Die Schauspielerin Margot Robbie in einem rosa Kleid vor einer pinklastigen Kulisse mit dem Barbie-Schriftzug, ein Werbe-Experte erklärt die Marketing zum neuen Barbie-Film.
Margot Robbie auf dem roten Teppich bei der Barbie-Premiere in London. Photo: JUSTIN TALLIS / AFP
Popkultur

Wir haben einen Marketing-Experten gefragt, ob der 'Barbie'-Film nur Schleichwerbung ist

Sind wir alle Opfer einer pinken Gehirnwäsche? Und wenn ja, sollte uns das stören?

Wirklich alle freuen sich auf diesen Film: Kinder, Eltern, erwachsene Fashionistas und ihre heterosexuellen Partner, zynische Feministinnen und schwule Männer. Aber nicht nur Oppenheimer, sondern auch Barbie wollen alle sehen. Prognosen sagen, dass dieser allein am Startwochenende 155 Millionen US-Dollar einspielen wird. In anderen Worten: Spielzeughersteller Mattel scheint bei der Vermarktung des Films alles richtig gemacht zu haben. Tatsächlich hatte man sich mit über 100 Unternehmen zusammengetan, um die unterschiedlichsten Zielgruppen zu erreichen: von Gamern über Geschirrfans bis hin zu Zahnpflegefreaks.

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Aber werden wir vielleicht alle verarscht? Ist das Barbie-Marketing in Wahrheit eine große Gehirnwäscheaktion und am Ende verlassen wir das Kino mit einem unbändigen Verlangen nach pinken Schuhen? Um das herauszufinden, haben wir Gary Pope angerufen, den Mitbegründer von Kids Industries, einer Werbeagentur, die sich auf Kinderunterhaltung spezialisiert hat.


Auch von VICE: Deine fieseste Aktion?


VICE: Freust du dich auf den Barbie-Film?
Gary Pope:
Mehr als du glaubst. Ich habe eine 19 Jahre alte Tochter. Die ist der absolute Inbegriff von Pink. Wir werden zusammen ins Kino gehen, da bin ich mir sicher. 

Sorry, aber was macht diesen Film für einen erwachsenen Mann so interessant?
Das ist der Kern des Ganzen, nicht wahr? Barbie erschien 1959. Vier Generationen Mütter und Kinder wurden in irgendeiner Weise von Barbie beeinflusst. Dieser Augenblick jetzt ist das Ergebnis von 64 Jahren Marketing. In meinem Büro und auch den Büros aller meiner Freunde sind so Sachen wie das "What kind of Ken are you?"-Quiz rumgegangen. Wir alle machten da mit, man veräppelt sich ein bisschen gegenseitig damit. Man kann einfach seinen Spaß mit dem Kitsch haben und damit spielen.

Was ich so mitbekommen habe, ist der Film eine klassische Heldinnenreise. Ich sehe große Ähnlichkeiten zum Zauberer von Oz. Der Film ist 80 Jahre alt und trotzdem können ihm alle etwas abgewinnen. Ich schau ihn mir an, mein schwuler Freund schaut ihn sich an, meine Tochter und Mutter schauen ihn sich an. Er verbreitet einfach Freude, Fröhlichkeit, Humor und Spaß. Das wollen wir.

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Nicht alle freuen sich auf Barbie. Manche sagen, der Film sei nur dazu da, um möglichst viel Geld zu machen.
Natürlich ist er das. Natürlich geht es darum, Spielzeug und andere Produkte zu verkaufen. Macht der Film einem Kind oder Erwachsenen deswegen weniger Spaß? Nein. Mission Impossible ist Branded Content, also Schleichwerbung, Fast and Furious ist Branded Content. Auch davon gibt es Spielzeug. Es ist egal. Es ist Unterhaltung. 

Also ist heutzutage fast jeder Film Werbung?
So ziemlich. In der Welt der Kinderunterhaltung kämpfen alle ums Publikum – genau wie überall sonst. Was wollen die Menschen denn? Besonders Kinder wollen etwas, das sie schon kennen. Und Barbie ist eins der bekanntesten Spielzeuge der Welt.

Zwischen 2001 und 2021 hat Mattel über 40 computeranimierte Kinderfilme mit Barbie gemacht. Warum investiert das Unternehmen jetzt in so eine aufwendige Produktion, wenn es eigentlich nur darum geht, Spielzeug zu verkaufen?
Es geht nicht nur darum, Barbies zu verkaufen, es geht um viel mehr als Plastikpuppen. Das hier ist der Augenblick, in dem Barbies Dominanz in der Kulturlandschaft wiederhergestellt wird. Und das nicht nur für die jetzige Generation. Meine Tochter, die wahrscheinlich noch zehn oder 15 Jahre davon entfernt ist, selbst Kinder zu haben, wird den Barbie-Film später ihrer Tochter zeigen. In Sachen Markenwert ist das ein Geniestreich.

