig ist: Hormonelle Verhütungsmethoden haben Nebenwirkungen – und bisher müssen sich nur Frauen damit auseinandersetzen.

Und warum? Die kurze Erklärung: Weil Männer Luschen sind, und weil die Gesellschaft es ihnen erlaubt, sich da einfach aus der Affäre zu ziehen. 

Ist wirklich so! Es wird nämlich tatsächlich schon seit Jahren immer mal wieder an der "Pille für den Mann" herumgeforscht – mit überraschend guten Ergebnissen!

Die Technik – im Prinzip eine Extradosis Testosteron, die die Spermienproduktion lahmlegt – funktioniert. Und sie ist sogar noch sicherer als die Pille. Und deshalb wird schon seit den 80ern immer wieder verkündet, dass wir kurz davor sind, die Pille für den Mann zu bekommen. Aber wir haben sie bis heute nicht. Woran liegt das?

Ziemlich einfach: Weil sie niemand herstellen will. Es gibt aktuell kein einziges großes Pharma-Unternehmen, das an dieser Methode forscht. Der Grund: Sie wollen nicht in ein Mittel investieren, von dem sie glauben, dass es am Ende kein Mann kaufen wird. 

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Und zwar nicht, weil es nicht funktioniert – denn es funktioniert ja –, sondern weil sie glauben, dass die Nebenwirkungen wie Stimmungsschwankungen und – in manchen Fällen – leicht verringerte Libido den Männern einfach nicht zuzumuten wären. Erinnert ihr euch noch an die Liste von Nebenwirkungen der Pille für die Frau?

Genau. Aber Stimmungschwankungen und verringerte Libido? Nein, das ist den armen Männern wirklich nicht zuzumuten. Und da war ja noch was: Die "Pille" für den Mann wäre nämlich keine Pille, sondern eine Spritze, die sich die Typen alle zwei Monate in den Hintern geben müssten. Und da hört es dann wirklich auf, das ist zu viel verlangt! Oder in den Worten einer Pressesprecherin des Konzerns Bayer Schering

"Männer gehen nicht gerne zum Arzt und Männer bekommen nicht gerne Spritzen."

Awwww! Habt ihr gehört? Männer bekommen nicht gerne Spritzen! Ihr armen Kerle ihr!

Tja, das war es dann gewesen. Weil Männer eben nicht so gerne Spritzen bekommen, hat Bayer die Forschung einfach komplett eingestellt. Oder wie das bei denen klingt:

"Nach der Studie hat man festgestellt, dass die Darreichungsform letztlich nicht so markttauglich ist, also letztlich nicht auf eine breite Akzeptanz stoßen würde. Man hätte quasi wieder von vorne anfangen müssen mit einer neuen Darreichungsform. Und von daher hat sich Bayer Schering entschlossen, dieses Geld lieber in die Forschung für Frauengesundheit zu investieren."

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Danke für nichts! Und schade, dass die zweite Verhütungsmethode für den Mann, die vielversprechend ist – ein Gel im Harnleiter, das die Spermien herausfiltert –, auch mit einer Spritze injiziert werden muss. Zwar nur alle zehn Jahre, und es kann jederzeit rückgängig gemacht werden, aber hey, wir wissen ja: Männer bekommen nicht so gerne Spritzen. Könnte der Grund sein, warum zwar seit Jahren Studien dazu angekündigt werden, diese aber nie passieren – und warum auch hier noch kein einziger Pharma-Konzern eingestiegen ist

Das ist also die Erklärung, warum Verhütung bis heute zum größten Teil Frauenarbeit geblieben ist: Eine ungesunde Verbindung aus männlicher Luschigkeit und kapitalistischer Logik. Weil es für die Jungs einfach bequemer ist, den ganzen Scheiß auf uns Frauen abzuwälzen, sozusagen. Und weil sie es können.

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Und was können wir tun? 

Falls ihr gerade viel Geld auf der langen Bank habt, dann könntet ihr ein Pharma-Unternehmen gründen und die Pille für Männer auf den Markt bringen.

Ansonsten sieht es gerade leider eher schlecht aus mit Aktivismus, zumindest solange das Thema bei Frauen bleibt. Deshalb, liebe Jungs, liegt es vor allem an euch:

Informiert euch über Verhütungsmethoden für Männer und schnackt mit euren Kumpels darüber. Wenn das Interesse bei Typen steigt, fangen vielleicht auch die großen Unternehmen irgendwann wieder an, Pillen für Männer zu entwickeln. 

Und bis dahin: Fragt doch mal eure Partnerinnen, wie sie sich mit der Verhütung fühlen und ob ihr sie unterstützen könnt. Tut nicht so, als seien Kondome ein Angriff auf eure Männlichkeit. Und macht klar, dass ihr versteht: Verhütung geht alle an, die Sex haben wollen.  

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