Es geht also auch darum, Erwachsenen etwas zu verkaufen?
Keine Frage. Der Grund, warum wir uns etwas Unterhaltung in unser Leben holen wollen, ist der, dass wir ein Stück von etwas haben wollen, das unantastbar, unbestechlich ist. Wir sehen diese wundervolle Barbie-Welt und können ein kleines Stück davon abhaben, indem wir ein Produkt besitzen. Sobald du es in der Hand hast, besitzt du es, bist mit ihm verbunden, hast eine Erinnerung daran, weil du dein Geld und deine Emotionen in dieses Ding investiert hast.

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Ich gebe dir ein Beispiel. Das hier ist Buck Rogers [Gary hält eine Actionfigur vor die Laptopkamera], das war der Held der Science-Fiction-Serie Buck Rogers. Die habe ich gesehen, als ich zehn war. Als ich die Figur dann in einem Comicladen in Los Angeles sah, habe ich mir in die Hose gemacht. 

Heute schaut sich eine Zehnjährige den Barbie-Film an und er prägt sich in ihre Erinnerung ein. Wenn sie dann in 15 Jahren ein Barbie-Sammlerstück zum Film sieht, das sie sich als Kind nicht leisten konnte, wird sie es kaufen. Das bleibt für den Rest ihres Lebens bei ihr. Es ist die Macht, etwas zu besitzen, zu dem man aufschaut oder mit dem man sich identifiziert.

1997 hat Mattel die Band Aqua noch verklagt, weil der Song "Barbie Girl" angeblich ihre Marke schädigen würde. Der Film selbst scheint sich jetzt viel rauszunehmen. Was hat sich geändert?
Die Art, wie sich die Kultur im Laufe der vergangenen 20 Jahre verändert hat, hätte niemand voraussehen können. Damals gab es keine Firma in der Größenordnung von Disney, die dermaßen selbstironisch und selbstreflektiert war. Diese Unternehmen durchbrechen die vierte Wand zwischen Konsumenten und Unternehmen. Das ist ein gefährliches Spiel.

Am Ende produziert Mattel noch immer Produkte aus Erdöl. Wenn das Unternehmen dermaßen offen damit umgeht, macht es sich auch angreifbar für Kritik. Vielleicht ist es sogar noch cleverer. Vielleicht lenken sie die Aufmerksamkeit von bestimmten anderen Themen ab. Sie sind wirklich sehr clever bei Mattel.

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Marketingleute sind begeistert von Mattels Kampagne, insbesondere von den vielen Partnerschaften. Sollten wir davon ausgehen, dass jede Filmveröffentlichung jetzt so hart beworben wird?
Wer auch immer behauptet, dass diese Kampagne die Werbung für immer verändern wird, hat absolut keine Ahnung. Nichts daran ist originell oder neu, es ist nur einfach perfekt ausgeführt.

Mattel hat momentan Ynon Kreiz als CEO, der vor fünf Jahren zum Unternehmen gekommen ist. Das alles trägt seine Handschrift. Das Unternehmen hat sämtliche Geschäftsbereiche auf den Film ausgerichtet und man ist zu vielen anderen Leuten gegangen, damit sie Zeug in Bereichen machen, in denen Mattel nicht aktiv ist. Da ist also der Film als tragende Säule und Mattel mit einem messerscharfen Fokus auf Produkte, die sie als Markenpartnerschaften bezeichnen, die aber größtenteils Lizenzdeals sind. Mattel schöpft zehn, fünfzehn oder zwanzig Prozent von jedem Deal ab – ohne selbst etwas zu machen.

Ich würde aber sagen, dass wir nur begrenzte Energie haben, die wir in so mitreißende Kampagnen stecken können. Wenn wir den kulturellen Einfluss von 64 Jahren Barbie vergessen: Würden wir uns auf den ganzen Lärm bei einer anderen Marke einlassen und dabei mitmachen? Nein, es würde uns schnell ziemlich nerven. Aber es ist Barbie, es ist etwas Besonderes, es ist Sommer. Die ganze Kampagne wird aber ein Fallbeispiel an Universitäten werden, keine Frage. 

OK, wer wird den Barbie-Oppenheimer-Showdown gewinnen?
Barbie! Wir wollen doch glücklich sein. Jetzt gerade wollen wir doch nicht mit über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen das Kino verlassen.

Ich werde mir wohl beide Filme ansehen und ich freue mich auch auf beide. Vielleicht schaue ich mir sogar beide am selben Tag an, damit ich nicht allzu verzweifelt oder übertrieben glücklich bin. Vielleicht sollten das alle tun.

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